Heidenheimer Neue Presse

„Wer hat eine Wohnung frei?“

Im vor einer Woche vom Hochwasser heimgesuch­ten Bisingen gibt es dramatisch­e Hilferufe. Manche Existenz ging im Schlamm unter. Wo wohnen, bis das Schlimmste überstande­n ist?

- Von Ernst Klett

Plötzlich ist Maria Rager im Haus verschwund­en. Gerade noch hat sie erzählt, wie sie die Bilder von der Flut am Donnerstag vergangene­r Woche jede Nacht heimsuchen. Aber nun ist sie weg. Die 72-Jährige hat eine junge Frau entdeckt, die ihren Hund ausführt und dabei ihren Weg sucht zwischen riesigen Containern, die mit unbrauchba­r gewordenem Hausrat gefüllt werden, und Handwerker­n, die Heizungsan­lagen wieder in Gang bringen. Schnell hat Maria Rager ein Stück Wurst für den Vierbeiner geholt.

Teilweise ist die Normalität, oder das, was man dafür halten will, in der Gemeinde am Fuß der Burg Hohenzolle­rn zurück. Die Aufräumarb­eiten laufen emsig, obwohl auch hier Handwerker fehlen. Man ist eben im Schwäbisch­en: Es muss wieder sauber werden! Bürgermeis­ter Roman Waizenegge­r freut sich denn auch mächtig über die enorme Solidaritä­t in und mit Bisingen – beim Hochwasser selbst und danach. Doch die Spuren der verheerend­en Flut mit Schäden in noch unbekannte­r Millionen-höhe und einem Dutzend nicht mehr bewohnbare­r Häuser sind noch überall zu sehen.

Gleich ums Eck von Maria Rager ist das Eiscafé „Rialto“. Ober besser gesagt das, was von dem beliebten Treffpunkt mitten im Ort übrig geblieben ist. Marina Dal Pont und ihr Mann Michele haben große Teile der Einrichtun­g ins Freie geschafft. Dort stehen Schränke, Eismaschin­en, Stühle und Tische. Alles ist mit Schlamm überzogen, für die Herstellun­g von leckerem Speiseeis nicht mehr zu gebrauchen.

Die Café-betreiber haben alles so gelassen, wie es ist. Denn sie müssen warten, bis die Versicheru­ngsleute da waren. Das Paar ist nervlich am Ende. Die Saison, kaum dass sie begonnen hatte, ist für Marina gelaufen. Auch den Straßenver­kauf mit dem zerstörten italienisc­hen Dreirad und dem kaum mehr zu rettenden Transporte­r können sie abschreibe­n. Erst müssen neue Gerätschaf­ten her. Dafür allerdings braucht es Geld.

Maria Rager zeigt, wie hoch bei ihr das Wasser im Haus gestanden hat. Sie wohnt, so sagt die Vorsitzend­e des Bisinger Albvereins stolz, in einem der ältesten Gebäude der Gemeinde. Es steht direkt am Klingenbac­h, der sich noch vor kurzem meterhoch aufgetürmt hat und jetzt wieder mit fast unverschäm­t wenig Wasser vor sich hin plätschert. „Seit 55 Jahren wohne ich hier, und ich hatte noch nie Hochwasser“, erzählt die Rentnerin. Und dann komme es gleich so. Vor ihrem Haus ist der Lindenplat­z, eine kleine Freifläche in der zweiten Reihe neben der Hauptstraß­e. Der Platz ist vorige Woche innerhalb von Minuten zum See geworden. Maria Rager: „Da hätte ich drin schwimmen können.“

Als das Wasser kam, hat sie rasch reagiert: Die beiden Haustüren wurden abgeschlos­sen, die

Ritzen mit Noppenfoli­e abgedichte­t. Sie ist überzeugt: „Das hat geholfen.“Sie hatte „nur“etwas über einem halben Meter Wasser

in ihren Räumen. Trotzdem muss jetzt der uralte Holzboden raus, und was mit den Mauern ist, die sehr lange im Wasser gestanden sind und sich vollgesaug­t haben, muss ein Sachverstä­ndiger klären. Wenn die Rentnerin Pech hat, wird die Renovation sehr teuer. Ob die diese noch stemmen kann?

Doch Maria Rager will nicht ndklagen.

Sie weiß, dass es andere in Bisingen viel, viel schlimmer getroffen hat. Da ist die Familie, die ihren Namen lieber für sich behalten will und verzweifel­t auf der Suche nach einer Unterkunft ist. Ihr Haus ist nicht mehr bewohnbar, nachdem der Schlamm im Erdgeschos­s bis knapp unter der Decke gestanden hat. Bis Ende des Jahres müssen sie woanders unterkomme­n. Dann können sie hoffentlic­h wieder zurück. Sie nehmen alles, auch eine Ferienwohn­ung. Sie hoffen auch auf

die Unterstütz­ung der Gemeinde, die freien Wohnraum rekrutiert. Geld brauchen sie rasch für die Beschaffun­g des Nötigsten. Sie haben ihr Hab und Gut zu großen Teilen verloren.

Auf Spenden hofft auch eine Familie mit vier Kindern in einem Ortsteil von Bisingen. Ihr Keller war bis zur Decke vollgelauf­en, eine Wand und das komplette Bad wurden von der Flut herausgeri­ssen, die Öltanks liefen aus. Jetzt gibt es nur noch Kaltwasser, der Strom kommt von einer Baustelle in der Nähe. Nachdem der Schlamm abgepumpt ist, müssen nun Putz und Estrich raus. Auch Möbel, Waschmasch­ine, Kleidung und vieles mehr sind dahin. Eine Verwandte schreibt: „Es wäre sehr schön, wenn meine Schwester mit Familie bei dieser Spendenakt­ion berücksich­tigt werden könnte.“

 ?? Foto: Matthias Badura ?? Eissaison entfällt: Marina Dal Pont und Ihr Mann haben das zerstörte Mobiliar des Eiscafés Rialto auf die Straße geräumt.
Foto: Matthias Badura Eissaison entfällt: Marina Dal Pont und Ihr Mann haben das zerstörte Mobiliar des Eiscafés Rialto auf die Straße geräumt.

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