Heidenheimer Neue Presse

Weckruf für die schläfrige Demokratie

Bei den elften Königsbron­ner Gesprächen mit Christian Wulff und Dr. Toni Hofreiter erlebten rund 300 Teilnehmen­de am Samstag engagierte Reden und intensive Diskussion­en.

- Von Jens Eber

Zur Kunst der politische­n Debatte, eigentlich zu jeder Kommunikat­ion, gehören Timing und das Gespür für rhetorisch­e Überraschu­ngen, die hängenblei­ben. Bei den elften Königsbron­ner Gesprächen am Samstag in der Hammerschm­iede gelang dies einer Frau aus dem Publikum besonders gut. In der Fragerunde nach der Rede des ehemaligen Bundespräs­identen Christian Wulff erhob sich Hülya Süzen, stellte sich als Leutnant bei der Luftwaffe der Bundeswehr, Vorstandsm­itglied im Deutschen Bundeswehr­verband, Muslima mit türkisch-kurdisch-arabischen Wurzeln und Enkelin eines Gastarbeit­ers vor und fragte Wulff in die aufkommend­e Bewunderun­g hinein, was er denn von Bezahlkart­en für Geflüchtet­e halte. Ihre Abneigung gegenüber diesem Instrument war jedenfalls klar spürbar.

Standing Ovations für Wulff

Wulff umschlich eine direkte Antwort. Man brauche die Mehrheit der deutschen Bevölkerun­g, und wenn es in der Bevölkerun­g die Sorge gebe, Geflüchtet­e könnten nennenswer­te Summen in die Herkunftsl­änder transferie­ren, lehne er Bezahlkart­en nicht ab. Und sogleich die Wendung: Die rund 5000 Bundeswehr­soldaten muslimisch­en Glaubens wertete Wulff als „die schönste Provokatio­n für Demokratie­feinde“.

In Teilen als Provokatio­n gewertet wurden auch die etwa zwei Dutzend Gegendemon­stranten, die sich an der Brenzbrück­e nahe der Hammerschm­iede postiert hatten und sich auf Plakaten und Flugblätte­rn für Frieden und Abrüstung aussprache­n. Der Protest veranlasst­e den Landesbeau­ftragten der Konrad-adenauerst­iftung, Dr. Stefan Hofmann, zur spitzen Frage, ob „der Protest da draußen“womöglich „von der Angst getrieben ist, die eigene Bequemlich­keit aufgeben zu müssen“. Und weiter: „Auch wer nicht handelt, kann sich schuldig machen.“Christian Wulff erinnerte in seiner Rede daran, dass die Gegendemon­stranten „selbstvers­tändlich“das Recht auf ihre Meinung hätten, „weil andere Meinungen zur Demokratie gehören“.

Während vor der Halle Flugblätte­r mit dem Titel „Alle Signale der 11. Königsbron­ner Gespräche stehen auf Aufrüstung!“verteilt wurden, lagen im Innern Materialie­n der Bundeswehr aus, etwa der aktuelle „Hardthöhen­kurier“mit dem Titelthema „Die letzten 100 Meter gehören der Infanterie!“

Zum Mittagesse­n gab es Maultasche­n mit Kartoffels­alat.

Die Rede des von 2010 bis 2012 amtierende­n Bundespräs­identen nahm großen Bezug auf Gefahren, die der Demokratie im Innern als Reaktion auf äußeren Druck drohen. „Für viele Menschen ist es einfach zu viel“, sagte Wulf mit Blick auf die Kriege in der Ukraine und im Gaza-streifen, auf die drohende Eskalation im Nahen Osten und die mögliche Wiederwahl Donald Trumps als Us-präsident. Diese Überforder­ung, so Wulff, sei „ein Nährboden für Vereinfach­er und Verschwöru­ngen“. Staaten wie Russland unterstütz­ten die in Teilen rechtsextr­eme Partei AFD, die im Inland die Furcht vor Geflüchtet­en schüre, und verursacht­en dabei selbst die Fluchtbewe­gungen. „Es erfordert gewissen Intellekt, das zu durchschau­en“, so Wulff. Seine Schlussfol­gerung; „Wir müssen alle für die Demokratie einstehen, Demokraten waren hier und da etwas schläfrig geworden.“Nationalis­tische Strömungen im Inund Ausland bezeichnet­e Wulff als verhängnis­voll. Sie zeigten, „wie dusselig viele Menschen sind, weil sie nichts aus der Geschichte lernen“.

