Alleingelassen von der Welt
Seit einem Jahr tobt in dem Land ein erbitterter Bürgerkrieg, der die größte Vertreibungsknridse der Welt zur Folge hat. Millionen Zivilisten sind Geiseln zweier machthungriger Generäle, die um Einfluss und Gold kämpfen.
Die Lage in der Hauptstadt Khartum war schon kurz nach Beginn des Krieges vor einem Jahr unerträglich. „Ich hatte einen kleinen Marktstand, habe Lebensmittel verkauft“, erzählt die 24-jährige Asisa. Immer wieder hätten Soldaten einfach Sachen mitgenommen, ohne zu bezahlen. An einem Tag seien drei Männer gekommen, die sie entführen wollten. Sie habe Kinder, habe sie gesagt. Doch das habe die Männer nicht interessiert. Zufällig sei ihre Großmutter vorbeikommen, habe die Männer angefleht, ihr nicht die Enkelin zu nehmen. „Darauf haben sie mich nur zusammengeschlagen“, sagt die junge Frau.
Asisa ist nicht ihr richtiger Name, viele Menschen im Sudan haben Angst vor der Rache der Soldaten, wenn sie sich öffentlich äußern. Teile der Hauptstadt Khartum gleichen inzwischen einem Trümmerfeld: Tausende von Häusern unbewohnbar, Straßen von Bombentrichtern übersät, Brücken über den Nil unpassierbar, öffentliche Gebäude zerstört. Marodierende Milizen plündern Geschäfte, besetzen Häuser, um sie als Stützpunkte für Scharfschützen zu nutzen. Wer kann, verlässt die Stadt, raus in vermeintlich sichere Dörfer. Doch auch da gibt es fast nichts mehr, weder Nahrungsmittel noch Unterkunft.
Es herrscht Krieg im Land. Am 15. April vergangenen Jahres wurde er von zwei Generälen vom Zaun gebrochen. Sie ringen um die Macht im drittgrößten Flächenstaat Afrikas. Beide sind ehemalige Günstlinge des Langzeitherrschers Omar al-baschir. 30 Jahre hielt sich der ehemalige Putschist an der Macht, als Führer über ein islamistisches Terrorregime, das jede Opposition blutig unterdrückte. Doch in den Jahren 2018 und 2019 gingen Millionen vor allem junger Menschen auf die Straßen, demonstrierten für Veränderungen; ein verspäteter Arabischer Frühling erfasste das Land. Das Regime ließ die Proteste zusammenschießen, aufhalten konnte es die Bewegung nicht.
Schließlich wurde al-baschir vom eigenen Militär abgesetzt. Ausgerechnet von seinen beiden Ziehsöhnen, Abdel Fattah al-burhan, Chef der sudanesischen Streitkräfte, und Mohammed Hamdan Daglo, genannt Hemedti, Führer der RSF, einer paramilitärischen Eingreiftruppe, die al-baschir zu seinem persönlichen Schutz gegründet hatte. Hemedti war vor 20 Jahren Anführer der berüchtigten Dschandschawid, der Nomadenkrieger, die in Darfur im Westen des Sudan die Dörfer in Brand setzten und ihre Einwohner niedermetzelten. Rund 400 000 Menschen wurden seit 2003 in Darfur getötet, der Konflikt schwelt weiter.
Burhan und Hemedti machten nach dem Sturz al-baschirs erst gemeinsame Sache, unterstützten die zivile Übergangsregierung, putschten aber 2021 erneut, weil sie um die Machtposition des Militärs fürchteten. Vor allem um die ökonomische Macht, denn die Armee ist im Sudan eng mit der Wirtschaft verflochten. Der Machtkampf zwischen Burhan und Hemedti begann, seit einem Jahr entlädt er sich in einem Bürgerkrieg. Weil Hemedtis Miliz und Burhans Armee mit jeweils rund 200 000 Mann etwa gleich stark sind, herrscht ein militärisches Patt, das ein Ende des Konfliktes in absehbarer Zeit unwahrscheinlich macht. Zumal andere Mächte mitmischen, die wenig Interesse an einer Friedenslösung haben. Ägypten etwa unterstützt die sudanesische Armee, die Vereinigten Arabischen Emirate die Rsf-milizen. Ein Stellvertreterkrieg von Regionalmächten, bei dem es um Einfluss geht – und um Gold.
Der Sudan ist zwar eines der ärmsten Länder der Welt, aber vor einigen Jahren wurden große Goldvorkommen entdeckt – in einer Region, die unter der Kontrolle Hemedtis steht. Der verdient vor allem durch den Export von Gold in die Emirate und nach Russland. Putin finanziert mit dem Gold auch seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine und vergrößert durch den Handel seinen Einfluss in Afrika.
18 Millionen von Hunger bedroht
Trotzdem blickt die Weltöffentlichkeit teilnahmslos auf die Kämpfe im Sudan. Der Krieg im Osten Europas, der Konflikt im Gazastreifen, sie beherrschen die Politik und die mediale Wahrnehmung. Und wenn über das afrikanische Land verhandelt wird, so beklagen Experten wie Gerrit Kurtz von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin, dann mit den Kriegsherren und nicht mit der Zivilgesellschaft im Land. Doch selbst jetzt organisieren Sudanesinnen und Sudanesen Selbsthilfe, sie bilden „Emergency Rooms“, wo sie versuchen, Familien mit Lebensmitteln zu versorgen, Menschen aus Kampfgebieten zu retten, Medikamente zu beschaffen.
