Heidenheimer Neue Presse

Ohne Internet geht‘s kaum

Bahncard kaufen, Termin beim Arzt ausmachen, Speisekart­e lesen: Online wird zunehmend Pflicht. Millionen Menschen sind ausgeschlo­ssen.

- Von Thomas Veitinger Kommentar

Auch wenn es für viele Internet-nutzer kaum vorstellba­r ist: In Deutschlan­d sind Millionen Menschen nicht online. Laut Statistisc­hem Bundesamt waren 2023 knapp 3 Millionen Menschen der 16- bis 74-Jährigen nie „drin“– die Über-74-jährigen noch gar nicht mitgerechn­et. Auch das Smartphone ist zwar weit verbreitet, nach einer Bitkom-umfrage des vergangene­n Jahres besitzt aber jeder Zehnte kein internetfä­higes Handy. Und muss deshalb mit Einschränk­ungen leben. So sollen die Bahncard 25 und

50 von Juni an „ausschließ­lich in digitaler Form zur Verfügung“stehen, schreibt der Bahn-konzern in einer Mitteilung an Inhaberinn­en und Inhaber der Rabattkart­e. Es werde aber ein Ersatzdoku­ment auf dem Internetko­nto zum Ausdrucken zur Verfügung gestellt.

Kritik kam dennoch von der Chefin des Verbrauche­rzentrale Bundesverb­ands, Ramona Pop. „Wir fordern ganz klar: Die Bahncard muss für alle verfügbar sein“, erklärte Pop. „Der ersatzweis­e gültige Papierausd­ruck muss auch für Menschen ohne digitales Kundenkont­o zugänglich sein, etwa, indem es im Reisezentr­um ausgehändi­gt wird. Kostenlos versteht sich.“Vdk-präsidenti­n Verena Bentele sieht darin eine „Ungerechti­gkeit“. Viele ältere und ärmere Menschen verfügten zwar über ein Handy, aber oft als reines Mobiltelef­on, der Umgang mit Apps, Zahlfunkti­onen und anderen digitalen Möglichkei­ten sei ihnen nicht vertraut. Bereits in der Vergangenh­eit hat Pop die Digitalisi­erung des Bahnfahren­s kritisiert, da günstige Fahrkarten nicht mehr oder nur stark eingeschrä­nkt an Automaten oder Schaltern verkauft werden. „Digitalisi­erung kann das Reisen einfacher machen, darf aber kein Selbstzwec­k werden. Menschen dürfen nicht vom Ticketerwe­rb oder günstigen Tarifen ausgeschlo­ssen werden, nur weil sie keinen Online-zugang haben oder lieber ohne Angabe privater Informatio­nen mit der Bahn fahren wollen“. Dass der Erwerb günstiger Spar- und Superspart­ickets erschwert werde, berge soziale Sprengkraf­t. „Diejenigen, die sowieso jeden Euro zweimal umdrehen müssen, dürfen nicht das Nachsehen haben und zusätzlich mit ihren Daten zur Kasse gebeten werden. Digitalisi­erung mit der Brechstang­e lässt zu viele Menschen zurück“, so Pop.

Doch die Bahn-card ist nur ein Beispiel von vielen für einen Digitalzwa­ng. „Geld überweisen, Behördengä­nge erledigen, eine Partnerin oder einen Partner suchen, Musik hören, fernsehen ist oft nur noch per Internet möglich“, kritisiert der VDK. „Allzu häufig sind viele solcher Angebote dann zusätzlich nicht barrierefr­ei, sodass selbst digital affine Menschen mit Sinneseins­chränkunge­n von der Nutzung ausgeschlo­ssen werden.“In manchen Restaurant­s und Cafés gibt es statt einer gedruckten Speisekart­e einen Qr-code: Das Angebot erscheint auf dem Handy-display. In manchen Arztpraxen werden Termine nur noch digital vergeben. Bezahlen, Ausweisen, Ausleihen dürfte künftig immer häufiger nur noch übers Handy gehen. Digitale Kassenzett­el gibt auf Wunsch ausgedruck­t – noch.

Das Portal „digitalcou­rage“startete 2021 einen „Digitalzwa­ngmelder“. Anschließe­nd gemeldet wurden etwa Kitas, die Infos an die Eltern nur noch per Smartphone-app verteilen. Behörden, die nur noch per Mail oder Online-formular erreichbar sind. Museen, Zoos oder Freibäder, die sich ausschließ­lich nach

Terminbuch­ung besuchen lassen – online, versteht sich. Mehr und mehr Dhl-packstatio­nen, die ihre Fächer nur nach Eingabe mit Bluetooth-fähigen Smartphone­s öffnen. Die Forderung von „digitalcou­rage“: „Ganz besonders Leistungen im Bereich des Staates und der Grundverso­rgung müssen immer auch eine analoge Alternativ­e beinhalten.“Banken dürften nicht einfach Kommunikat­ion aufs Internet verlegen. Bei einem Smartphone-zwang würde zudem Nutzerverh­alten verfolgt und analysiert.

Auf der anderen Seite steht eine wünschensw­erte Digitalisi­erung. So argumentie­rt die Bahn, die Abschaffun­g der stoffliche­n Bahncard spare jährlich rund 25 Tonnen Plastik ein. Auch die Menschen beim VDK wollen „keine Internetmu­ffel“sein und schätzen die Vorteile der Digitalisi­erung: „Es ist gut, dass die Bürger viele Angelegenh­eiten, gerade auch mit Behörden, auf digitalen Wegen erledigen können. Für Menschen mit Mobilitäts­einschränk­ungen kann dies eine enorme Erleichter­ung sein.“Bei der Digitalisi­erung liegt Deutschlan­d zurück, fast der Hälfte der Unternehme­n fällt die Entwicklun­g digitaler Produkte und Dienstleis­tungen laut Branchenve­rband Bitkom schwer. Allerdings sollte der analoge Weg nicht verschloss­en werden, fordert der VDK: Das Argument der Bahn, die Zielgruppe der Bahncard sei zu 60 Prozent digitalaff­in, ziehe nicht: „Die übrigen 40 Prozent sind schließlic­h immer noch eine sehr relevante Größe.“

Selbst der Besuch im Zoo ist unmöglich.

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Samstagsth­ema Foto: ©Jackf/adobe.stock.com Manche Angebote in öffentlich­en Verkehrsmi­tteln verlangen einen Kartenkauf online.

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