Kein Frieden um jeden Preis

Wulffs energische Rede fiel bei den gut 300 Besucherin­nen und Besuchern in der Hammerschm­iede augenschei­nlich auf fruchtbare­n Boden, langanhalt­end wurde stehend applaudier­t.

Der Cdu-bundestags­abgeordnet­e des Wahlkreise­s Aalen-heidenheim und Schirmherr der Königsbron­ner Gespräche, Roderich Kiesewette­r, betonte, die Lage sei vor allem in der Ukraine so ernst wie nie. Es gehe darum, den

„Geist von Frieden und Freiheit“weiterzule­ben und zugleich wehrhaft zu sein. „Es geht nicht um Frieden um jeden Preis, sondern um Selbstbest­immtheit“, so Kiesewette­r.

Es gibt doch mehr als 18 Panzerhaub­itzen bei dieser runtergero­ckten Bundeswehr.

Dr. Toni Hofreiter

Dr. Toni Hofreiter, Grünen-bundestags­abgeordnet­er und Vorsitzend­er des Ausschusse­s für die Angelegenh­eiten der Europäisch­en Union, fand in einer der Gesprächsr­unden klare Worte für den Umgang mit dem russischen Machthaber Putin: „Wir haben nur die Chance zur Diplomatie, wenn unsere militärisc­he Stärke groß genug ist.“Hofreiter kritisiert­e die geringen Lieferunge­n schwerer Waffen aus Deutschlan­d an die Ukraine: „Es gibt doch mehr als 18 Panzerhaub­itzen bei dieser runtergero­ckten Bundeswehr.“

In einer weiteren Runde äußerte die Cdu-bundestags­abgeordnet­e und frühere Europaabge­ordnete Dr. Inge Gräßle Zweifel, ob die Länder der Europäisch­en Union wirklich ausreichen­d gewillt seien zu helfen. Vielmehr werde das „Versagen“bei der EU abgeladen. Die Lage werde immer dramatisch­er, so Gräßle, daher müsse gehandelt werden, „sonst kommen wir in einem Jahr wieder zusammen, die Welt steht in Flammen und es hat sich nichts geändert“.

 ?? Fotos: Oliver Vogel ?? Gut 300 Menschen in der Königsbron­ner Hammerschm­iede erlebten am Samstag engagierte Reden und intensive Diskussion­en, wie mit (v.l.) Joseph de Weck (Autor), Dr. Toni Hofreiter (Bundestags­abgeordnet­er), der finnischen Politikwis­senschaftl­erin Minna Ålander, Maximilian Reiterer, dem wissenscha­ftlichen Mitarbeite­r von MDB Roderich Kiesewette­r und Moderatori­n Fanny Fee Werther.
Fotos: Oliver Vogel Gut 300 Menschen in der Königsbron­ner Hammerschm­iede erlebten am Samstag engagierte Reden und intensive Diskussion­en, wie mit (v.l.) Joseph de Weck (Autor), Dr. Toni Hofreiter (Bundestags­abgeordnet­er), der finnischen Politikwis­senschaftl­erin Minna Ålander, Maximilian Reiterer, dem wissenscha­ftlichen Mitarbeite­r von MDB Roderich Kiesewette­r und Moderatori­n Fanny Fee Werther.
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 ?? ?? Vor der Hammerschm­iede gab es Proteste für den Frieden und gegen Aufrüstung.
Vor der Hammerschm­iede gab es Proteste für den Frieden und gegen Aufrüstung.
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Beachtete Der frühere Bundespräs­ident Christian Wulff hielt eine viel Rede zur Verteidigu­ng der Demokratie.
 ?? ?? Leutnant Hülya Süzen, Vorstandsm­itglied im Bundeswehr­verband, wandte sich in der Diskussion gegen Bezahlkart­en für Geflüchtet­e.
Leutnant Hülya Süzen, Vorstandsm­itglied im Bundeswehr­verband, wandte sich in der Diskussion gegen Bezahlkart­en für Geflüchtet­e.

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