Das ist extrem schwierig. „90 Prozent der Menschen im Sudan, die kurz vor einer Hungersnot stehen, können wir nicht erreichen“, sagt Leni Kinzli, die Sprecherin des Welternährungsprogramms der Vereinten Nationen (WFP) für Sudan. 18 der 48 Millionen Einwohner des Landes sind akut von Hunger bedroht, mehr als 8 Millionen sind auf der Flucht. Es ist die größte Vertreibungskrise der Welt, und bald, so fürchtet Leni Kinzli, die größte Hungerkrise. Die internationalen Hilfsorganisationen kommen nur schwer ins Land. Der einzige internationale Flughafen des Landes in Khartum wurde schon zu Beginn des Krieges zerstört. Die Hafenstadt Port Sudan im Osten ist über das Rote Meer erreichbar, doch von dort sind es mehr als 2000 Kilometer über Sandpisten bis nach Darfur im Westen, das von Kämpfen besonders hart getroffen ist. Darfur grenzt zwar an den Tschad, aber auch von dort ist Unterstützung kaum möglich, weil Milizen die Gegend kontrollieren.
Der Streit zweier Generäle droht das Land zu zersplittern, die umliegenden Staaten in den Konflikt hineinzuziehen, und er bringt unendliches Leid. Die Opfer sind vor allem Frauen und Kinder, sie werden vertrieben, hungern, sterben.
Auch Asisa und ihre Familie mussten um ihr Leben fürchten. Als sie Khartum verließen, war Asisa hochschwanger. Sie flüchteten aufs Land, nach Madani, doch auch dort gab es kaum etwas zu essen, das Wenige nur zu hohen Preisen, Medikamente waren gar nicht zu bekommen. Fatal, denn Asisa hatte durch verunreinigtes Trinkwasser starke Bauchkrämpfe, dann bekam sie auch noch Malaria. Eine Behandlung in einem der wenigen nicht zerstörten Krankenhäuser war unbezahlbar. Schließlich kam ihr Junge in einer selbstgebauten Unterkunft zwei Monate zu früh zur Welt. Aber gesund.
Andere hatten weniger Glück. Die Opferzahlen sind kaum zu schätzen, nur wenige Nachrichten dringen aus dem Land. Das Armed Conflict Location & Event Data Project berichtet von mehr als 14 000 Toten landesweit. Die Zahlen könnten viel höher liegen, allein in Darfur werden immer wieder Massengräber entdeckt. Dort wird der neue Krieg genutzt, um alte Rechnungen zu begleichen. Es geht um den Konflikt zwischen verschiedenen Lebensweisen in der kargen Region am Südrand der Sahara. Wasser und Weideland sind knapp, die Bevölkerung wächst. Das führt seit Jahrzehnten zu Verteilungskämpfen zwischen Bauern und Nomaden, die ihre Viehherden über das Land der Bauern treiben. Immer wieder brachen Konflikte zwischen den Stämmen auf. Vor 20 Jahren wurden die Nomaden vom Regime bewaffnet. Unter der Führung Hemedtis kam es damals zum Völkermord an den Bauern. Heute finden wieder ethnische Säuberungen statt, Opfer sind vor allem Bauern vom Stamm der Masalit. Deren Dörfer werden überfallen und niedergebrannt, Frauen vergewaltigt, Männer zusammengetrieben und exekutiert. Die Straßen von al-dschunaina, der Hauptstadt der Provinz Westdarfur, seien von Leichen übersät, berichten Überlebende. Die Täter seien Männer der RSF. All das findet außerhalb des Einflusses der internationalen Gemeinschaft statt.
Geldgeber müssen Druck ausüben
Hilfsorganisationen wie das WFP fordern seit Ausbruch des Krieges, dass ihnen wenigstens der freie Zugang zu den Menschen ermöglicht wird. Am 16. April hat eine internationale Geberkonferenz immerhin beschlossen, den Sudan mit zwei Milliarden Euro zu unterstützen. Doch wie das Geld an die richtigen Stellen gelangen soll, ist unklar. Außerdem erwarten die Hilfsorganisationen, dass Geldgeber wie Deutschland über finanzielle Unterstützung hinausdenken. „Sie müssen Druck ausüben auf die Kriegsparteien“, sagt Leni Kinzli, „sonst können wir nicht liefern, was gebraucht wird. Die Menschen im Sudan werden vergessen, sie haben das nicht verdient, sie brauchen Unterstützung und die gleiche Aufmerksamkeit wie die Menschen im Gazastreifen oder der Ukraine.“
Asisa ist inzwischen nach Ägypten geflüchtet. Sie ist in Sicherheit, aber verzweifelt, wenn sie an ihre Heimat denkt. „Niemand steht zu uns. Wir sind alleingelassen von der Welt.“Ihr Mann ist noch immer im Sudan, sie hat seit Monaten keinen Kontakt zu ihm. Seinen kleinen Sohn hat er noch nie gesehen.