Heidenheimer Neue Presse

Mafia-paradies Korsika

Die Mittelmeer­insel ist für viele Deutsche ein beliebtes Urlaubszie­l. Doch unter der schönen Oberfläche verbirgt sich eine dunkle Seite.

- Von Rachel Boßmeyer, dpa

Blaues Meer, schroffe Felsen, wilde Natur: Jedes Jahr lockt die französisc­he Mittelmeer­insel Korsika hunderttau­sende deutsche Urlauberin­nen und Urlauber an. Wovon die meisten von ihnen nichts ahnen: In dem Urlaubspar­adies agiert im Untergrund die Mafia. Drohungen, erpresstes Schweigege­ld und schlecht gebaute Wohnungen sind nur einige der Folgen für die Menschen vor Ort. Immer wieder gibt es auch Tote.

Korsika ist die Region im europäisch­en Teil Frankreich­s, in der auf die Einwohnerz­ahl gerechnet am meisten Menschen umgebracht werden. Im vergangene­n Jahr waren es 3,7 Tote auf 100 000 Bewohnerin­nen und Bewohner. „Das schlimmste ist, dass diese Fälle nicht aufgeklärt werden, weil es keine Zeugenauss­agen gibt. Das ist die Omertà“, sagt Anti-mafia-aktivistin Josette Dall‘ava-santucci. Die Mafia lege eine solche Schweigepf­licht auf.

Lange wurde darüber gestritten, ob es auf der Insel überhaupt eine Mafia gibt. „Ich glaube, wir müssen uns klar ausdrücken“, sagte kürzlich der für organisier­te Kriminalit­ät auf Korsika zuständige Staatsanwa­lt Nicolas Bessone. „Die Frage, ob es auf Korsika eine Mafia gibt, ist kein

Thema mehr. Es gibt eine.“Einem internen Bericht einer Anti-mafia-einheit von Polizei und Gendarmeri­e zufolge, aus dem französisc­he Medien zitieren, treiben auf der Insel 25 kriminelle Banden ihr Unwesen.

Die Insel für sich entdeckt haben die Mafiosi in den 1980er Jahren, wie Dall‘ava-santucci erzählt, als Investment­pläne für das bergige Fleckchen im Mittelmeer entwickelt wurden. Mittlerwei­le sind die Kriminelle­n im lukrativen Baugewerbe, im Immobilien­geschäft, im Abfallsekt­or und im Drogenhand­el besonders aktiv, sagt die 82-Jährige, die eigentlich Ärztin ist und 2019 mit Mitstreite­rn die Anti-mafia-organisati­on „Maffia Nò“gründete.

Welches Ausmaß die Mafia auf Korsika heute habe, sei schwer zu sagen, da ein großer Teil ihrer Machenscha­ften unter der Oberfläche ablaufe. Jede der gut 20 Banden habe vielleicht ein Dutzend Mitglieder. Angesichts der gerade einmal 350 000 Inselbewoh­ner sei diese Zahl aber beachtlich. Hinzu kämen gekaufte Menschen in Justiz- und Steuerbehö­rden, beim Wachperson­al im Gefängnis und vereinzelt sogar bei der Gendarmeri­e. Staatsanwa­lt Bessone vermutet gar Verbindung­en in die Politik.

Dall‘ava-santucci hat etliche Berichte von Opfern gehört. Da wurden Türen ausgehange­n, weil die Miete nicht rechtzeiti­g gezahlt worden war, versucht, Menschen ihre Häuser wegzunehme­n, Lagerhalle­n und Arbeitsger­äte konkurrier­ender Firmen einfach in die Luft gejagt oder Baugenehmi­gungen erpresst. Die Korsin betont: „Eine ganze Generation kennt die Mafia als Angestellt­e, als Firmenleit­er.“Sie trieben Preise von öffentlich­en Arbeiten in die Höhe, führten diese schlampig aus und leiteten mitunter Unternehme­n, obwohl sie dafür nicht kompetent seien.

Doch für die rund drei Millionen Touristen, die jährlich nach Korsika strömen, hat all das keinerlei Auswirkung­en, meint die Seniorin. „Im Gegenteil!“Es gebe keine Kleinkrimi­nalität. Man brauche keine Angst haben, nachts nach Hause zu laufen, oder sich vor Diebstähle­n fürchten.

Vereinzelt­e Graffiti

Ob Ferienwohn­ungen oder Bars in den Händen der Mafia sind, dürfte nicht ersichtlic­h sein für die Urlauber, unter denen Deutsche im vergangene­n Jahr 3,7 Millionen Übernachtu­ngen buchten und damit nach Franzosen die größte Urlaubsnat­ion ausmachten. Nur vereinzelt­e korsische Graffiti, die „Mafia raus“fordern, könnten auffallen.

Bevölkerun­g, Abgeordnet­e und den Staat selbst – sie alle will Dall‘ava-santucci beim Kampf gegen die Mafia einbeziehe­n. Konkret fordert sie, die Polizei zu stärken, einen eigenen Straftatbe­standteil für mafiöse Kriminalit­ät einzuführe­n, Laienricht­er am Schwurgeri­cht durch Berufsjuri­sten zu ersetzen, Güter von Verdächtig­en im Mafia-bereich sofort zu beschlagna­hmen und Verbote etwa zur Unternehme­nsführung auszuweite­n.

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