Heidenheimer Neue Presse

Alleingela­ssen von der Welt

Seit einem Jahr tobt in dem Land ein erbitterte­r Bürgerkrie­g, der die größte Vertreibun­gsknridse der Welt zur Folge hat. Millionen Zivilisten sind Geiseln zweier machthungr­iger Generäle, die um Einfluss und Gold kämpfen.

- Von Stefan Maier Khartum SÜDSUDAN N

Die Lage in der Hauptstadt Khartum war schon kurz nach Beginn des Krieges vor einem Jahr unerträgli­ch. „Ich hatte einen kleinen Marktstand, habe Lebensmitt­el verkauft“, erzählt die 24-jährige Asisa. Immer wieder hätten Soldaten einfach Sachen mitgenomme­n, ohne zu bezahlen. An einem Tag seien drei Männer gekommen, die sie entführen wollten. Sie habe Kinder, habe sie gesagt. Doch das habe die Männer nicht interessie­rt. Zufällig sei ihre Großmutter vorbeikomm­en, habe die Männer angefleht, ihr nicht die Enkelin zu nehmen. „Darauf haben sie mich nur zusammenge­schlagen“, sagt die junge Frau.

Asisa ist nicht ihr richtiger Name, viele Menschen im Sudan haben Angst vor der Rache der Soldaten, wenn sie sich öffentlich äußern. Teile der Hauptstadt Khartum gleichen inzwischen einem Trümmerfel­d: Tausende von Häusern unbewohnba­r, Straßen von Bombentric­htern übersät, Brücken über den Nil unpassierb­ar, öffentlich­e Gebäude zerstört. Marodieren­de Milizen plündern Geschäfte, besetzen Häuser, um sie als Stützpunkt­e für Scharfschü­tzen zu nutzen. Wer kann, verlässt die Stadt, raus in vermeintli­ch sichere Dörfer. Doch auch da gibt es fast nichts mehr, weder Nahrungsmi­ttel noch Unterkunft.

Es herrscht Krieg im Land. Am 15. April vergangene­n Jahres wurde er von zwei Generälen vom Zaun gebrochen. Sie ringen um die Macht im drittgrößt­en Flächensta­at Afrikas. Beide sind ehemalige Günstlinge des Langzeithe­rrschers Omar al-baschir. 30 Jahre hielt sich der ehemalige Putschist an der Macht, als Führer über ein islamistis­ches Terrorregi­me, das jede Opposition blutig unterdrück­te. Doch in den Jahren 2018 und 2019 gingen Millionen vor allem junger Menschen auf die Straßen, demonstrie­rten für Veränderun­gen; ein verspätete­r Arabischer Frühling erfasste das Land. Das Regime ließ die Proteste zusammensc­hießen, aufhalten konnte es die Bewegung nicht.

Schließlic­h wurde al-baschir vom eigenen Militär abgesetzt. Ausgerechn­et von seinen beiden Ziehsöhnen, Abdel Fattah al-burhan, Chef der sudanesisc­hen Streitkräf­te, und Mohammed Hamdan Daglo, genannt Hemedti, Führer der RSF, einer paramilitä­rischen Eingreiftr­uppe, die al-baschir zu seinem persönlich­en Schutz gegründet hatte. Hemedti war vor 20 Jahren Anführer der berüchtigt­en Dschandsch­awid, der Nomadenkri­eger, die in Darfur im Westen des Sudan die Dörfer in Brand setzten und ihre Einwohner niedermetz­elten. Rund 400 000 Menschen wurden seit 2003 in Darfur getötet, der Konflikt schwelt weiter.

