Ohne Internet geht‘s kaum
Bahncard kaufen, Termin beim Arzt ausmachen, Speisekarte lesen: Online wird zunehmend Pflicht. Millionen Menschen sind ausgeschlossen.
Auch wenn es für viele Internet-nutzer kaum vorstellbar ist: In Deutschland sind Millionen Menschen nicht online. Laut Statistischem Bundesamt waren 2023 knapp 3 Millionen Menschen der 16- bis 74-Jährigen nie „drin“– die Über-74-jährigen noch gar nicht mitgerechnet. Auch das Smartphone ist zwar weit verbreitet, nach einer Bitkom-umfrage des vergangenen Jahres besitzt aber jeder Zehnte kein internetfähiges Handy. Und muss deshalb mit Einschränkungen leben. So sollen die Bahncard 25 und
50 von Juni an „ausschließlich in digitaler Form zur Verfügung“stehen, schreibt der Bahn-konzern in einer Mitteilung an Inhaberinnen und Inhaber der Rabattkarte. Es werde aber ein Ersatzdokument auf dem Internetkonto zum Ausdrucken zur Verfügung gestellt.
Kritik kam dennoch von der Chefin des Verbraucherzentrale Bundesverbands, Ramona Pop. „Wir fordern ganz klar: Die Bahncard muss für alle verfügbar sein“, erklärte Pop. „Der ersatzweise gültige Papierausdruck muss auch für Menschen ohne digitales Kundenkonto zugänglich sein, etwa, indem es im Reisezentrum ausgehändigt wird. Kostenlos versteht sich.“Vdk-präsidentin Verena Bentele sieht darin eine „Ungerechtigkeit“. Viele ältere und ärmere Menschen verfügten zwar über ein Handy, aber oft als reines Mobiltelefon, der Umgang mit Apps, Zahlfunktionen und anderen digitalen Möglichkeiten sei ihnen nicht vertraut. Bereits in der Vergangenheit hat Pop die Digitalisierung des Bahnfahrens kritisiert, da günstige Fahrkarten nicht mehr oder nur stark eingeschränkt an Automaten oder Schaltern verkauft werden. „Digitalisierung kann das Reisen einfacher machen, darf aber kein Selbstzweck werden. Menschen dürfen nicht vom Ticketerwerb oder günstigen Tarifen ausgeschlossen werden, nur weil sie keinen Online-zugang haben oder lieber ohne Angabe privater Informationen mit der Bahn fahren wollen“. Dass der Erwerb günstiger Spar- und Superspartickets erschwert werde, berge soziale Sprengkraft. „Diejenigen, die sowieso jeden Euro zweimal umdrehen müssen, dürfen nicht das Nachsehen haben und zusätzlich mit ihren Daten zur Kasse gebeten werden. Digitalisierung mit der Brechstange lässt zu viele Menschen zurück“, so Pop.
Doch die Bahn-card ist nur ein Beispiel von vielen für einen Digitalzwang. „Geld überweisen, Behördengänge erledigen, eine Partnerin oder einen Partner suchen, Musik hören, fernsehen ist oft nur noch per Internet möglich“, kritisiert der VDK. „Allzu häufig sind viele solcher Angebote dann zusätzlich nicht barrierefrei, sodass selbst digital affine Menschen mit Sinneseinschränkungen von der Nutzung ausgeschlossen werden.“In manchen Restaurants und Cafés gibt es statt einer gedruckten Speisekarte einen Qr-code: Das Angebot erscheint auf dem Handy-display. In manchen Arztpraxen werden Termine nur noch digital vergeben. Bezahlen, Ausweisen, Ausleihen dürfte künftig immer häufiger nur noch übers Handy gehen. Digitale Kassenzettel gibt auf Wunsch ausgedruckt – noch.
Das Portal „digitalcourage“startete 2021 einen „Digitalzwangmelder“. Anschließend gemeldet wurden etwa Kitas, die Infos an die Eltern nur noch per Smartphone-app verteilen. Behörden, die nur noch per Mail oder Online-formular erreichbar sind. Museen, Zoos oder Freibäder, die sich ausschließlich nach
Terminbuchung besuchen lassen – online, versteht sich. Mehr und mehr Dhl-packstationen, die ihre Fächer nur nach Eingabe mit Bluetooth-fähigen Smartphones öffnen. Die Forderung von „digitalcourage“: „Ganz besonders Leistungen im Bereich des Staates und der Grundversorgung müssen immer auch eine analoge Alternative beinhalten.“Banken dürften nicht einfach Kommunikation aufs Internet verlegen. Bei einem Smartphone-zwang würde zudem Nutzerverhalten verfolgt und analysiert.
Auf der anderen Seite steht eine wünschenswerte Digitalisierung. So argumentiert die Bahn, die Abschaffung der stofflichen Bahncard spare jährlich rund 25 Tonnen Plastik ein. Auch die Menschen beim VDK wollen „keine Internetmuffel“sein und schätzen die Vorteile der Digitalisierung: „Es ist gut, dass die Bürger viele Angelegenheiten, gerade auch mit Behörden, auf digitalen Wegen erledigen können. Für Menschen mit Mobilitätseinschränkungen kann dies eine enorme Erleichterung sein.“Bei der Digitalisierung liegt Deutschland zurück, fast der Hälfte der Unternehmen fällt die Entwicklung digitaler Produkte und Dienstleistungen laut Branchenverband Bitkom schwer. Allerdings sollte der analoge Weg nicht verschlossen werden, fordert der VDK: Das Argument der Bahn, die Zielgruppe der Bahncard sei zu 60 Prozent digitalaffin, ziehe nicht: „Die übrigen 40 Prozent sind schließlich immer noch eine sehr relevante Größe.“
Selbst der Besuch im Zoo ist unmöglich.