Rudi, der Besessene
Vor 50 Jahren startete „Am laufenden Band“. Es war der größte Show-erfolg der 70er Jahre. Die Arbeit hinter den Kulissen war allerdings „die Hölle“.
Vor 50 Jahren, am 27. April 1974, ließ sich Rudi Carrell auf einem Fließband vor die Kamera rollen und sang das Lied „Wir schaffen täglich am laufenden Band“. Es war der Auftakt zur beliebtesten deutschen Fernsehshow der 70er Jahre mit bis zu 30 Millionen Zuschauern pro Folge. Es ist heute kaum noch vorstellbar, dass man sich am Montagmorgen nach der Sendung mit so ziemlich jedem Kollegen oder Mitschüler darüber unterhalten konnte – es gab schlichtweg kaum jemanden, der sie nicht gesehen hatte.
Wenn man heute, ein halbes Jahrhundert später, etwas über die Show erfahren will, dann muss man in Köln einen Mann mit dem Namen Thomas Woitkewitsch aufsuchen. Woitkewitsch war neben Rudi Carrell und Produzent Alfred Biolek als Co-produzent der dritte prägende Mann hinter „Am laufenden Band“. der so besessen von seiner Arbeit war. Es gab für ihn nur das Showbusiness und sonst nichts.“Freunde? Dafür habe er keine Zeit, pflegte er zu sagen.
„Am laufenden Band“wurde immer live am Samstagabend aus einem Studio von Radio Bremen
wanr übertragen. Federführend aber der finanzstarke Westdeutsche Rundfunk (WDR), weshalb Biolek und Woitkewitsch ihr Büro auch in Köln hatten. Immer am Montagmorgen vor der Show fuhr das Team mit Bauchgrummeln nach Bremen. Woitkewitsch weiß noch genau, wie er sich damals fühlte: „Im Zug hab ich mich immer gefragt: ,Hab‘ ich genug Ideen? Was sag‘ ich ihm gleich?‘ Ich hatte Angst vor dem Mann!“
In Bremen saß Carrell schon ungeduldig in seinem völlig verqualmten Büro vor einem überfüllten Aschenbecher und trommelte mit den Fingern auf den Schreibtisch. „Das Bild werde ich nie vergessen“, erinnert sich Woitkewitsch. „Kein Lächeln, gar nichts.“Stattdessen die Frage: „Also, was machen wir Samstag?“Alles entstand dann erst in den sechs Tagen bis zur Sendung. Die Texte für das Eröffnungslied wurden mitunter erst Minuten vor
Sendung von Woitkewitsch fertiggestellt und von Carrell – der die Melodie schon eingeübt hatte – dann trotzdem fehlerfrei gesungen.
Alle waren ausgepowert
Die gleiche Professionalität erwartete der schlaksige Showstar mit dem weichen holländischen Akzent allerdings auch von allen anderen. Wenn die Live-show zu Ende war, zitierte Carrell das ganze Team zu allem Überfluss noch vor einen Fernseher, um sich eine Aufzeichnung der gerade gelaufenen Sendung anzuschauen. „Wir waren ausgepowert, wir wollten in die Disco, wir hatten die Schnauze voll, aber nein, wir mussten uns alles nochmal ansehen. Und dann lachte er, wo es was zu lachen gab, und bei allem, was nicht gut gelaufen war, wurde man von ihm zur Schnecke gemacht. Woitkewitschs Fazit: „Diese sechs Tage in Bremen, die waren die Hölle. Ich habe in meinem ganzen Leben keinen solchen Stress erlebt – aber auch nie so viel gelernt.“
Das Neue an „Am laufenden Band“war, dass dort erstmals
Durchschnittsbürger auftraten, die sich spontan in witzigen und ungewöhnlichen Situationen bewähren mussten. Pro Show gab es vier Kandidatenpaare, die jeweils in einer verwandtschaftlichen Beziehung zueinander standen, also zum Beispiel Oma und Enkel. „Die Kandidaten waren das A und O“, erläutert Woitkewitsch. „Alles hing von ihrer Originalität ab.“Insgesamt bewarben sich nach Recherchen des Rudi-carrell-biografen Jürgen Trimborn im Laufe der Zeit 200 000 Kandidatenpaare. Für die Auswahl entwickelte Woitkewitsch einen speziellen Fragebogen. Eine Frage hieß: „Was würden Sie in der Show auf keinen Fall machen?“Darauf antwortete die katholische Nonne Schwester Renata: „Einen Kopfstand.“Denn das hätte dazu geführt, dass ihr das Ordenskleid über den Kopf gerutscht wäre. Woitkewitsch fand die Antwort so originell, dass er die Schwester sofort einlud.
Um zu überprüfen, ob sich die Kandidaten von einer ungewohnten Umgebung einschüchtern ließen, lud Woitkewitsch die 22 Paare in der Endauswahl jedes Mal in ein Kölner Luxushotel zum Essen ein. Die endgültige Entscheidung traf Carrell selbst auf der Grundlage von Videobändern. Obwohl der Erfolg der Show ungebrochen war, stellte sie Carrell Ende des Jahres 1979 nach 51 Ausgaben ein.