„Kompletter Kontrollverlust“
Eine Fehlgeburt ist für Frauen häufig ein tiefer Einschnitt. Psychologin Antje-kathrin Allgaier von der Universität der Bundeswehr München weiß, was dann hilft.
Welche psychischen Folgen haben Fehlgeburten? Antje-kathrin Allgaier:
Fast alle Frauen zeigen eine Trauerreaktion. Es gibt Frauen, die den Verlust schnell verarbeiten und mithilfe ihres Umfelds bewältigen können, doch das ist nicht immer so. Einige sind längerfristig psychisch belastet oder entwickeln psychische Störungen.
Wie viele sind das?
Das ist schwierig zu beziffern, nach wie vor ist der Forschungsbedarf immens. In einer Studie, die 2021 im medizinischen Fachjournal „The Lancet“erschienen ist, haben Wissenschaftler festgestellt, dass nach neun Monaten 18 Prozent der befragten Frauen mit Fehlgeburten posttraumatische Belastungssymptome erleben. 17 Prozent haben moderate oder schwere Angstsymptome und sechs Prozent hatten moderate oder schwere depressive Symptome.
Was haben Sie in Ihrer Studie herausgefunden?
Wir haben zirka 180 Frauen, die Verluste erlebt haben, befragt, und den Vergleich zu zwei Kontrollgruppen gezogen. Die erste Kontrollgruppe waren Mütter, die im letzten Jahr ein lebendes Kind geboren haben. Die andere Gruppe waren Mütter, die mindestens ein Kind im Alter von 1 bis 17 Jahren hatten. Wir konnten im Vergleich dieser Gruppen signifikante Unterschiede im Hinblick auf zwei Störungen finden: Anpassungsstörungen und wiederauftretende Depressionen sind bei Frauen mit Fehlgeburten häufiger aufgetreten. Das deckt sich mit den bisherigen Studien.
Wie kann Hilfe aussehen?
Wichtig ist, dass Frauen die Wahlfreiheit haben. Eine Fehlgeburt bedeutet einen kompletten Kontrollverlust. Die Auseinandersetzung damit ist eine Möglichkeit, Kontrolle zurückzubekommen. Dabei ist wichtig, dass jede Frau über das Wie selbst entscheidet. Es sollte keine Dogmen geben, wie ein Abschied stattfindet. Zudem sind gute Früherkennungsinstrumente entscheidend, um zu erkennen, welche Frau ein höheres Risiko einer psychischen Störung hat. Das medizinische Personal muss in Gesprächsführungskompetenzen geschult sein, um die schlechte Nachricht überbringen zu können. Schließlich ist es wichtig, dass die Player wie Gynäkologen, Beratungsstellen und Psychotherapeutinnen besser miteinander vernetzt sind, um den Betroffenen zu helfen.