„Die Grenzen sind erreicht“
Flüchtlinge Landkreise und Städte warnen, Migranten könnten schon jetzt teilweise nicht mehr untergebracht werden. Auch an Schulen und Kitas wird es eng.
Etwa zehn Millionen Flüchtlinge aus der Ukraine: Der Migrationsforscher Gerald Knaus warnte bereits im März, kurz nach Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine, vor einer gewaltigen Fluchtbewegung. Wie viele Millionen Menschen tatsächlich in die Europäische Union geflohen sind, weiß niemand so genau. Doch die Städte und Landkreise in Deutschland registrieren, dass es eng geworden ist vor Ort. „Die Grenzen der Aufnahme sind erreicht. Wir können die Unterbringung vielfach nicht mehr leisten“, klagt der Landkreistag. Unterkünfte zu finden, ist ein Riesenproblem – aber nicht das einzige. Hier die wichtigsten Fragen und Antworten zum Thema.
Wie viele Flüchtlinge sind in diesem Jahr nach Deutschland gekommen? Das Jahr 2022 hat das Potenzial, 2015/2016 mit Blick auf die Zahl der Geflüchteten zu toppen. Innerhalb von sieben Monaten kamen nach Angaben des Bundesinnenministeriums fast eine Million Flüchtlinge aus der Ukraine ins Land, rund 531 000 von ihnen haben bis Ende September einen „vorübergehenden Schutzstatus“erhalten. Das heißt, sie können bis zu drei Jahre in Deutschland bleiben. In Summe wuchs die Bevölkerung in Deutschland in diesem Jahr erstmals auf mehr als 84 Millionen Menschen an.
Wo halten sich die ukrainischen Flüchtlinge auf? So ganz genau lässt sich dies nicht sagen. Denn solange die ukrainischen Flüchtlinge – in der Mehrheit Frauen – keine staatliche Unterstützung beantragen, können sie sich frei im Schengen-raum bewegen. In Deutschland war anfangs Berlin das Ziel vieler Flüchtlinge, inzwischen wohnen die meisten in Nordrhein-westfalen (211000), Bayern (153000), Baden-württemberg (125 000), Niedersachsen (100 000) und Hessen (84 000). Das hat im September eine Anfrage des Mediendienstes Integration bei den zuständigen Ministerien der Länder ergeben. Mehrere Landesregierungen wie Sachsen, Thüringen und Rheinland-pfalz stellten vorübergehend die Aufnahme weiterer Flüchtlinge ein. Nach Bayern dürfen nur noch Ukrainer, die einen Bezug zum Freistaat haben. Badenwürttemberg und Brandenburg hingegen seien aktuell „aufnahmebereit“, heißt es aus diesen beiden Ländern.
Was sind die Hauptprobleme vor Ort? Allein die schiere Anzahl der Menschen, die eine Unterkunft oder einen Kitaplatz brauchen, die sowohl finanziell als auch medizinisch versorgt werden müssen, ist für die Bundesländer, die
Landkreise und Kommunen eine Herausforderung. Die größte Schwierigkeit besteht darin, Wohnraum für die Flüchtlinge zu finden, zumal inzwischen viele, die zunächst privat untergekommen waren, auf öffentliche Unterstützung angewiesen sind. Die Lage in den Erstaufnahmeeinrichtungen wie auch auf kommunaler Ebene sei äußerst angespannt, teilt eine Sprecherin des baden-württembergischen Justizministeriums mit. Konkret bedeutet das: Turnhallen und andere Notunterkünfte mussten in einigen Stadt- und Landkreisen im Südwesten bereits mit Flüchtlingen belegt werden. Das sollte deutschlandweit nach den Erfahrungen von 2015/2016 eigentlich vermieden werden.
Was ist für Länder und Kommunen am dringlichsten? Es sei „absolut notwendig, dass Bund und Länder die Verteilung der Schutzsuchenden besser koordinieren“, damit sich die Städte besser vorbereiten könnten, sagt Markus Lewe, Präsident des Deutschen Städtetags. Ganz oben auf der
Prioritätenliste steht auch die Forderung nach mehr Geld vom Bund – und nach „belastbaren Zusagen“. In dieser Hinsicht war das Bund-länder-treffen am Dienstag enttäuschend für Landkreise, Städte und Gemeinden. Sie erwarten, dass Bund und Länder die Kosten für Unterbringung, Versorgung und Integration der Flüchtlinge in vollem Umfang übernehmen. Im April hatte sich der Bund bereit erklärt, sich 2022 mit zwei Milliarden Euro an den Flüchtlingskosten zu beteiligen. Anfang November sollte eine Regelung für 2023 vereinbart werden.
Mit welchen Erwartungen gehen die Kommunen in das Spitzentreffen zu Flüchtlingen? Um Geld und eine bessere Verteilung der Flüchtlinge innerhalb Deutschlands allein wird es wohl nicht gehen. Den Kommunen ist es zudem ein Anliegen, dass von vornherein weniger geflohene Menschen nach Deutschland kommen. Europaweit müsse eine bessere Verteilung organisiert werden, fordert unter anderem der Städte- und Gemeindebund. Die Bundesländer hingegen wären schon froh, wenn sie überhaupt zum Flüchtlingsgipfel eingeladen worden wären. „Ohne Einbindung der Länder wird es nicht gehen“, sagt der brandenburgische Innenminister Michael Stübgen (CDU). Die baden-württembergische Justizministerin Marion Gentges (CDU) wird noch deutlicher. In der aktuellen Flüchtlingssituation könne die Debatte nicht über die Köpfe der Länder hinweg geführt werden, kritisiert sie. Es brauche einen breiten und grundsätzlichen Austausch dazu, wie es weitergehen soll.