Riesen mit zitternden Beinen
Wladimir Putin feiert den Sieg über die westlichen Sanktionen. Aber Produktion und Einnahmen in den Rohstoffbranchen sinken im zweistelligen Prozentbereich.
Wenn früher die Hydraulikpumpe eines Kipplasters kaputt war, habe man bei Volvo angerufen, „Die hatten ein Zentrallager in Moskau, nach ein paar Tagen war das Ersatzteil da. Wenn es nicht am Lager war, kam es mit Eilpost aus Schweden“, erzählt Andrej, leitender Ingenieur eines russischen Bergbau-unternehmens. Jetzt sei Volvo weg, auch sein Ersatzteillager, man müsse Monate auf Neuteile warten. Um die Arbeit aufrechtzuerhalten, kauften jetzt alle zusätzlich Lastwagen aus China. „Die kosten inzwischen so viel wie ein Volvo, gehen aber viel schneller kaputt. Du brauchst häufiger Ersatzteile, aber die Chinesen haben keine Lager in Russland. Was Service angeht, sind sie miserabel aufgestellt.“Von 10 Schwerlastern warteten jetzt vier auf Reparatur, die Produktion sei um zehn Prozent gefallen. „Es ist Unsinn zu sagen, die Sanktionen wirkten nicht.“
Wladimir Putin feiert weiter Russlands Wirtschaftssieg über den Westen und seine Sanktionen: „Es scheint, als erdrücke und ersticke man uns von allen Seiten.“Tatsächlich hätten die Sanktionen das Gegenteil erreicht. Russland sei die größte Volkswirtschaft Europas geworden.
Dabei wächst die Unklarheit über den Realzustand der russischen Wirtschaft. Linientreue Experten, auch arglose ausländische Beobachter, argumentieren auf der Grundlage der spärlichen amtlichen Statistik, Regimekritiker vom Fach aber bezeichnen diese als Bluff.
Auch offizielle Zahlen bestätigen diesen Verdacht. Laut Zentralbank sind 40 Prozent der Industrieausrüstung abgenutzt. Und der Staatsmonopolist Gazprom meldete 2023 erstmals seit 25 Jahren einen Reinverlust – mehr als 6,3 Milliarden Euro. Die Einnahmen des nationalen Gasriesen fielen vor allem wegen des weitgehenden Wegfalls des Absatzmarktes Europa um 27 Prozent gegenüber 2022. Für Putins Rüstungskasse massiv gemolken, zittern der heiligen Kuh der Rohstoffwirtschaft jetzt die Beine.
Laut der Wirtschaftszeitung Wedomosti droht die Produktion bei Rusal, Russlands größtem Aluminiumhersteller, um 25 Prozent zurückzugehen. Der Metallurgie-konzern Norilsk Nickel, dessen Einnahmen nach eigenen Angaben seit Beginn 2022 um 20 Prozent gefallen sind, will seine Kupferverhüttung nach China verlegen. So werde man den Umsatz binnen vier Jahren um 20 Prozent im Vergleich zu 2022 steigern. Auch der Kohleexport sank laut Wedomosti um 17 Prozent wegen gefallener Preise, gestiegener Produktions-, Fracht- und Kreditkosten. „Im Tagebau sind überschwere Bagger im Einsatz, taugliche stellen die Chinesen gar nicht her“, sagt Ingenieur Andrej.
„Die Regierung muss einen Mittelweg zwischen der Finanzierung des Staatshaushalts und dem Überleben der Kohlebetriebe finden“,
schreibt die Tageszeitung Kommersant. Mit anderen Worten: Weniger Geld für Putins Kriegskasse. Auch ein staatlicher Vier-milliarden-euro-zuschuss für Gazprom steht zur Debatte.
Dazu wird der Grauimport mehr oder weniger rüstungsrelevanter Technik schwieriger. Aus Angst vor Us-strafen hat ein
Großteil der chinesischen und türkischen Banken aufgehört, Zahlungen von russischen Kunden oder für Waren, die auf der Sanktionsliste stehen, anzunehmen. Auch die Rohstoffexporteure haben plötzlich technische Probleme mit ihren Geldströmen. Nach Beginn der „Kriegsspezialoperation“verkaufen sie 33-mal
mehr Öl nach Indien als vorher. Aber laut Bloomberg können sie diese Geschäfte wegen der Sanktionen nicht in Dollar oder anderen internationalen Verkehrswährungen abrechnen. Monatlich häuften sich auf den indischen Konten der Russen Rupien-summen von umgerechnet drei Milliarden Dollar.
Die indische Zentralbank untersagte es, diese Rupien nach Russland zu überweisen. Auch Versuche der Russen, dafür indische Industrieausrüstungen und Textilien zu kaufen, scheiterten. Russische Offizielle reden von „unwesentlichen“Summen, laut Reuters waren es 39 Milliarden Dollar schon im August 2023. Auch in anderen Branchen dürften Dutzende Milliarden Dollar im schwarzen Loch des Sanktionskrieges verschwunden sein. Und der geht weiter.