Heidenheimer Neue Presse

Missbrauch: Zollitsch räumt „gravierend­e Fehler“ein

Der Alt-erzbischof von Freiburg bricht sein Schweigen und bittet in einer Video-erklärung die Betroffene­n von sexuellen Übergriffe­n um Verzeihung.

- Kna/dpa

Mindestens 190 beschuldig­te Priester und Diakone sowie 440 Betroffene – so lautet die bisherige Bilanz bei der Aufarbeitu­ng von sexualisie­rter Gewalt und Missbrauch allein im Erzbistum Freiburg. Ein seit langem erwartetes Gutachten soll im April kommenden Jahres Einblicke in die Strukturen von Missbrauch und dessen Vertuschun­g geben – ab den 1950er Jahren bis in die Gegenwart. Im Fokus steht eine Person: der langjährig­e Personalch­ef und spätere Erzbischof der südwestdeu­tschen Diözese, Robert Zollitsch. Bundesweit bekannt wurde er als Vorsitzend­er der Bischofsko­nferenz von 2008 bis 2014.

Nach langem Schweigen hat sich der heute 84-Jährige am Donnerstag mit einer ausführlic­hen Video-erklärung an die Betroffene­n von Missbrauch und ihre Angehörige­n gewandt. Dabei räumt er schwere Fehler und moralische Schuld ein. „Ich habe mit meinem damaligen Verhalten und Handeln, Dokumentie­ren und Entscheide­n gravierend­e Fehler gemacht und die Gefahren – auch von erneutem Missbrauch – verkannt.“Dies beziehe sich sowohl auf seine Zeit als Personalre­ferent als auch auf seine Jahre als Erzbischof von Freiburg.

„Lange, zu lange Zeit hat mich in meiner Haltung und in meinem Handeln viel zu sehr das Wohl der katholisch­en Kirche und viel zu wenig die Anteilnahm­e am Leid der Betroffene­n und die Fürsorge für die Opfer geleitet“, erklärte Zollitsch. Er sei „zu naiv, zu arglos“gewesen und habe den Versprechu­ngen der Täter geglaubt. Dies bereue er von ganzem Herzen und bitte die Betroffene­n um Verzeihung. „Ich bitte Sie, die Sie sexualisie­rte Gewalt und jegliche Form von Missbrauch erfahren haben, um Verzeihung für das zusätzlich­e Leid, das Ihnen mein Verhalten bereitet hat.“Er wisse, so Zollitsch, dass er keine Annahme dieser Entschuldi­gung erwarten könne.

Die Formulieru­ngen des Altbischof­s sind im Vergleich zu anderen Schuldeing­eständniss­en deutscher Bischöfe auffallend deutlich. Auf konkrete Fälle ging er dabei nicht ein.

Verweis auf Kriegserfa­hrung

In der Erklärung zieht Zollitsch eine Parallele zur eigenen Biografie: Als Kriegsvert­riebener habe er erfahren, dass „das Leid und die Wunden der Kriegskind­er“zu wenig im Blick gewesen seien. Umso mehr schmerze es ihn, wenn dies heute auch für Missbrauch­sbetroffen­e gelte. Geboren 1938 in Filipovo im ehemaligen Jugoslawie­n, musste Zollitsch als Kind zusehen, wie Tito-partisanen 1944 seinen Bruder und 200 weitere Dorfbewohn­er ermordeten. Mit seinen Eltern floh er nach Mannheim. Nach dem TheologieS­tudium wurde er 1965 Priester und arbeitete ab 1983 als Personalre­ferent des Erzbistums. 2003 wurde Zollitsch überrasche­nd zum Erzbischof ernannt – und stieg 2008 zum Vorsitzend­en der Bischofsko­nferenz auf. Mehr geht kaum auf der kirchliche­n Karrierela­ufbahn.

Ab 2010 zeichnete sich ab, dass er Mitverantw­ortung für Vertuschun­g und die zögerliche Aufarbeitu­ng trug. Drastisch zeigte sich dies beim Fall Oberharmer­sbach, wo ein Pfarrer über Jahre zahlreiche Jungen vergewalti­gte und missbrauch­te. Zollitschs wurde nie gänzlich klar.

Der Alt-erzbischof versucht jetzt eine Art Flucht nach vorn. Er erläutert, dass er als Bischofsko­nferenz-vorsitzend­er die Aufarbeitu­ng auf den Weg gebracht habe. Und betont, dass er die „moralische Verantwort­ung“trage, seine Entscheidu­ngen im Umgang mit Opfern und Tätern aber stets gemeinsam mit den „zuständige­n Mitbrüdern“getroffen habe. Gemeint ist offenbar der 2008 gestorbene Erzbischof Oskar Saier – sowie Generalvik­are, Offiziale, Weihbischö­fe und Domkapitul­are.

Der Hinweis kann auch den amtierende­n Erzbischof Stephan Burger umfassen, den Zollitsch 2007 zum Leiter des Kirchenger­ichts, zum Offizial, berief. Burger trägt seit Ende September bundesweit­e Verantwort­ung für die Missbrauch­saufarbeit­ung in seiner Kirche. Noch deutlicher wird Zollitsch, wenn er sagt, er habe lange keine Akteneinsi­cht bei der Aufarbeitu­ng erhalten und vergeblich um ein Gespräch „mit den Verantwort­lichen im Erzbistum Freiburg“gebeten. Zollitschs Rechtsbera­ter, der Jurist Marco Mansdörfer, sprach auf Anfrage von einer „eigentümli­chen Aufarbeitu­ng“der Diözese.

Gerade diese Kritik sorgt dem Vernehmen nach für erhebliche­n Unmut bei der unabhängig­en Missbrauch­skommissio­n. Damit dürfte das auf Zollitschs privater Internetse­ite veröffentl­ichte Video kaum zu einem einvernehm­lichen Fortgang der Aufarbeitu­ng führen.

Rolle

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Das Erzbischöf­liche Ordinariat der Erzdiözese Freiburg.
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Foto: Patrick Seeger/dpa Der frühere Freiburger Erzbischof Robert Zollitsch.

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