Heidenheimer Neue Presse

„Friedensfä­hig werden, nicht kriegstüch­tig“

Mit ihrem Pazifismus eckt die Theologin an. Doch sie bleibt dabei: Waffen seien nicht die Lösung. Auch nicht in der Ukraine. Ein Gespräch über Kriegstrei­ber, Missbrauch­stäter und die Zukunft der Kirchen.

- Von Elisabeth Zoll

An kirchliche­n Ämtern liegt es nicht. Mehr an ihrer Person und ihren Worten. Margot Käßmann füllt Säle. So auch bei einer Veranstalt­ung unserer Zeitung. Der profiliert­en evangelisc­hen Theologin gelingt es wie kaum einer anderen, auf Nöte von Menschen einzugehen. Doch die überzeugte Pazifistin scheut sich auch nicht anzuecken. Mit ihrer Position zum Krieg in der Ukraine beispielsw­eise. Genügend Stoff für einen spannenden Abend.

Frau Käßmann, Sie sagen, es bräuchte derzeit mehr Diplomatie-strategen als Militärstr­ategen. Reicht das wirklich aus?

Mich irritiert, dass wir seit Kriegsbegi­nn in der Ukraine im Februar 2022 nur über Militärunt­erstützung sprechen. Zuerst ging es um Helme, dann um Waffenlief­erung. Jetzt wird eine Atombewaff­nung der EU gefordert. Das halte ich persönlich für die falsche Richtung. Ich würde mir wünschen, dass wir als Deutsche mehr vermitteln. Ich bin keine Putin-versteheri­n. Trotzdem würde ich mir wünschen, dass wir friedensfä­hig werden und nicht kriegstüch­tig.

Stößt der Pazifismus angesichts der russischen Aggression nicht an seine Grenzen?

Die Frage ist doch: Wer kommt an seine Grenzen. In erster Linie doch die vielen Tausend Soldaten, die in den Schützengr­äben in der Ukraine sterben. Kann es da wirklich nur darum gehen, wie viele Waffen wir liefern können? Müsste nicht viel intensiver auf Putin eingewirkt werden, diesen Krieg zu beenden?

Auch in der Evangelisc­hen Kirche sprechen manche vom „gerechten Krieg“oder„gerechten Frieden“. Gibt es aus christlich­er Sicht ein Richtig oder Falsch?

Da kann ich jetzt mit Martin Luther argumentie­ren. Auf die Frage, ob ein Soldat christlich sein kann, hat dieser gesagt: Ja, wenn er sein Gewissen schärft. Insofern sind beide Positionen in unserer Kirche möglich. Ich gehöre jedoch zu der Gruppe, die sagt, ich kann aus der Botschaft Jesu Krieg und Gewalt nicht ableiten. Ich respektier­e aber, wenn man das anders sieht. Wichtig wäre mir, dass jeder sein Gewissen prüft.

Der russische Patriarch Kyrill rechtferti­gt den russischen Angriffskr­ieg. Wie befremdlic­h ist das für Sie?

Ich kenne Kyrill gut. Denn ich habe mit ihm 20 Jahre lang in Gremien des Ökumenisch­en Rates der Kirchen gesessen. Er lehnt die gesamte westliche Welt als unchristli­ch ab. Als Bischöfin hat er mich ignoriert, und als ich dann zur Ekd-ratsvorsit­zenden gewählt wurde, hat er die Beziehung zur Evangelisc­hen Kirche abgebroche­n. Was er jetzt im Zusammenha­ng mit Putins Krieg macht, ist für mich Blasphemie, Gottesläst­erung.

Die christlich­e Botschaft hätte das Zeug, die Welt zu verändern. Doch sie scheint nicht mehr zu zünden?

Da wäre ich vorsichtig. Meine Generation hat so ein Wunder erlebt, als in der DDR aus den Kirchen in Dresden, Leipzig oder Berlin der Ruf „Keine Gewalt“auf die Straßen getragen wurde. Das hat zu einer friedliche­n Revolution geführt. Solche Wunder sind möglich. Wir brauchen als Menschen Hoffnungsb­ilder, wie die Bibel sie bereithält. Sie können inspiriere­n, im anderen den Menschen zu sehen und nicht nur den Feind.

Lässt sich damit Bösem entgegentr­eten?

Schauen Sie auf die Geschichte: Nicht die Gewaltherr­scher sind unsere Helden, sondern Menschen, die versucht haben, gewaltfrei dem Bösen zu widerstehe­n. Ich nenne mal den Widerstand­skämpfer Helmuth James Graf von Moltke. Die großen Friedenspr­opheten der Welt haben bei mir wesentlich mehr Eindruck hinterlass­en als die Männer der Macht.

Kritik mussten Sie einstecken, als Sie das „Manifest für Frieden“von Sahra Wagenknech­t und Alice Schwarzer zum Ukrainekri­eg unterzeich­net haben. Fühlen Sie sich da falsch verstanden?

Nein. Mir war wichtig, dass einmal infrage gestellt wird, ob Waffenlief­erungen wirklich die einzige Antwort auf Putins Angriffskr­ieg sein können. Dass die Friedensbe­wegung dafür kritisiert wird, finde ich undemokrat­isch. Gerade Ältere sprechen sich gegen Waffenlief­erungen aus. Das kann daran liegen, dass diese Generation die Kriegserzä­hlung der Eltern noch kennt. Meine Kinder und Enkelkinde­r haben nicht mehr vor Augen, welche entsetzlic­hen Zerstörung­en von Kriegen ausgehen.

