Als Mahnung verhallt
Vielleicht waren es 800 000, vielleicht sogar eine Million Menschen, die bei dem Gemetzel in Ruanda von April bis Juli des Jahres 1994 ums Leben kamen. Viele Europäer und Us-amerikaner, auch Un-soldaten waren im Land. Manche haben den Genozid kommen sehen, niemand hat ihn verhindert. Erneut wurde ein „Nie wieder“geschworen. Viel wert war der Schwur nicht.
Schon kurz nach den Morden an den Tutsi konnte eine Rebellenarmee in Ruanda die Macht erobern. Dann rächte sich diese tödlich im Ostkongo an geflüchteten Hutu. Wahrscheinlich hunderttausendfach. Unbemerkt von der sogenannten Weltöffentlichkeit.
Immerhin hat der Bundestag den Völkermord an den Armeniern im Osmanischen Reich anerkannt. Der war vor fast 110 Jahren. Noch davor hatten die Deutschen sich dieses Verbrechens in Afrika an den Herero und Nama schuldig gemacht. In der jüngeren Vergangenheit erfuhren die Jesiden die Aufmerksamkeit des deutschen Parlaments. Den islamistischen Terror des IS gegen die Jesiden nannten die deutschen Abgeordneten ebenfalls Völkermord. Warum Angehörige dieser Minderheit wieder in den Irak abgeschoben werden können, obwohl sie dort keineswegs sicher sind, bleibt ein Rätsel.
Noch rätselhafter ist, warum es der Nato offenbar egal ist, wenn ihr Bündnismitglied Türkei immer wieder in seine Nachbarländer einfällt, um Kurden zu verfolgen. Das unverhältnismäßige Vorgehen Israels gegen die palästinensische Zivilbevölkerung in Gaza wird – zu Recht – kritisiert. Kritik an Katar, das als sehr enger Verbündeter der Hamas für die Eskalation mindestens mitverantwortlich ist, hört man selten. Und über die Auslöschung ganzer, manchmal sehr kleiner, Völker im brasilianischen Regenwald wird noch weniger gesprochen. Im sudanesischen Darfur deutet sich der nächste Völkermord an. In China werden Tibeter, Uiguren und Kasachen interniert, umerzogen, zwangssterilisiert, gefoltert – letztlich mit dem Ziel, sie als eigenständige Minderheiten zu vernichten.
Leider gibt es noch viel mehr Beispiele für derartige Verbrechen. Aber nur selten haben diese Folgen für die Täter. Noch schlimmer: Sie finden
Aus der Geschichte zu lernen, heißt, zu intervenieren, wenn vielen Tausend Menschen der Tod droht.
kaum unsere Aufmerksamkeit und lösen deshalb auch kein Mitgefühl, keine Wut, keinen Protest aus.
Natürlich können unsere Politiker nicht überall auf der Welt Schlimmes verhindern oder mildern. Aber sich Jahrzehnte nach Völkermorden betroffen zum Gedenken im Bundestag zu versammeln, hilft den Opfern der Gegenwart nicht. Aus der eigenen Geschichte oder eben auch der Ruandas zu lernen, heißt, rechtzeitig zu intervenieren, wenn vielen Tausend Menschen der Tod droht. Um es ganz praktisch zu machen: Wenn der kongolesische Präsident gegen Tutsi hetzt, muss das Folgen haben. Zum Beispiel für die Entwicklungszusammenarbeit. Das gilt auch, wenn Ruanda eine Tutsi-miliz im Kongo unterstützt, die dort grausam wütet. Hier, wie in anderen Fällen, ist eine klare Haltung und Handeln erforderlich. Das wäre die richtige Schlussfolgerung aus all den Völkermorden.