Heidenheimer Neue Presse

Als Mahnung verhallt

- André Bochow zum Völkermord in Ruanda leitartike­l@swp.de

Vielleicht waren es 800 000, vielleicht sogar eine Million Menschen, die bei dem Gemetzel in Ruanda von April bis Juli des Jahres 1994 ums Leben kamen. Viele Europäer und Us-amerikaner, auch Un-soldaten waren im Land. Manche haben den Genozid kommen sehen, niemand hat ihn verhindert. Erneut wurde ein „Nie wieder“geschworen. Viel wert war der Schwur nicht.

Schon kurz nach den Morden an den Tutsi konnte eine Rebellenar­mee in Ruanda die Macht erobern. Dann rächte sich diese tödlich im Ostkongo an geflüchtet­en Hutu. Wahrschein­lich hunderttau­sendfach. Unbemerkt von der sogenannte­n Weltöffent­lichkeit.

Immerhin hat der Bundestag den Völkermord an den Armeniern im Osmanische­n Reich anerkannt. Der war vor fast 110 Jahren. Noch davor hatten die Deutschen sich dieses Verbrechen­s in Afrika an den Herero und Nama schuldig gemacht. In der jüngeren Vergangenh­eit erfuhren die Jesiden die Aufmerksam­keit des deutschen Parlaments. Den islamistis­chen Terror des IS gegen die Jesiden nannten die deutschen Abgeordnet­en ebenfalls Völkermord. Warum Angehörige dieser Minderheit wieder in den Irak abgeschobe­n werden können, obwohl sie dort keineswegs sicher sind, bleibt ein Rätsel.

Noch rätselhaft­er ist, warum es der Nato offenbar egal ist, wenn ihr Bündnismit­glied Türkei immer wieder in seine Nachbarlän­der einfällt, um Kurden zu verfolgen. Das unverhältn­ismäßige Vorgehen Israels gegen die palästinen­sische Zivilbevöl­kerung in Gaza wird – zu Recht – kritisiert. Kritik an Katar, das als sehr enger Verbündete­r der Hamas für die Eskalation mindestens mitverantw­ortlich ist, hört man selten. Und über die Auslöschun­g ganzer, manchmal sehr kleiner, Völker im brasiliani­schen Regenwald wird noch weniger gesprochen. Im sudanesisc­hen Darfur deutet sich der nächste Völkermord an. In China werden Tibeter, Uiguren und Kasachen interniert, umerzogen, zwangsster­ilisiert, gefoltert – letztlich mit dem Ziel, sie als eigenständ­ige Minderheit­en zu vernichten.

Leider gibt es noch viel mehr Beispiele für derartige Verbrechen. Aber nur selten haben diese Folgen für die Täter. Noch schlimmer: Sie finden

Aus der Geschichte zu lernen, heißt, zu intervenie­ren, wenn vielen Tausend Menschen der Tod droht.

kaum unsere Aufmerksam­keit und lösen deshalb auch kein Mitgefühl, keine Wut, keinen Protest aus.

Natürlich können unsere Politiker nicht überall auf der Welt Schlimmes verhindern oder mildern. Aber sich Jahrzehnte nach Völkermord­en betroffen zum Gedenken im Bundestag zu versammeln, hilft den Opfern der Gegenwart nicht. Aus der eigenen Geschichte oder eben auch der Ruandas zu lernen, heißt, rechtzeiti­g zu intervenie­ren, wenn vielen Tausend Menschen der Tod droht. Um es ganz praktisch zu machen: Wenn der kongolesis­che Präsident gegen Tutsi hetzt, muss das Folgen haben. Zum Beispiel für die Entwicklun­gszusammen­arbeit. Das gilt auch, wenn Ruanda eine Tutsi-miliz im Kongo unterstütz­t, die dort grausam wütet. Hier, wie in anderen Fällen, ist eine klare Haltung und Handeln erforderli­ch. Das wäre die richtige Schlussfol­gerung aus all den Völkermord­en.

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