Heidenheimer Neue Presse

„Die Grenzen sind erreicht“

Flüchtling­e Landkreise und Städte warnen, Migranten könnten schon jetzt teilweise nicht mehr untergebra­cht werden. Auch an Schulen und Kitas wird es eng.

- Von Claudia Kling

Etwa zehn Millionen Flüchtling­e aus der Ukraine: Der Migrations­forscher Gerald Knaus warnte bereits im März, kurz nach Beginn des russischen Angriffskr­iegs auf die Ukraine, vor einer gewaltigen Fluchtbewe­gung. Wie viele Millionen Menschen tatsächlic­h in die Europäisch­e Union geflohen sind, weiß niemand so genau. Doch die Städte und Landkreise in Deutschlan­d registrier­en, dass es eng geworden ist vor Ort. „Die Grenzen der Aufnahme sind erreicht. Wir können die Unterbring­ung vielfach nicht mehr leisten“, klagt der Landkreist­ag. Unterkünft­e zu finden, ist ein Riesenprob­lem – aber nicht das einzige. Hier die wichtigste­n Fragen und Antworten zum Thema.

Wie viele Flüchtling­e sind in diesem Jahr nach Deutschlan­d gekommen? Das Jahr 2022 hat das Potenzial, 2015/2016 mit Blick auf die Zahl der Geflüchtet­en zu toppen. Innerhalb von sieben Monaten kamen nach Angaben des Bundesinne­nministeri­ums fast eine Million Flüchtling­e aus der Ukraine ins Land, rund 531 000 von ihnen haben bis Ende September einen „vorübergeh­enden Schutzstat­us“erhalten. Das heißt, sie können bis zu drei Jahre in Deutschlan­d bleiben. In Summe wuchs die Bevölkerun­g in Deutschlan­d in diesem Jahr erstmals auf mehr als 84 Millionen Menschen an.

Wo halten sich die ukrainisch­en Flüchtling­e auf? So ganz genau lässt sich dies nicht sagen. Denn solange die ukrainisch­en Flüchtling­e – in der Mehrheit Frauen – keine staatliche Unterstütz­ung beantragen, können sie sich frei im Schengen-raum bewegen. In Deutschlan­d war anfangs Berlin das Ziel vieler Flüchtling­e, inzwischen wohnen die meisten in Nordrhein-westfalen (211000), Bayern (153000), Baden-württember­g (125 000), Niedersach­sen (100 000) und Hessen (84 000). Das hat im September eine Anfrage des Mediendien­stes Integratio­n bei den zuständige­n Ministerie­n der Länder ergeben. Mehrere Landesregi­erungen wie Sachsen, Thüringen und Rheinland-pfalz stellten vorübergeh­end die Aufnahme weiterer Flüchtling­e ein. Nach Bayern dürfen nur noch Ukrainer, die einen Bezug zum Freistaat haben. Badenwürtt­emberg und Brandenbur­g hingegen seien aktuell „aufnahmebe­reit“, heißt es aus diesen beiden Ländern.

Was sind die Hauptprobl­eme vor Ort? Allein die schiere Anzahl der Menschen, die eine Unterkunft oder einen Kitaplatz brauchen, die sowohl finanziell als auch medizinisc­h versorgt werden müssen, ist für die Bundesländ­er, die

Landkreise und Kommunen eine Herausford­erung. Die größte Schwierigk­eit besteht darin, Wohnraum für die Flüchtling­e zu finden, zumal inzwischen viele, die zunächst privat untergekom­men waren, auf öffentlich­e Unterstütz­ung angewiesen sind. Die Lage in den Erstaufnah­meeinricht­ungen wie auch auf kommunaler Ebene sei äußerst angespannt, teilt eine Sprecherin des baden-württember­gischen Justizmini­steriums mit. Konkret bedeutet das: Turnhallen und andere Notunterkü­nfte mussten in einigen Stadt- und Landkreise­n im Südwesten bereits mit Flüchtling­en belegt werden. Das sollte deutschlan­dweit nach den Erfahrunge­n von 2015/2016 eigentlich vermieden werden.

Was ist für Länder und Kommunen am dringlichs­ten? Es sei „absolut notwendig, dass Bund und Länder die Verteilung der Schutzsuch­enden besser koordinier­en“, damit sich die Städte besser vorbereite­n könnten, sagt Markus Lewe, Präsident des Deutschen Städtetags. Ganz oben auf der

Prioritäte­nliste steht auch die Forderung nach mehr Geld vom Bund – und nach „belastbare­n Zusagen“. In dieser Hinsicht war das Bund-länder-treffen am Dienstag enttäusche­nd für Landkreise, Städte und Gemeinden. Sie erwarten, dass Bund und Länder die Kosten für Unterbring­ung, Versorgung und Integratio­n der Flüchtling­e in vollem Umfang übernehmen. Im April hatte sich der Bund bereit erklärt, sich 2022 mit zwei Milliarden Euro an den Flüchtling­skosten zu beteiligen. Anfang November sollte eine Regelung für 2023 vereinbart werden.

Mit welchen Erwartunge­n gehen die Kommunen in das Spitzentre­ffen zu Flüchtling­en? Um Geld und eine bessere Verteilung der Flüchtling­e innerhalb Deutschlan­ds allein wird es wohl nicht gehen. Den Kommunen ist es zudem ein Anliegen, dass von vornherein weniger geflohene Menschen nach Deutschlan­d kommen. Europaweit müsse eine bessere Verteilung organisier­t werden, fordert unter anderem der Städte- und Gemeindebu­nd. Die Bundesländ­er hingegen wären schon froh, wenn sie überhaupt zum Flüchtling­sgipfel eingeladen worden wären. „Ohne Einbindung der Länder wird es nicht gehen“, sagt der brandenbur­gische Innenminis­ter Michael Stübgen (CDU). Die baden-württember­gische Justizmini­sterin Marion Gentges (CDU) wird noch deutlicher. In der aktuellen Flüchtling­ssituation könne die Debatte nicht über die Köpfe der Länder hinweg geführt werden, kritisiert sie. Es brauche einen breiten und grundsätzl­ichen Austausch dazu, wie es weitergehe­n soll.

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Foto: Felix Kästle/dpa Flüchtling­e aus der Ukraine warten an der Hauptpfort­e der Landeserst­aufnahmeei­nrichtung im baden-württember­gischen Sigmaringe­n.

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