„Wer hat eine Wohnung frei?“
Im vor einer Woche vom Hochwasser heimgesuchten Bisingen gibt es dramatische Hilferufe. Manche Existenz ging im Schlamm unter. Wo wohnen, bis das Schlimmste überstanden ist?
Plötzlich ist Maria Rager im Haus verschwunden. Gerade noch hat sie erzählt, wie sie die Bilder von der Flut am Donnerstag vergangener Woche jede Nacht heimsuchen. Aber nun ist sie weg. Die 72-Jährige hat eine junge Frau entdeckt, die ihren Hund ausführt und dabei ihren Weg sucht zwischen riesigen Containern, die mit unbrauchbar gewordenem Hausrat gefüllt werden, und Handwerkern, die Heizungsanlagen wieder in Gang bringen. Schnell hat Maria Rager ein Stück Wurst für den Vierbeiner geholt.
Teilweise ist die Normalität, oder das, was man dafür halten will, in der Gemeinde am Fuß der Burg Hohenzollern zurück. Die Aufräumarbeiten laufen emsig, obwohl auch hier Handwerker fehlen. Man ist eben im Schwäbischen: Es muss wieder sauber werden! Bürgermeister Roman Waizenegger freut sich denn auch mächtig über die enorme Solidarität in und mit Bisingen – beim Hochwasser selbst und danach. Doch die Spuren der verheerenden Flut mit Schäden in noch unbekannter Millionen-höhe und einem Dutzend nicht mehr bewohnbarer Häuser sind noch überall zu sehen.
Gleich ums Eck von Maria Rager ist das Eiscafé „Rialto“. Ober besser gesagt das, was von dem beliebten Treffpunkt mitten im Ort übrig geblieben ist. Marina Dal Pont und ihr Mann Michele haben große Teile der Einrichtung ins Freie geschafft. Dort stehen Schränke, Eismaschinen, Stühle und Tische. Alles ist mit Schlamm überzogen, für die Herstellung von leckerem Speiseeis nicht mehr zu gebrauchen.
Die Café-betreiber haben alles so gelassen, wie es ist. Denn sie müssen warten, bis die Versicherungsleute da waren. Das Paar ist nervlich am Ende. Die Saison, kaum dass sie begonnen hatte, ist für Marina gelaufen. Auch den Straßenverkauf mit dem zerstörten italienischen Dreirad und dem kaum mehr zu rettenden Transporter können sie abschreiben. Erst müssen neue Gerätschaften her. Dafür allerdings braucht es Geld.
Maria Rager zeigt, wie hoch bei ihr das Wasser im Haus gestanden hat. Sie wohnt, so sagt die Vorsitzende des Bisinger Albvereins stolz, in einem der ältesten Gebäude der Gemeinde. Es steht direkt am Klingenbach, der sich noch vor kurzem meterhoch aufgetürmt hat und jetzt wieder mit fast unverschämt wenig Wasser vor sich hin plätschert. „Seit 55 Jahren wohne ich hier, und ich hatte noch nie Hochwasser“, erzählt die Rentnerin. Und dann komme es gleich so. Vor ihrem Haus ist der Lindenplatz, eine kleine Freifläche in der zweiten Reihe neben der Hauptstraße. Der Platz ist vorige Woche innerhalb von Minuten zum See geworden. Maria Rager: „Da hätte ich drin schwimmen können.“
Als das Wasser kam, hat sie rasch reagiert: Die beiden Haustüren wurden abgeschlossen, die
Ritzen mit Noppenfolie abgedichtet. Sie ist überzeugt: „Das hat geholfen.“Sie hatte „nur“etwas über einem halben Meter Wasser
in ihren Räumen. Trotzdem muss jetzt der uralte Holzboden raus, und was mit den Mauern ist, die sehr lange im Wasser gestanden sind und sich vollgesaugt haben, muss ein Sachverständiger klären. Wenn die Rentnerin Pech hat, wird die Renovation sehr teuer. Ob die diese noch stemmen kann?
Doch Maria Rager will nicht ndklagen.
Sie weiß, dass es andere in Bisingen viel, viel schlimmer getroffen hat. Da ist die Familie, die ihren Namen lieber für sich behalten will und verzweifelt auf der Suche nach einer Unterkunft ist. Ihr Haus ist nicht mehr bewohnbar, nachdem der Schlamm im Erdgeschoss bis knapp unter der Decke gestanden hat. Bis Ende des Jahres müssen sie woanders unterkommen. Dann können sie hoffentlich wieder zurück. Sie nehmen alles, auch eine Ferienwohnung. Sie hoffen auch auf
die Unterstützung der Gemeinde, die freien Wohnraum rekrutiert. Geld brauchen sie rasch für die Beschaffung des Nötigsten. Sie haben ihr Hab und Gut zu großen Teilen verloren.
Auf Spenden hofft auch eine Familie mit vier Kindern in einem Ortsteil von Bisingen. Ihr Keller war bis zur Decke vollgelaufen, eine Wand und das komplette Bad wurden von der Flut herausgerissen, die Öltanks liefen aus. Jetzt gibt es nur noch Kaltwasser, der Strom kommt von einer Baustelle in der Nähe. Nachdem der Schlamm abgepumpt ist, müssen nun Putz und Estrich raus. Auch Möbel, Waschmaschine, Kleidung und vieles mehr sind dahin. Eine Verwandte schreibt: „Es wäre sehr schön, wenn meine Schwester mit Familie bei dieser Spendenaktion berücksichtigt werden könnte.“