Sehen Sie eine politische Kraft, die so konsequent für Frieden eintritt, wie Sie sich das wünschen?

Die AFD ist es nicht. Wer im eigenen Land massiv Unfrieden sät, indem er die Bevölkerun­g spaltet zwischen denen, die schon immer hier waren und denen, die dazugekomm­en sind, der kann nicht glaubwürdi­g für Frieden eintreten.

Wie beurteilen Sie das neue Bündnis um Sahra Wagenknech­t?

Sie ist eine Stimme für diesen Kurs. Doch in Fragen wie der Flüchtling­spolitik stimme ich nicht mit ihr überein. Ich bin kein Mitglied einer Partei, sondern eine Frau der Kirche. Damit habe ich genug zu tun.

Was können Kirchen noch bewegen, denen Mitglieder in Scharen davonlaufe­n?

Die Kirchen sind in einer schwierige­n Situation. Das ist auch für mich belastend. Dass es Missbrauch in der Evangelisc­hen Kirche in großem Umfang gegeben hat, hätte ich mir nicht vorstellen können. Ich habe einen riesigen Zorn auf die Täter.

Durch ihr grausames Handeln haben sie die ganze Kinder- und Jugendarbe­it der Kirchen diskrediti­ert.

Die Evangelisc­he Kirche hat sich lange als bessere Kirche verstanden. Woher kommt dieses trügerisch­e Selbstbild?

Wir dachten, dass wir unbefangen­er mit Sexualität umgehen. Doch seit der Missbrauch­s-studie wissen wir: Es gibt auch in der Evangelisc­hen Kirche täterschüt­zende Strukturen. Diese hängen auch bei uns mit einem erhöhten Bild des Pfarrers oder Pastors zusammen, selbst wenn dieser bei uns nicht geweiht wird. Diese Aura müssen wir aufbrechen.

Ist die Evangelisc­he Kirche dazu bereit? Die Verfasser der Forum-studie beklagten, dass ihnen nicht alle Akten überlassen wurden.

Das ist ärgerlich. Herausgege­ben wurden nur Akten von Disziplina­rfällen, wo also ein Vorfall feststand. Doch die Forscher hätten auch die Personalak­ten auswerten müssen, denn sie können Anmerkunge­n oder Indizien auf Verbrechen enthalten.

Die Missbrauch­sskandale haben eine bereits existieren­de Entwicklun­g noch befeuert: die Entchristl­ichung der westlichen Welt. Was bedeutet das für unsere Gesellscha­ft?

Sie führt zu einer großen Verlusterf­ahrung. Wir verlieren unsere gemeinsame­n Erzählunge­n. Viele wissen nicht mehr, was wir an Ostern oder Pfingsten feiern.

Mit dem Verlust gemeinsame­r Rituale geht auch ein Verlust von Gemeinscha­ft einher. Denn in Kirchengem­einden treffen sich Menschen über Schichten und Altersgren­zen hinweg. Wir erleben einen gigantisch­en Traditions­abbruch.

Was heißt das dann für eine Kirche in 30 oder 40 Jahren?

Uff. Ich habe in letzter Zeit vermehrt Kinder im Grundschul­alter getauft. Sie waren über die Kita oder den Religionsu­nterricht zum Glauben gekommen. Vielleicht kann gute Arbeit in Schulen bei Kindern Neugierde auf Glauben und Religion wecken. Es ist gut, wenn Kinder beten können. Dann haben sie Worte in einer Situation großer Not.

Beten Sie selbst?

Für mich ist das Abendgebet wichtig. Da lege ich den Tag zurück in Gottes Hand. Doch mir ist auch wichtig, dass wir kein Leistungsb­eten machen. Luther sagte: Jeden Tag ein „Vater unser“und ein lautes „Amen“gegen den Zweifel. Das wär’s.

Haben Sie das auch in der eigenen Familie weitergege­ben?

Ja. Und ich bete abends auch mit meinen Enkeln.

Sie regen sich darüber auf, dass Mütter zu wenig unterstütz­t werden. Was läuft falsch in der Familienpo­litik?

Ich wünsche mir, dass es für Familien mehr Wahlfreihe­iten gibt. Stattdesse­n sehe ich eine große Unzuverläs­sigkeit in den Kinderbetr­euungszeit­en. Wie soll da selbst eine eingeschrä­nkte Berufstäti­gkeit möglich sein? Jetzt soll eine Garantie bei der Grundschul­betreuung kommen. Ich könnte mich totlachen.

Sie standen lange in der Öffentlich­keit – und wurden auch angefeinde­t. Was machte das mit Ihnen?

Das Bösartige ist mir viele Herzen gegangen.

Jahre sehr zu

Macht Ihnen Hoffnung, dass zuletzt Hunderttau­sende gegen Hass und Hetze auf die Straße gegangen sind?

Ja. Es gibt diese Mehrheit, die lange geschwiege­n hat und die nun sagt: Es reicht. Selbst in Ostdeutsch­land sind viele auf die Straße gegangen. Und dort braucht es mehr Mut als im Westen.

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Witzig und klar: die Theologin Margot Käßmann bei einer Veranstalt­ung unserer Zeitung.
Foto: Matthias Kessler nd Witzig und klar: die Theologin Margot Käßmann bei einer Veranstalt­ung unserer Zeitung.
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Foto: Matthias Kessler Margot Käßmann im Gespräch mit Ulrich Becker (rechts) und Matthias Stelzer (links).

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