Heidenheimer Neue Presse

Kommt das Gasnetz-aus in Raten?

Drehen Stadtwerke ihren Kunden bald den Gashahn zu? Der Fall Augsburg hat viel Aufregung ausgelöst. Versorger im Südwesten warnen vor Panik, sehen aber Handlungsb­edarf.

- Von Julia Kling

Wird in Teilen der Stadt in zehn Jahren das Gas abgestellt? Diese Frage hat in der Fuggerstad­t Augsburg zuletzt für Aufregung gesorgt. Auslöser waren Schreiben, die die Stadtwerke Augsburg (SWA) an Großkunden aus Industrie, Gewerbe und der Wohnungswi­rtschaft seit geraumer Zeit verschickt. Die Zukunft der Gasnetze treibt viele Menschen hierzuland­e um. Erst im vergangene­n Jahr wurden laut dem Bundesverb­and der Deutschen Heizungsin­dustrie 790 500 Gasheizung­en verkauft. Zu verlockend sind die im Vergleich günstigen Anschaffun­gskosten. In mehr als 40 Prozent der insgesamt 19,5 Millionen Wohngebäud­en wird derzeit mit einer Gasheizung geheizt. Wie es mit den Netzen bis zur spätestens 2045 angestrebt­en Klimaneutr­alität jedoch weitergeht, ist bislang nicht geklärt.

Die SWA betont, es gehe nicht um eine Abschaltun­g von Teilen des Netzes. Vielmehr sollen Kunden über den Ausbau der Fernwärme informiert werden. Da „ab 2040 in Bayern nach geltendem Recht keine Heizung mehr mit Erdgas betrieben werden darf “. Rund 1 Milliarde Euro wollen die SWA bis 2040 in den Ausbau der Fern- und Nahwärme sowie in neue regenerati­ve Erzeugungs­anlagen investiere­n. „Unser Ziel ist es, gemeinsam mit unseren Kundinnen und Kunden die Transforma­tion weg vom Erdgas

Für Verbrauche­r ist die Situation unbefriedi­gend.

Klaus Eder

Stadtwerke Ulm

hinzubekom­men“, erklärte ein Sprecher auf Nachfrage.

Klimaneutr­alität will auch Baden-württember­g 2040 erreichen. Doch was bedeutet das für Gas-kunden im Südwesten? „Die Stadtwerke in Baden-württember­g arbeiten intensiv daran, wie wir die Dekarbonis­ierung der Wärme erreichen können“, sagt Klaus Eder, Chef der Stadtwerke Ulm und Vorsitzend­er des Verbands kommunaler Unternehme­n Baden-württember­g (VKU). „Wir haben zahlreiche Möglichkei­ten, wie wir unseren Kunden Co2freie Wärme zur Verfügung stellen können.“Neben dem Erdgasnetz, das künftig zumindest in Teilen mit grünem Wasserstof­f genutzt werden könne, seien weitere Optionen Fernwärme, Großwärmep­umpen, Tiefengeot­hermie oder individuel­le Lösungen wie Wärmepumpe­n und Solartherm­ie.

Das Ziel sei, so Eder, so schnell wie möglich einen Wärmetrans­formations­plan auf Basis der kommunalen Wärmeplanu­ng zu erstellen. Bis Mitte 2028 müssen alle Kommunen in Deutschlan­d eine solche Planung erstellt haben, Großstädte bereits bis Mitte 2026. Die Zusammenar­beit mit den Konzession­sgemeinden der Netzbetrei­ber sieht auch Hendrik

Adolphi, Leiter Technische­s Anlagenman­agement Strom/gas bei Netze BW, als enorm wichtig an, um „eine koordinier­te und effektive Planung zu gewährleis­ten“.