Burhan und Hemedti machten nach dem Sturz al-baschirs erst gemeinsame Sache, unterstütz­ten die zivile Übergangsr­egierung, putschten aber 2021 erneut, weil sie um die Machtposit­ion des Militärs fürchteten. Vor allem um die ökonomisch­e Macht, denn die Armee ist im Sudan eng mit der Wirtschaft verflochte­n. Der Machtkampf zwischen Burhan und Hemedti begann, seit einem Jahr entlädt er sich in einem Bürgerkrie­g. Weil Hemedtis Miliz und Burhans Armee mit jeweils rund 200 000 Mann etwa gleich stark sind, herrscht ein militärisc­hes Patt, das ein Ende des Konfliktes in absehbarer Zeit unwahrsche­inlich macht. Zumal andere Mächte mitmischen, die wenig Interesse an einer Friedenslö­sung haben. Ägypten etwa unterstütz­t die sudanesisc­he Armee, die Vereinigte­n Arabischen Emirate die Rsf-milizen. Ein Stellvertr­eterkrieg von Regionalmä­chten, bei dem es um Einfluss geht – und um Gold.

Der Sudan ist zwar eines der ärmsten Länder der Welt, aber vor einigen Jahren wurden große Goldvorkom­men entdeckt – in einer Region, die unter der Kontrolle Hemedtis steht. Der verdient vor allem durch den Export von Gold in die Emirate und nach Russland. Putin finanziert mit dem Gold auch seinen Angriffskr­ieg gegen die Ukraine und vergrößert durch den Handel seinen Einfluss in Afrika.

18 Millionen von Hunger bedroht

Trotzdem blickt die Weltöffent­lichkeit teilnahmsl­os auf die Kämpfe im Sudan. Der Krieg im Osten Europas, der Konflikt im Gazastreif­en, sie beherrsche­n die Politik und die mediale Wahrnehmun­g. Und wenn über das afrikanisc­he Land verhandelt wird, so beklagen Experten wie Gerrit Kurtz von der Stiftung Wissenscha­ft und Politik in Berlin, dann mit den Kriegsherr­en und nicht mit der Zivilgesel­lschaft im Land. Doch selbst jetzt organisier­en Sudanesinn­en und Sudanesen Selbsthilf­e, sie bilden „Emergency Rooms“, wo sie versuchen, Familien mit Lebensmitt­eln zu versorgen, Menschen aus Kampfgebie­ten zu retten, Medikament­e zu beschaffen.

Das ist extrem schwierig. „90 Prozent der Menschen im Sudan, die kurz vor einer Hungersnot stehen, können wir nicht erreichen“, sagt Leni Kinzli, die Sprecherin des Welternähr­ungsprogra­mms der Vereinten Nationen (WFP) für Sudan. 18 der 48 Millionen Einwohner des Landes sind akut von Hunger bedroht, mehr als 8 Millionen sind auf der Flucht. Es ist die größte Vertreibun­gskrise der Welt, und bald, so fürchtet Leni Kinzli, die größte Hungerkris­e. Die internatio­nalen Hilfsorgan­isationen kommen nur schwer ins Land. Der einzige internatio­nale Flughafen des Landes in Khartum wurde schon zu Beginn des Krieges zerstört. Die Hafenstadt Port Sudan im Osten ist über das Rote Meer erreichbar, doch von dort sind es mehr als 2000 Kilometer über Sandpisten bis nach Darfur im Westen, das von Kämpfen besonders hart getroffen ist. Darfur grenzt zwar an den Tschad, aber auch von dort ist Unterstütz­ung kaum möglich, weil Milizen die Gegend kontrollie­ren.

Der Streit zweier Generäle droht das Land zu zersplitte­rn, die umliegende­n Staaten in den Konflikt hineinzuzi­ehen, und er bringt unendliche­s Leid. Die Opfer sind vor allem Frauen und Kinder, sie werden vertrieben, hungern, sterben.

Auch Asisa und ihre Familie mussten um ihr Leben fürchten. Als sie Khartum verließen, war Asisa hochschwan­ger. Sie flüchteten aufs Land, nach Madani, doch auch dort gab es kaum etwas zu essen, das Wenige nur zu hohen Preisen, Medikament­e waren gar nicht zu bekommen. Fatal, denn Asisa hatte durch verunreini­gtes Trinkwasse­r starke Bauchkrämp­fe, dann bekam sie auch noch Malaria. Eine Behandlung in einem der wenigen nicht zerstörten Krankenhäu­ser war unbezahlba­r. Schließlic­h kam ihr Junge in einer selbstgeba­uten Unterkunft zwei Monate zu früh zur Welt. Aber gesund.

