Verbindliche Standards fehlen
Für den ab 2026 in Aussicht gestellten Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung für Grundschüler gibt es bisher kaum Qualitätsvorgaben.
In etwa zwei Jahren werden sich Eltern von Kindern, die im Sommer 2026 eingeschult werden, entscheiden dürfen – und müssen: Möchten sie, dass ihr Kind als Erstklässler eine Halb- oder Ganztagsschule besucht? Und falls Ganztag: Soll es eine „echte“Ganztagsschule sein, in der ein Schultag sieben oder acht Stunden dauert? Oder geht es eher um die klassische Vormittagsschule plus Mittagessen und Betreuung an Nachmittagen?
Diese Eltern der heute meist vierjährigen Kinder sind die ersten, die einen Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung für ihr Kind gegenüber dem Staat geltend machen können. Der Anspruch richtet sich an die Landkreise und wächst anschließend jährlich um einen Jahrgang auf, bis er 2029 für alle Grundschüler gilt.
Sehr viel mehr als dieser Anspruch und dessen zeitliche Umfänge aber ist bisher nicht geregelt. Ein Beispiel dafür ist die sogenannte Meldepflicht: Dass Erziehungsberechtigte jährlich zu einem Stichtag ihren Bedarf verbindlich für das kommende Schuljahr mitteilen müssen, ist im Südwesten bisher gesetzlich nicht geklärt.
Zwar bereitet das Kultusministerium eine solche Klausel vor, doch Näheres ist offen. Kreise und Kommunen, die den Rechtsanspruch erfüllen müssen, wünschen sich eine möglichst „harte“Regelung. Ihnen schwebt etwa der 1. Februar als Stichtag für die verbindliche Meldung eines
Platzbedarfs ab August vor. „Wir müssen schließlich planen können“, heißt es bei Kommunalverbänden.
Auch sonst ist beim Ganztagsrechtsanspruch, den Bund und Länder 2021 beschlossen haben, vieles ungeklärt: Zu Themen wie Finanzierung, rechtlichen Rahmenbedingungen, Personal oder Qualitätsstandards stehen Fragen im Raum.
Neben den auf Klärung dringenden Kommunen mahnt auch die Opposition im Landtag die Landesregierung zur Eile. Einen Forderungskatalog hat nun die Fdp-fraktion vorgelegt. Nicht nur solle die grün-schwarze Landesregierung den Kommunen das zur Umsetzung nötige Geld zur Verfügung stellen. Auch müsse es verbindliche Qualitätsstandards geben – ein heikles Thema.
Denn Baden-württemberg ist das Bundesland mit dem größten Aufholbedarf bis 2026. Das Deutsche Jugendinstitut rechnet damit, dass hier bis 2029 zwischen 60 000 und 87 000 Betreuungsplätze fehlen, um den Elternbedarf zu stillen. Das dürfte kaum zu schaffen sein.
Das Land hat sich daher einen Sonderweg ausbedungen. Der Bund hatte bei den Verhandlungen verbindliche Mindeststandards
für kommunale Ganztagsangebote gefordert, etwa für Kinderschutz und Bildungsqualität. Solche Angebote müssten unter Aufsicht des Landes gestellt werden, oder einer Betriebserlaubnis nach dem Sozialgesetzbuch unterliegen.
Das lehnte das Land ab, weil klar war, dass es nicht genügend solcher Angebote geben würde. Der Kompromiss bestand darin, dass das Land kommunale Angebote unter Aufsicht der Schulverwaltung stellte – wobei Experten kritisieren, diese sei gar nicht in der Lage, die Aufgabe zu erfüllen.
Im Ergebnis gibt es bisher keine verbindlichen Vorgaben für die Arbeit mit Kindern in der Ganztagsbetreuung. Nur ein polizeiliches Führungszeugnis muss alle drei Jahre vorgelegt werden. Nach Standards befragt verweist ein Sprecher des Kultusministeriums auf einen mit den Kommunen vereinbarten „Qualitätsrahmen“, der jedoch Eltern keine einklagbaren Qualitätsansprüche zubilligt. „Um die Qualität des Ganztags muss sich deshalb niemand Sorgen machen“, befand der Sprecher.
Wenig Spielraum
Opposition im Landtag mahnt zur Eile.
Auch die FDP sieht angesichts des bestehenden Fachkräftemangels keine Möglichkeiten, den Kommunen Qualitätsvorgaben zu machen oder das Personal einzuschränken, verlangt aber zumindest Bemühungen, wie der zuständige Abgeordnete Dennis Birnstock bei der Vorstellung des Forderungskatalogs sagte.
So solle das Land einen Fachkräftekatalog erarbeiten und Personen, die ohne einschlägige Qualifikationen oder Erfahrungen Grundschüler betreuen, eine „niedrigschwellige Basisqualifikation mit anschließender Weiterbildung“ermöglichen.
„Die derzeit gelebte Praxis, dass jede beliebige Person durch das bloße Vorlegen eines polizeilichen Führungszeugnisses und ohne jegliche pädagogische Voroder Grundkenntnisse die Hausaufgabenbetreuung oder Aufsicht bei Grundschulkindern übernehmen kann, muss sich im Rahmen einer angemessenen Übergangsfrist ändern“, fordert deshalb die Fdp-fraktion.