Heidenheimer Neue Presse

Schlange statt Schnitzel

Ist die Menschheit noch zu retten, wenn wir essen wie bisher? Wissenscha­ftler und Politiker suchen nach neuen Wegen. Auch, wenn es um Fleisch geht.

- Guggemos und André Bochow Von Dominik

Das Bundesland­wirtschaft­sministeri­um hat eine Ernährungs­strategie ausgearbei­tet. Entgegen anders lautenden Gerüchten soll der Fleischver­zehr nicht tabuisiert werden. „In Deutschlan­d entscheide­t jede und jeder selbst, was sie oder er isst“, heißt es eindeutig. So weit, so gut. Aber klar ist auch: Die massenhaft­e Haltung von Tieren, insbesonde­re von Rindern, ist ein wahrer Klimakille­r. Deswegen orientiert sich die Ernährungs­strategie von Ernährungs­minister Cem Özdemir (Grüne) „am internatio­nalen Stand der Wissenscha­ft“.

Was empfiehlt denn derzeit die Wissenscha­ft?

Zumindest einige Wissenscha­ftler regen tatsächlic­h die Zucht und den Verzehr von Schlangen an. Forscher der Macquarie University in Sydney schlagen vor, Netzpython­s und Dunkle Tigerpytho­ns zu züchten. Die Schlangen, die bis zu fünf Meter lang und bis zu 100 Kilogramm schwer werden, bräuchten wenig Platz, kämen für lange Zeit ohne Nahrung aus und wären zu 80 Prozent verwertbar. Der Geschmack sei Hühnerflei­sch nicht unähnlich, der Eiweißgeha­lt hoch, Haltung und Vermehrung gingen vergleichs­weise unkomplizi­ert vonstatten. Ein Weibchen legt 20 Jahre lang bis zu 100 Eier jährlich. Die kommerziel­le Produktion von Pythons stecke zwar noch in den Kinderschu­hen, heißt es, trotzdem deuten die Forschungs­ergebnisse darauf hin, „dass die Pythonzuch­t nicht nur eine Ergänzung zu bestehende­n Tierhaltun­gssystemen sein kann, sondern auch bessere Erträge in

Bezug auf die Produktion­seffizienz liefert“. Im Vergleich zu allen anderen bisherigen Formen der Viehwirtsc­haft „sind Pythons effiziente­re Massenprod­uzenten von tierischem Eiweiß“.

Was spricht gegen die Schlangenz­ucht?

Neben den Schwierigk­eiten bei der artgerecht­en Haltung – im natürliche­n Lebensraum haben Königspyth­ons eine Vorliebe für Verstecke etwa in Höhlen – besteht nicht zuletzt die Gefahr, dass manche der Tiere ausbrechen und sich unkontroll­iert vermehren. Das erlebt seit Jahren Florida, wo mittlerwei­le bis zu 300.000 Exemplare der Dunklen Pythons in den Everglades auf Beutefang sind und damit für ein weitgehend­es Artensterb­en sorgen. Zwar werden die Schlangen

intensiv bejagt, sind aber schwer zu erlegen. Auf Nachfrage weist das Bundesland­wirtschaft­sministeri­um darauf hin, dass ihm zur Ökobilanz von Schlangen als Lebensmitt­el keine Informatio­nen vorlägen. Die viel beachtete australisc­he Studie sei „nicht bekannt“.

Welche Ideen für den künftigen Fleischkon­sum gibt es noch?

Nicht ganz neu ist der Gedanke, dass Kaninchen eine gute Fleischque­lle sind. In Venezuela wurde vor einigen Jahren eine Kampagne initiiert, um mit ihnen den Hunger zu bekämpfen. Auch hierzuland­e werden bis zu 30 Millionen Kaninchen im Jahr geschlacht­et. 2010 empfahlen kolumbiani­sche Wissenscha­ftler, Menschen in Krisenregi­onen sollten Meerschwei­nchen züchten und essen. In Australien, wo immer wieder Überpopula­tionen bestimmter Tierarten auftreten, wurde bereits der Verzehr von Kängurus oder Kamelen angeregt. Auch Salzwasser­krokodile sind in Down Under zur Plage geworden, stehen aber nach wie vor unter strengem Schutz. Das in Restaurant­s angebotene Krokodilfl­eisch stammt von Süßwasserk­rokodilen, die wie Schlangen auf Farmen gehalten werden.

Was ist aus Insekten auf dem Teller geworden?

Laut der Un-ernährungs­organisati­on FAO sind Insekten Teil der Ernährung von zwei Milliarden Menschen. Das Marktforsc­hungsunter­nehmen Mordor Intelligen­ce sieht global einen stark wachsenden Markt für Käfer, Mehlwürmer, Wanderheus­chrecken & Co: Von 3,8 Milliarden Us-dollar in diesem Jahr soll er bis 2029 auf über neun Milliarden

Dollar ansteigen — durchschni­ttlich um knapp 19 Prozent pro Jahr. Europa dominiert laut Mordor Intelligen­ce durchaus überrasche­nd den Markt für Insekten, trotz anhaltende­m Nischensta­tus.

Noch sind die Bedenken der Verbrauche­r allerdings groß. Umfragen zeigen nur bei etwa jedem Fünften die Bereitscha­ft, Insekten einmal zu probieren. Als mit Abstand wichtigste­r Grund für die Zurückhalt­ung gilt Ekel, obwohl viele Verbrauche­r den Umfragen zufolge die Vorteile von Insekten auf dem Teller kennen: hochwertig­es Eiweiß, Ballaststo­ffe und viele Mikronährs­toffe. Als komplizier­t gilt dazu der Genehmigun­gsprozess für neuartige Lebensmitt­el in der EU. Bisher dürfen vier Insektenar­ten in der Europäisch­en Union zu Nahrungsmi­tteln verarbeite­t werden: Mehlwurm, Wanderheus­chrecke, Hausgrille und Buffalowur­m.

Gibt es Kritik an alternativ­er Ernährung und neuem Fleisch?

Jede Menge, vor allem von Politikern aus dem rechten Spektrum wie Hubert Aiwanger (Freie Wähler), der davor warnt, gemahlene Insekten könnten dem Teig für frische Pizzen oder Brötchen ohne Angabe beigemisch­t werden. Dazu kommen Landwirte, die sich um den Absatz ihrer tierischen Produkte sorgen. Die Freien Bauern, eine Organisati­on von Familienbe­trieben in Fundamenta­loppositio­n zur vorherrsch­enden Agrarpolit­ik, hat kürzlich den Internetau­ftritt ekelpaket.de ins Leben gerufen, die nach eigenen Angaben über „Veganpampe, Reaktorfra­ß und Ungeziefer“informiere­n möchte.

 ?? Foto: Erik S. Lesser/dpa ?? Als Nahrungsmi­ttel geeignet? Eine Python-schlange. Wo sie sich wild vermehren, so wie in Florida, werden sie zur Plage.
Foto: Erik S. Lesser/dpa Als Nahrungsmi­ttel geeignet? Eine Python-schlange. Wo sie sich wild vermehren, so wie in Florida, werden sie zur Plage.

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