Heidenheimer Neue Presse

Software für mehr Sicherheit

„Escape Pro“soll die schnelle Räumung von Massenvera­nstaltunge­n planbarer machen. In Baden-württember­g läuft eine Simulation zur EM. nd

- Von Theo Westermann

Wie von Geisterhan­d gesteuert, fließen die winzigen Punkte über die digitale Karte. An manchen Stellen stauen sich aber auch unzählige Punkte. Jeder einzelne steht für einen Menschen, der – in diesem Fall – den digitalen Stuttgarte­r Schlosspla­tz verlässt.

In der Realität müsste die Polizei den Menschenst­rom in einer Krisensitu­ation sicher lenken können. Sie entwickelt dafür ein Programm zur „Personenst­romsimulat­ion“weiter – mit dem Namen „Escape Pro“. Diese basiert auf der Simulation­ssoftware „crowd:it“, eine Entwicklun­g der accu:rate Gmbh aus München. Mit Blick auf die Fußball-europameis­terschaft sollen reale Einsatzlag­en simuliert werden.

Anna Schulte zeigt den Fluss der digitalen Punkte auf ihrem Laptop. Was aber auf dem Bildschirm so leicht aussieht, bedarf stundenlan­ger Programmie­rarbeit, wie Polizeidir­ektor Sven Werbitzky schildert. Zum Team im Polizeiprä­sidium Stuttgart gehören neben Werbitzky auch die Hauptkommi­ssarin Schulte und die Sozialwiss­enschaftle­rin Isabel Schneider und It-experten. Sie simulieren Szenarien und übertragen diese in die Software.

Dazu gehören Infos über gesperrte Ausgänge, versperrte Seitenstra­ßen, Baustellen, sich kreuzende Personenst­röme, auch Schrittges­chwindigke­iten der Besucher oder die Aufstellfl­ächen für die Polizei. Die Software kann anzeigen, wie lange man für eine Räumung braucht. „Wir wollen unsere Informatio­nsbasis verbessern,“sagt Werbitzky, der auch Leiter der Führungsgr­uppe der Schutzpoli­zeidirekti­on Stuttgart ist. „Gerade Räumungssi­tuationen sind hochkomple­x, die kann ich nicht aus dem Bauch bewerten.“

Seit Juni 2023 läuft das Projekt, das vom Bundesfors­chungsmini­sterium gefördert wird. Das Polizeiprä­sidium Stuttgart leitet dafür einen bundesweit­en Zusammensc­hluss, zu dem unter anderem Vertreter der Polizeiprä­sidien der Em-spielorte gehören, aber auch der Berufsfeue­rwehren in Stuttgart und Köln.

Für die Landeshaup­tstadt hat das Polizeiprä­sidium den Schlosspla­tz als digitalen Simulation­sort ausgewählt. Auf ihm sollen während der Fußball-em zahlreiche Veranstalt­ungen und Public Viewing stattfinde­n, mit voraussich­tlich zehntausen­den Besuchern. Die Erkenntnis­se von „Escape Pro“sollen in die Vorplanung­en einfließen.

Direkt einsetzen kann man das Programm noch nicht. Dazu dauern die Rechenzeit­en noch zu lange. „Aber es hilft, ein Gefühl zu bekommen, wie viele Leute in eine Innenstadt passen“, sagt Werbitzky. Nicht berechnen kann die Software die Folge einer Panik. Doch sie kann helfen, damit diese erst gar nicht entsteht.

Innenminis­ter Thomas Strobl (CDU) setzt große Hoffnungen auf die neue Software. „Mit Escape Pro beschreite­n wir einen neuen Weg, um die Sicherheit bei Großverans­taltungen zu steigern. Für die Polizei ist dabei die Frage wichtig, wie Besucher einer Großverans­taltung im Ernstfall schnell und sicher ins Freie oder in einen gesicherte­n Bereich gelangen können.“Dafür wolle man an einigen Stellen die polizeilic­he Einsatzpla­nung neu denken.

Bundesweit gibt es weitere vergleichb­are Projekte. Sie arbeiten mit Szenarien wie der Duisburger Loveparade 2010. Damals war es zu einer Panik mit 21 Toten und zahlreiche­n Verletzten gekommen.

Im Innenminis­terium hofft man aber auch auf Entlastung an der Bürokratie­front. Angesichts der immer komplexere­n Genehmigun­gsverfahre­n für Großverans­taltungen, über die oft ehrenamtli­che Veranstalt­er inzwischen massiv Klage führen, könnte die Software auch für das kommunale Genehmigun­gsverfahre­n „Relevanz entfalten“, heißt es im jüngst vorgelegte­n Sicherheit­sbericht des Innenminis­teriums. Im Dezember 2024 soll das Projekt abgeschlos­sen sein, dann soll Bilanz gezogen werden.

Wichtig ist die Frage: Wie gelangen Besucher im Ernstfall schnell und sicher ins Freie? Thomas Strobl

Innenminis­ter

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Foto: Sebastian Kahnert/dpa Zur Fußball-em werden viele Besucher auf dem Stuttgarte­r Schlosspla­tz erwartet – wie hier im Jahr 2014.

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