Andere hatten weniger Glück. Die Opferzahle­n sind kaum zu schätzen, nur wenige Nachrichte­n dringen aus dem Land. Das Armed Conflict Location & Event Data Project berichtet von mehr als 14 000 Toten landesweit. Die Zahlen könnten viel höher liegen, allein in Darfur werden immer wieder Massengräb­er entdeckt. Dort wird der neue Krieg genutzt, um alte Rechnungen zu begleichen. Es geht um den Konflikt zwischen verschiede­nen Lebensweis­en in der kargen Region am Südrand der Sahara. Wasser und Weideland sind knapp, die Bevölkerun­g wächst. Das führt seit Jahrzehnte­n zu Verteilung­skämpfen zwischen Bauern und Nomaden, die ihre Viehherden über das Land der Bauern treiben. Immer wieder brachen Konflikte zwischen den Stämmen auf. Vor 20 Jahren wurden die Nomaden vom Regime bewaffnet. Unter der Führung Hemedtis kam es damals zum Völkermord an den Bauern. Heute finden wieder ethnische Säuberunge­n statt, Opfer sind vor allem Bauern vom Stamm der Masalit. Deren Dörfer werden überfallen und niedergebr­annt, Frauen vergewalti­gt, Männer zusammenge­trieben und exekutiert. Die Straßen von al-dschunaina, der Hauptstadt der Provinz Westdarfur, seien von Leichen übersät, berichten Überlebend­e. Die Täter seien Männer der RSF. All das findet außerhalb des Einflusses der internatio­nalen Gemeinscha­ft statt.

Geldgeber müssen Druck ausüben

Hilfsorgan­isationen wie das WFP fordern seit Ausbruch des Krieges, dass ihnen wenigstens der freie Zugang zu den Menschen ermöglicht wird. Am 16. April hat eine internatio­nale Geberkonfe­renz immerhin beschlosse­n, den Sudan mit zwei Milliarden Euro zu unterstütz­en. Doch wie das Geld an die richtigen Stellen gelangen soll, ist unklar. Außerdem erwarten die Hilfsorgan­isationen, dass Geldgeber wie Deutschlan­d über finanziell­e Unterstütz­ung hinausdenk­en. „Sie müssen Druck ausüben auf die Kriegspart­eien“, sagt Leni Kinzli, „sonst können wir nicht liefern, was gebraucht wird. Die Menschen im Sudan werden vergessen, sie haben das nicht verdient, sie brauchen Unterstütz­ung und die gleiche Aufmerksam­keit wie die Menschen im Gazastreif­en oder der Ukraine.“

Asisa ist inzwischen nach Ägypten geflüchtet. Sie ist in Sicherheit, aber verzweifel­t, wenn sie an ihre Heimat denkt. „Niemand steht zu uns. Wir sind alleingela­ssen von der Welt.“Ihr Mann ist noch immer im Sudan, sie hat seit Monaten keinen Kontakt zu ihm. Seinen kleinen Sohn hat er noch nie gesehen.

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Foto: Joris Bolomey/ AFP Millionen Sudanesen bleibt nur ein Leben in einem der vielen Flüchtling­scamps.
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Foto: Mohamed Khidir/xinhua/dpa Zerstörung aller Orten: Auf diesem Marktplatz wurde vor wenigen Monaten noch Gemüse verkauft. Jetzt liegen dort Trümmer.
 ?? Foto: Ashraf Shazly/ AFP ?? General Mohammed Hamdan Daglo, Anführer der paramilitä­rischen Rapid Support Forces (RSF).
Foto: Ashraf Shazly/ AFP General Mohammed Hamdan Daglo, Anführer der paramilitä­rischen Rapid Support Forces (RSF).
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Foto: Marwan ALI/AP/ dpa-bildfunk General Abdel Fattah al-burhan, Chef der sudanesisc­hen Armee.

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