Gesunde Mitarbeiter, gesunde Firma
Die aktuellen Umbrüche belasten viele Menschen. Der Sanitär-betrieb Sachsenmaier und die Volksbank Ulm-biberach machen vor, wie sich die seelische Gesundheit der Mitarbeiter stärken lässt.
Wer Grippe hat, hustet. Wer ein gebrochenes Bein hat, trägt einen Gips. Schwieriger wird es bei Erschöpfung oder Zukunftsangst. Wie erkennt man psychische Erkrankungen – oder lässt es gar nicht erst so weit kommen? Etwas, mit dem sich Arbeitgeber beschäftigen sollten: Mental Health als Teil des betrieblichen Gesundheitsmanagements. „Psychische Erkrankungen sind immer häufiger der Grund für Fehlzeiten und den frühzeitigen Einstieg in das Rentenalter“, bestätigt das Bundesgesundheitsministerium.
Der „DAK Psych Report 2024“ergab einen Höchststand von Arbeitsausfällen am Arbeitsplatz wegen Depressionen, Belastungsreaktionen und Ängsten.
„Der Arbeitgeber hat eine Fürsorgepflicht und muss die Gesundheit des Arbeitnehmers schützen“, sagt Melanie Vöhringer aus Friedrichshafen. Sie ist Stärken- und Stresscoachin für Selbstständige und Unternehmen. „Unternehmen, die sich nicht ausreichend um die mentale Gesundheit ihrer Mitarbeiter kümmern, schaden sich langfristig selbst. Viele Firmen setzen sich mit aktuellen Themen wie Mental Health und stärkebezogenen Aufgaben auseinander. Sie merken: Mit alten Werten und verkrusteten Strukturen kriege ich keine Leute mehr.“
Ein Unternehmen, das sich bereits seit 2012 verstärkt um die ganzheitliche Gesundheit seiner Mitarbeitenden kümmert, ist die Volksbank Ulm-biberach eg. Bereits zwei Mal konnte die Genossenschaftsbank zuletzt den Corporate Health Award von Handelsblatt und EUPD Research gewinnen. „Die Schlagzahl an täglichen Themen erhöht sich beständig. Zum Beispiel können durch Videokonferenz-systeme zwar Anfahrtszeiten verringert werden, die frei werdende Zeit füllt sich jedoch schnell mit neuen Kundenterminen“, erklärt Vorstandsprecher Stefan Hell erklärt die Herausforderungen unserer Zeit. Es bestehe die Gefahr, dass neue Themen nur hinzukommen. „Nicht zuletzt belastet viele der generelle Umbruch, in dem wir uns befinden. Wie sieht die Zukunft des Bankings aus? Wie verändern sich die eigenen Aufgaben? Welche Aufgaben gibt es überhaupt noch in drei Jahren, in fünf oder zehn?“
Die Warnzeichen einer Überlastung sind vielfältig und individuell: Schlafstörungen, Teilnahmslosigkeit, Gereiztheit, unregelmäßige oder ungesunde Ernährung, Suchtproblematiken, sozialer Rückzug, dauerhafte Erschöpfung, Vergesslichkeit und vieles mehr. „Im Dauerstress-modus steigt der Cortisol-spiegel im Körper“, erklärt Vöhringer. „Das ist für kurzfristige Höchstleistungen wunderbar und pusht uns. Auf Dauer wird es aber zu viel.“Die Folge: Arbeitsausfälle, Langzeit-krankheiten oder Kündigungen.
Seit vier Jahren kümmert sich Jasmin Bitterle als Vollzeitkraft um die gesundheitlichen Belange der Volksbank-mitarbeitenden im Raum Ulm/biberach. „Seelische Gesundheit ist leider oft noch ein Tabuthema“, sagt sie. „Wir müssen es schaffen, dass es selbstverständlich ist, im Alltag darüber zu sprechen. Es ist kein Zeichen von Schwäche. Als Arbeitgeber kann man einen Beitrag leisten, indem man dafür sensibilisiert.“
Die Volksbank Ulm-biberach bietet eine große Bandbreite an Angebote für ihre Beschäftigten: von der eigenen GesundheitsApp und einer Intranet-plattform auf der zum Beispiel Vorträge oder Hausaufgabenbetreuung der Kinder buchbar sind, über Vergünstigungen
für Fitness- und Wellness-aktivitäten bis hin zu ergonomischen Hilfsmitteln oder auch Zugang zu psychosomatischen Sprechstunden. Seit vergangenem Jahr gibt es 20 Psychische Ersthelfer.
Das Augenmerk der seelischen Gesundheit legt die Bank bereits früh – beim Recruiting-prozess. „Schon bei der Analyse des Stellenbedarfs achten wir auf die konkreten Anforderungen“, erklärt Hell. „Durch gezieltes, kompetenzgerechtes Besetzen der Stellen versuchen wir, späteren Überforderungen vorzubeugen.“
Auch der Sanitär-betrieb Sachsenmaier aus Göggingen wurde für sein Gesundheitsmanagement mit dem Corporate Health Award ausgezeichnet. „Es ist deutlich erkennbar, dass sich die Arbeitsatmosphäre stark verbessert hat“, erzählt Geschäftsführer Alexander Sachsenmaier. „Bei uns gibt es wenig Fluktuation, einen geringeren Krankenstand und einen spürbar besseren Zusammenhalt.“Er gibt zu: „Im Handwerk sind wir vielleicht noch etwas zögerlich, solche Themen aktiv anzugehen, aber wir bewegen uns alle in die richtige Richtung“. Gerade mit Blick auf fehlende Fachkräfte sei das ein Vorteil. „Unser Wert in der Gesellschaft steigt und wir werden attraktiver für zukünftigen Nachwuchs, den Handwerk und Gesellschaft dringend brauchen“, sagt Sachsenmaier.
In einem Punkt sind sich Bitterle und Vöhinger einig: Eine wichtige Rolle im Prozess der Corporate-health-entwicklung nehmen die Führungskräfte ein. „Als Führungskraft habe ich eine Vorbildfunktion. Die anderen orientieren sich an mir“, sagt Vöhringer. „ Man kann sich fragen: Was lebe ich als Normalität vor? Bin ich immer der Erste, der kommt und der Letzte, der geht?“Es bestehe so die Gefahr, dass Mitarbeiter sich unter Druck gesetzt fühlen, es der Führungsperson gleichzutun. Diese sollten also auf ihre eigene mentale Gesundheit achten und gleichzeitig sensibel für die Belange der anderen sein.
„Als Führungskraft ist es wichtig, zu wissen, wie meine Mitarbeitenden ‚ticken‘. Dann kann ich alle im Team bewusst nach ihren Stärken einsetzen. Wenn ich als Führungskraft jedoch selbst im Dauerstress bin, verkneifen die Mitarbeiter sich viele Themen und gehen gar nicht erst auf mich zu“, sagt die Coachin. „Stress ist ansteckend. Deshalb brauchen gerade Führungskräfte ein gutes Gespür für die Belange im Team.“Ebenso wichtig sei ein realistisches Arbeitspensum, ein offener Umgang mit Kritik und Fehlern und regelmäßige Auszeiten.
Wichtig ist es, Führungskräfte entsprechend zu schulen, zu unterstützen und zu stärken. Die Investition in die mentale Gesundheit im Unternehmen lohnt sich spätestens dann, wenn zufriedene, ausgeglichene, produktive Mitarbeitende zur Arbeit kommen – außer sie haben eine Grippe.
Wir müssen im Alltag über die seelische Gesundheit sprechen.
Jasmin Bitterle
Volksbank Ulm-biberach