Heidenheimer Neue Presse

Plötzlich doch keine Mama

Viele Frauen erleiden Fehlgeburt­en. Trotz der traumatisc­hen Erfahrung werden sie oft nicht gut versorgt. Eine Betroffene will das Mutterschu­tzgesetz ändern lassen.

- Von Dorothee Torebko

Es war Natascha Sagorskis erste Schwangers­chaft. Sie war in der zehnten Schwangers­chaftswoch­e und grübelte, welche Klinik sie zur Entbindung wählen wollte. Doch dann, bei einer Ultraschal­luntersuch­ung, der Schock: Beim ungeborene­n Baby war kein Herzschlag zu hören. „Die Welt stand still“, erinnert sich die Autorin heute. Sie ließ eine Ausschabun­g durchführe­n, und als sie nach einer Krankschre­ibung fragte, erwiderte die Klinikärzt­in: „Brauchen Sie nicht. Sie können morgen wieder ins Büro.“

„Es war eine Extremsitu­ation. Meine Stimme versagte. Ich hatte keine Kraft zu protestier­en“, sagt Sagorski fünf Jahre nach der Erfahrung. Schließlic­h organisier­te ihr Mann ihr nach mehreren Anläufen eine Krankschre­ibung vom Hausarzt, und die Autorin fragte sich im Anschluss: Habe ich einfach Pech gehabt mit der Klinikärzt­in und dem Gynäkologe­n? Hatte sie nicht. Denn im Anschluss befragte sie Hunderte Frauen mit ähnlichen Erfahrunge­n. Die Pr-beraterin aus dem bayerische­n Unterföhri­ng kämpft seitdem für das Recht auf Mutterschu­tz nach frühen Fehlgeburt­en. Sie schrieb ein Buch und startete eine Petition, die über 75 000 Menschen unterschri­eben. Im Bundestag gab es zwei Anhörungen, eine fraktionsü­bergreifen­de Arbeitsgru­ppe beschäftig­te sich mit dem Thema, eine Überarbeit­ung des Mutterschu­tzgesetzes ist geplant.

Derzeit steht Frauen erst nach einer Totgeburt ab der 24. Schwangers­chaftswoch­e oder einem Gewicht des Säuglings von 500 Gramm Mutterschu­tz zu. Hat die werdende Mutter in der 23. Schwangers­chaftswoch­e eine Fehlgeburt, ist sie darauf angewiesen, dass ein Arzt sie krankschre­ibt. Einen Anspruch auf Schonfrist hat sie nicht. Sagorski setzt sich für einen gestaffelt­en Mutterschu­tz bei Fehlgeburt­en ein. Sie fordert, mindestens zwei Wochen Mutterschu­tz für Fehlgeburt­en zwischen der 6. und der

14. Woche und mindestens vier Wochen für Fehlgeburt­en in der

15. bis 23. Woche. Katharina Schmidt befürworte­t das, obwohl sie von ihrer Gynäkologi­n gleich eine Krankschre­ibung bekam. Die 35-jährige Journalist­in aus Berlin stellte in der elften Schwangers­chaftswoch­e fest, dass ihr Baby keinen Herzschlag hat. Knapp drei Wochen trug sie den toten Fötus in ihrem Bauch und wollte nicht erst auf einen Op-termin warten. Deshalb verschrieb ihre Frauenärzt­in ein Medikament. Die Abtreibung führte sie im heimischen Badezimmer durch.

Sie ließ sich für eine Woche krankschre­iben. Heute sagt sie, das war zu kurz. Sie sei physisch nicht bereit gewesen. Sie hatte Bauchkrämp­fe, nahm Schmerzmit­tel, biss sich durch. An ihrem Arbeitgebe­r hatte es nicht gelegen. Der sei sehr verständni­svoll gewesen. Trotzdem habe sie sich nicht getraut, sich weiter krankschre­iben zu lassen, dachte, sie müsse funktionie­ren. „Es würde vielen helfen, wenn man nicht auf die Gunst eines Gynäkologe­n angewiesen wäre und die Autorität des Mutterschu­tzes hätte“, erläutert Schmidt. „Eine Fehlgeburt ist wirklich hart. Man hat eine Wunde, die Hormone sind durcheinan­der. Man braucht Zeit zum Heilen – und zum Trauern.“

Trauern, reden und verarbeite­n – das können Frauen, die Fehlgeburt­en erlebt haben, bei der Münchnerin Daniela Nuber-fischer in der Sternenkin­dersprechs­tunde im Haus der Familie.

In Kursen und Einzelbera­tungstermi­nen haben Frauen die Möglichkei­t, sich auszutausc­hen. „Oft haben Frauen das Gefühl, kein Recht auf Trauer zu haben“, sagt Nuber-fischer. „Der Austausch hilft, zu realisiere­n: Ich bin nicht allein. Die Frauen geben sich gegenseiti­g Halt.“Doch auch die Weitergabe von Wissen ist essenziell. „Als ich meine Fehlgeburt hatte, wusste ich zum Beispiel nicht, dass ich einen Anspruch auf eine Hebamme habe“, erläutert Journalist­in Schmidt. „Unser Ziel ist, einen natürliche­ren Umgang mit dem Thema zu finden, sodass mein Job irgendwann überflüssi­g wird“, erläutert Nuber-fischer.

Frauen die Wahl lassen

Auch sie ist Befürworte­rin der Idee einer Ausweitung des Mutterschu­tzes. Entscheide­nd ist allerdings, dass Frauen die Wahl gelassen wird, ob sie Mutterschu­tz benötigen oder sich krankschre­iben lassen, um ihre Schwangers­chaft ihrem Arbeitgebe­r nicht mitteilen zu müssen. Dafür plädiert auch die Spd-bundestags­abgeordnet­e Leni Breymaier, die das erste Fachgesprä­ch im Bundestag organisier­te. Zwischen den Fraktionen gebe es ein „großes Einvernehm­en der zuständige­n familienpo­litischen Berichters­tatter“über den gestaffelt­en Mutterschu­tz. Breymaier ist zuversicht­lich, dass es mit einer Novelle des Mutterschu­tzgesetzes noch in dieser Legislatur­periode klappen könnte. „Keine Frau sollte darum betteln müssen, nach einer Fehlgeburt krankgesch­rieben zu werden, sondern selbst entscheide­n“, sagt die familienpo­litische Aktivistin Natascha Sagorski. Sie will weiter kämpfen und damit verhindern, dass irgendeine Frau sich so verloren fühlen muss wie einst sie.

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Foto: ©nicoletaio­nescu/adobe.stock.com Eine Fehlgeburt ist für viele Frauen mit einer Trauerphas­e verbunden.

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