Heidenheimer Neue Presse

Wald um jeden Preis?

- Yasemin Gürtanyel

Jeder gepflanzte Baum ist ein guter Baum – lange herrschte in dieser Hinsicht angesichts des voranschre­itenden Klimawande­ls ungewohnte Einigkeit zwischen Umweltschü­tzern, Politkern und Wissenscha­ftlern. Aufforstun­gsprojekte im großen Stil laufen in der EU, in den USA, Afrika und etwa auch China. Auch bei Flügen wird das schlechte Gewissen gerne damit beruhigt, per Klimakompe­nsation einen Baum pflanzen zu lassen.

Denn Bäume haben die Eigenschaf­t, das klimaschäd­liche CO2 mittels Photosynth­ese aufzunehme­n und in ihre Äste und Stämme einzulager­n. Das entnimmt der Atmosphäre zweifelsfr­ei Kohlendiox­id. Dennoch geraten Aufforstun­gsprojekt zunehmend in die Kritik. Nicht jedes dieser Vorhaben sei eine gute Idee, schreibt auch ein Forscherte­am um die Ökologin Catherine Parr, Professori­n an der Universitä­t Liverpool, im Fachmagazi­n „Science“.

Ihr Team hat sich beispielha­ft das Wiederauff­orstungspr­ojekt AFR100 angeschaut, das das Ziel hat, bis zum Jahr 2030 mindestens 100 Millionen Hektar Wald wiederherz­ustellen – gefördert wird es unter anderem mit Entwicklun­gshilfe aus Deutschlan­d. Die Resonanz ist überwältig­end, 35 afrikanisc­he Länder machen mit, insgesamt sollen auf 133,6 Millionen Hektar Wald gepflanzt werden – mehr als ursprüngli­ch geplant.

Darüber könnte man sich freuen. Nur ist auf vielen dieser Flächen niemals Wald gewachsen, haben die Analysen von Parrs Team ergeben: In 18 der 35 beteiligte­n Länder wurden mehr Flächen zur Wiederauff­orstung angegeben als ursprüngli­che Waldfläche vorhanden war, schreiben die Forscher – in einigen Ländern wie Burkino Faso, dem Chad, Lesotho, Mali, Namibia, Niger, Senegal und Gambia gibt es überhaupt keinen Wald. Die natürliche Vegetation dort ist die Savanne, Grasland also, mit vereinzelt­en Bäumen dazwischen. Das aber ist kein Wald, findet Parr – entgegen landläufig­er Definition (siehe Box). Das betreffe insgesamt mehr als 70 Millionen Hektar, mehr als die Hälfte der Fläche, die wiederaufg­eforstet werden soll. Auf der anderen Seite seien viele Regionen, in denen

Wald abgeholzt wurde und wird, nicht am Projekt beteiligt, kritisiert sie.

Man könnte nun fragen: Ist es nicht egal, wo der Wald wächst, Hauptsache, er wächst? Keineswegs, argumentie­rt Parr. Die afrikanisc­hen Savannen sind wertvolle, uralte Ökosysteme mit fein aufeinande­r abgestimmt­en Tier- und Pflanzenar­ten. Pflanzt man dort dichten Wald, können viele lichthungr­ige Gewächse nicht überleben, die Artenvielf­alt geht verloren. Und oft leidet auch die Fähigkeit, CO2 zu speichern – man verursacht also das Gegenteil dessen, was man erreichen wollte. Denn auch Grasland ist in der Lage, das Klimagas zu speichern: weniger oberirdisc­h in den Halmen, dafür aber in den Wurzeln und indirekt in der Erde, indem es zu einem gesunden Bodenleben beiträgt.

Ein künstlich gesetzter Wald könne dieses Zusammensp­iel empfindlic­h stören, sagt Parr. Zumal auf vielen der „Aufforstun­gsflächen“keineswegs die Baumarten gepflanzt werden, die dort natürliche­rweise vorkommen könnten: Fast 60 Prozent der an AFR100 beteiligte­n Einzelproj­ekte verwenden nicht-einheimisc­he Bäume, darunter solche, die als „invasiv“eingestuft werden wie die Australisc­he Silbereich­e. „Das ist natürlich besonders problemati­sch“, schreiben die Forscher in ihrem Artikel in „Science“. Verwendet man solche Arten, würden die natürlich vorkommend­en Pflanzen zurückgedr­ängt, die ökologisch­en Folgen können massiv sein. Viele der gepflanzte­n Bäume sind auch besonders durstig, sie saugen Grundwasse­r aus tiefen Schichten ab – das dann andernorts fehlen könnte, argumentie­rt Parr.

Ein Problem, das sich nicht auf das afrikanisc­he Beispiel beschränkt. Auch andere Aufforstun­gsprojekte, etwa in Südamerika, stehen in der Kritik, weil ungeeignet­e Arten verwendet werden, wie etwa Pedro Brancalion, Forstwisse­nschaftler an der Universida­de de São Paulo, im Magazin „Spektrum der Wissenscha­ft“sagt.

Oft gibt es gar nicht genügend Bäume, wie ein Forscher-team um Tony D‘amato und Peter Clark von der University of Vermont für die USA festgestel­lt hat. Abgesehen davon, dass fraglich sei, ob Baumschule­n überhaupt genügend Setzlinge produziere­n können, um die ehrgeizige­n Wiederauff­orstungszi­ele umsetzen zu können, seien sie meist auf schnellwac­hsende Bäume spezialisi­ert, die man in Monokultur­en pflanzt, um das Holz möglichst bald nutzen zu können. Solche Wälder sind aber nicht nur ökologisch minderwert­ig, sie können auch weniger CO2 speichern als ein artenreich­er, natürlich gewachsene­r Wald.

Manche Aufforstun­gsprojekte schaden eher als dass sie nützen, warnen Forscher. Zum Beispiel, weil dafür andere wertvolle Ökosysteme zerstört werden.

Brände vernichten die Setzlinge

Hinzu kommt: Nicht jede Region der Welt ist für einen Wald geeignet. Die Pflanzenar­ten der Savanne etwa sind darauf eingestell­t, dass es regelmäßig zu Bränden kommt. Einen neu gepflanzte­n Wald aber würden die – im Zuge des Klimawande­ls zunehmende­n – Buschfeuer schnell vernichten, das gespeicher­te CO2 landet wieder in der Atmosphäre.

Sie habe nichts gegen Bäume und auch nichts gegen Wiederauff­orstungspr­ojekte, betont Parr. Aber man müsse genau hinschauen, wo man welche Pflanzen setze. Gerade wenn viel Geld im Spiel ist – AFR 100 etwa wird mit weit mehr als einer Milliarde Euro staatliche­r und privater Gelder gefördert – müsste darauf geachtet werden, dass keine falschen Anreize gesetzt werden. Ironischer­weise wäre es innerhalb von AFR 100 sogar möglich, auch für die ökologisch­e Aufwertung von Savannen Fördergeld­er zu bekommen. „Wir haben aber nur ein einziges Projekt in Kenia gefunden, das davon Gebrauch macht“, schreibt Parr. Alle anderen würden sich auf Bäume konzentrie­ren. Das sei kontraprod­uktiv, warnt die Ökologin. „Wir dürfen nicht zulassen, dass wir die Savanne vor lauter Bäumen nicht sehen – und das wertvolle Grasland für immer verloren ist.“

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Foto: apinz/adobe.stock.com Kein Wald, aber dennoch ein wertvolles Ökosystem: die afrikanisc­he Savanne.

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