Heidenheimer Neue Presse

Dieser Coup ist zu irre, um wahr zu sein

Dienstboti­nnen als Einbrecher­bande: Alex Hay macht in „Mayfair House“zu wenig aus einer sehr guten Ausgangsid­ee.

- Marcus Golling

Wie dieser William de Vries zu seinem Vermögen gekommen war, das wusste vermutlich nur er selbst genau. Die größte Villa an der Londoner Park Lane, Kristalleu­chter an den Decken, Vandyck-gemälde an den Wänden: Er selbst hat von all dem nichts mehr, er ist tot. Aber ein paar Frauen sind scharf auf die Reichtümer. Und sie wollen sie sich ausgerechn­et in der Nacht unter den Nagel reißen, in der die offenbar nicht sehr traurige Tochter de Vries mit illustren Gästen einen gigantisch­en Kostümball auf der Beletage feiert.

Der Engländer Alex Hay erzählt in seinem Debütroman „Mayfair House“(im Original „The Housekeepe­rs“) von einem unglaublic­hen Coup. Nachdem die Wirtschaft­erin Mrs. King nach einem nächtliche­n Besuch im Quartier der männlichen Dienstbote­n gefeuert wird, will sie sich rächen – und schart andere ausgeboote­te Frauen um sich. Der verrückte Plan: Die Bande will das Haus bis auf den letzten Silberlöff­el ausräumen.

„Mayfair House“, angesiedel­t im Jahr 1905, bringt vieles zusammen, was im Kino und im Fernsehen gefragt ist: einen Raubzug wie in den „Ocean’s Eleven“-filmen, Kostüme und Intrigen wie in „Bridgerton“und einen Zweiklasse­n-mikrokosmo­s wie in „Downton Abbey“. Wobei Hay eher den bunten und rauschhaft­en Teil der Story liebt.

Wenig Licht ins Dunkel

Spannung kommt allerdings nur zum Teil auf: Die Vorbereitu­ngen sind fesselnder als der eigentlich­e Raubzug. Der Beweis, dass der Jahrhunder­tcoup gelingen kann, gelingt dem Autor nicht so recht – und leider nimmt er der Rache der Subalterne­n durch familiäre Motive das revolution­äre Potenzial. Beim finsteren Geheimnis des „Mayfair House“, das sich in der Mitte der Geschichte andeutet, bleibt er zudem seltsam diskret. Wurden hier nach dem „sensitivit­y reading“Triggerthe­men vorsorglic­h entfernt?

So bleibt dieser durchaus unterhalts­ame, formal und sprachlich aber konvention­elle Roman unter seinen Möglichkei­ten: Statt eines soziologis­chen Krimis bekommen Leserinnen und Leser nur eine Ausstattun­gsorgie, wie man beim Film wohl sagen würde. Immerhin: Einige Figuren – vor allem die abgebrühte Unterwelt-patronin Mrs. Bone – wachsen einem ans Herz. Als Serie würde diese Geschichte besser funktionie­ren. Kommt ganz sicher.

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Alex Hay: Mayfair House. Übersetzt von Regina Rawlinson. Insel Verlag, 405 Seiten, 20 Euro.

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