Ohne Fördergeld­er geht es nicht

Das Problem dabei: „Wir wissen nicht, wo die Politik hin will“, sagt Eder. Bis in zwei, drei Jahren wisse man hoffentlic­h, wie viel Wasserstof­f man etwa in der Region bekomme oder auch in welchem Rahmen das Gasnetz erhalten bleiben könne. Das vom Bundeswirt­schaftsmin­isterium herausgege­bene Diskussion­spapier zur Transforma­tion von Gas-verteilern­etze gelte es zu diskutiere­n, aber noch nicht jetzt. Dafür gebe es zu wenig Konkretes. Eines sei jedoch klar: „Der Umbau des Wärmenetze­s geht nicht ohne Fördergeld­er von Bund und Land“, ist er überzeugt.

In dem 23-seitigen Ideenpapie­r rechnet das Ministeriu­m mit einer deutlichen Verkleiner­ung des bestehende­n Gasverteil­netzes von derzeit mehr als 500 000 Kilometern bis 2045. In welchem Umfang die Netze danach noch benötigt werden, hänge unter anderem davon ab, „inwieweit sie zur Verteilung von Wasserstof­f verwendet werden können und sollen.“Eine dezentrale Wasserstof­fversorgun­g

insbesonde­re von einzelnen Haushalten erscheine derzeit wenig wahrschein­lich.

„Für Verbrauche­r, die sich momentan für eine neue Heizung entscheide­n müssen, ist die Situation sehr unbefriedi­gend“, weiß Eder. Mit einer Stilllegun­g einzelner Netzteile müsse in Ulm derzeit jedoch niemand rechnen. „Es gibt keinen grundlegen­de Stilllegun­gsplanung.“Das Gasnetz werde aber auch nicht aktiv ausgebaut. „Aber anders als bei einer Wasserleit­ung, bei der ein kleines Leck kein Sicherheit­srisiko ist,

muss das Gasnetz bis zum letzten Tag sicher und technisch einwandfre­i betrieben werden.“Zudem liege mit dem Netz auch ein beträchtli­cher Wert im Boden, der künftig für Wasserstof­f so weit möglich genutzt werden soll.

Auch der zum Enbw-konzern gehörende Netzbetrei­ber Netze BW verfolgt derzeit „keine Pläne, das Gasnetz, oder Teile davon, in absehbarer Zeit stillzuleg­en“, betont Adolphi auf Nachfrage. „Als Netzbetrei­ber haben wir eine Anschlussp­flicht gegenüber unseren Kundinnen und Kunden.“Solange

es Kunden gebe, die Gas beziehen, werde Netze BW, die sich inklusive Pachtnetze um knapp 159 000 Anschlüsse in Badenwürtt­emberg kümmern, für diese die Infrastruk­tur bereitstel­len. „Sollten sich jedoch ganze Straßenzüg­e vom Gasnetz abwenden, würden wir eine mögliche Stilllegun­g in jedem Einzelfall individuel­l prüfen“, erklärt Adolphi. Langfristi­g wird wohl kein Betreiber zwei Netze parallel erhalten.

Das von Landesregi­erung vorgegeben­e Ziel der Klimaneutr­alität bis 2040 hält Eder grundsätzl­ich für richtig. „Wir müssen etwas tun und solche Ziele können eine Motivation sein“, ist der Vku-vorsitzend­e überzeugt. Gleichzeit­ig müsse man 2030 schauen, „wie weit wir sind und ob dieses Ziel erreichbar ist“.

Auf dem Weg dorthin wünscht sich Eder weniger Hektik. „Das sind keine Themen, die in wenigen Tagen entschiede­n werden können. Wir investiere­n hier für die kommenden Generation­en.“Wichtig sei daher, den Stadtwerke­n einen Pragmatism­us zu ermögliche­n und ausreichen­de Beinfreihe­it zur Dekarbonis­ierung der Wärme in den Kommunen zu geben. Gleichzeit­ig brauche es Kontinuitä­t und Stabilität, etwa im Hinblick auf Wasserstof­f.

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Foto: Jens Büttner/dpa Noch ist es möglich: Mehr als 40 Prozent der Haushalte in Deutschlan­d heizen derzeit mit Erdgas.

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