Schlange statt Schnitzel
Ist die Menschheit noch zu retten, wenn wir essen wie bisher? Wissenschaftler und Politiker suchen nach neuen Wegen. Auch, wenn es um Fleisch geht.
Das Bundeslandwirtschaftsministerium hat eine Ernährungsstrategie ausgearbeitet. Entgegen anders lautenden Gerüchten soll der Fleischverzehr nicht tabuisiert werden. „In Deutschland entscheidet jede und jeder selbst, was sie oder er isst“, heißt es eindeutig. So weit, so gut. Aber klar ist auch: Die massenhafte Haltung von Tieren, insbesondere von Rindern, ist ein wahrer Klimakiller. Deswegen orientiert sich die Ernährungsstrategie von Ernährungsminister Cem Özdemir (Grüne) „am internationalen Stand der Wissenschaft“.
Was empfiehlt denn derzeit die Wissenschaft?
Zumindest einige Wissenschaftler regen tatsächlich die Zucht und den Verzehr von Schlangen an. Forscher der Macquarie University in Sydney schlagen vor, Netzpythons und Dunkle Tigerpythons zu züchten. Die Schlangen, die bis zu fünf Meter lang und bis zu 100 Kilogramm schwer werden, bräuchten wenig Platz, kämen für lange Zeit ohne Nahrung aus und wären zu 80 Prozent verwertbar. Der Geschmack sei Hühnerfleisch nicht unähnlich, der Eiweißgehalt hoch, Haltung und Vermehrung gingen vergleichsweise unkompliziert vonstatten. Ein Weibchen legt 20 Jahre lang bis zu 100 Eier jährlich. Die kommerzielle Produktion von Pythons stecke zwar noch in den Kinderschuhen, heißt es, trotzdem deuten die Forschungsergebnisse darauf hin, „dass die Pythonzucht nicht nur eine Ergänzung zu bestehenden Tierhaltungssystemen sein kann, sondern auch bessere Erträge in
Bezug auf die Produktionseffizienz liefert“. Im Vergleich zu allen anderen bisherigen Formen der Viehwirtschaft „sind Pythons effizientere Massenproduzenten von tierischem Eiweiß“.
Was spricht gegen die Schlangenzucht?
Neben den Schwierigkeiten bei der artgerechten Haltung – im natürlichen Lebensraum haben Königspythons eine Vorliebe für Verstecke etwa in Höhlen – besteht nicht zuletzt die Gefahr, dass manche der Tiere ausbrechen und sich unkontrolliert vermehren. Das erlebt seit Jahren Florida, wo mittlerweile bis zu 300.000 Exemplare der Dunklen Pythons in den Everglades auf Beutefang sind und damit für ein weitgehendes Artensterben sorgen. Zwar werden die Schlangen
intensiv bejagt, sind aber schwer zu erlegen. Auf Nachfrage weist das Bundeslandwirtschaftsministerium darauf hin, dass ihm zur Ökobilanz von Schlangen als Lebensmittel keine Informationen vorlägen. Die viel beachtete australische Studie sei „nicht bekannt“.
Welche Ideen für den künftigen Fleischkonsum gibt es noch?
Nicht ganz neu ist der Gedanke, dass Kaninchen eine gute Fleischquelle sind. In Venezuela wurde vor einigen Jahren eine Kampagne initiiert, um mit ihnen den Hunger zu bekämpfen. Auch hierzulande werden bis zu 30 Millionen Kaninchen im Jahr geschlachtet. 2010 empfahlen kolumbianische Wissenschaftler, Menschen in Krisenregionen sollten Meerschweinchen züchten und essen. In Australien, wo immer wieder Überpopulationen bestimmter Tierarten auftreten, wurde bereits der Verzehr von Kängurus oder Kamelen angeregt. Auch Salzwasserkrokodile sind in Down Under zur Plage geworden, stehen aber nach wie vor unter strengem Schutz. Das in Restaurants angebotene Krokodilfleisch stammt von Süßwasserkrokodilen, die wie Schlangen auf Farmen gehalten werden.
Was ist aus Insekten auf dem Teller geworden?
Laut der Un-ernährungsorganisation FAO sind Insekten Teil der Ernährung von zwei Milliarden Menschen. Das Marktforschungsunternehmen Mordor Intelligence sieht global einen stark wachsenden Markt für Käfer, Mehlwürmer, Wanderheuschrecken & Co: Von 3,8 Milliarden Us-dollar in diesem Jahr soll er bis 2029 auf über neun Milliarden
Dollar ansteigen — durchschnittlich um knapp 19 Prozent pro Jahr. Europa dominiert laut Mordor Intelligence durchaus überraschend den Markt für Insekten, trotz anhaltendem Nischenstatus.
Noch sind die Bedenken der Verbraucher allerdings groß. Umfragen zeigen nur bei etwa jedem Fünften die Bereitschaft, Insekten einmal zu probieren. Als mit Abstand wichtigster Grund für die Zurückhaltung gilt Ekel, obwohl viele Verbraucher den Umfragen zufolge die Vorteile von Insekten auf dem Teller kennen: hochwertiges Eiweiß, Ballaststoffe und viele Mikronährstoffe. Als kompliziert gilt dazu der Genehmigungsprozess für neuartige Lebensmittel in der EU. Bisher dürfen vier Insektenarten in der Europäischen Union zu Nahrungsmitteln verarbeitet werden: Mehlwurm, Wanderheuschrecke, Hausgrille und Buffalowurm.
Gibt es Kritik an alternativer Ernährung und neuem Fleisch?
Jede Menge, vor allem von Politikern aus dem rechten Spektrum wie Hubert Aiwanger (Freie Wähler), der davor warnt, gemahlene Insekten könnten dem Teig für frische Pizzen oder Brötchen ohne Angabe beigemischt werden. Dazu kommen Landwirte, die sich um den Absatz ihrer tierischen Produkte sorgen. Die Freien Bauern, eine Organisation von Familienbetrieben in Fundamentalopposition zur vorherrschenden Agrarpolitik, hat kürzlich den Internetauftritt ekelpaket.de ins Leben gerufen, die nach eigenen Angaben über „Veganpampe, Reaktorfraß und Ungeziefer“informieren möchte.