Bollerwagen und Vesperkorb
Erst zwischen Weinbergen wandern, dann beim Winzer einkehren? So weit, so normal. Der Trend in der Ortenau am Rande des Schwarzwaldes aber geht zu Weinproben zwischen den Reben. Erleben mit allen Sinnen ist das Stichwort – auch dem Geschmackssinn
Das Achertal ist verhext. Wer es nicht glaubt, sollte sich aber auch nicht wundern, wenn auf der Wandertour zwischen den Weinterrassen aus dem Nichts eine Frau in rotschwarzem Gewand auf den Weg hüpft. „Früher war ich ein schönes Burgfräulein“, klagt sie am Hang über dem badischen Rotweindorf Kappelrodeck. Aus verschmähter Liebe sei sie dann zur alten Hex vom Dasenstein geworden.
Wer nicht überrascht werden will, bucht von vornherein eine Weinwanderung mit Doris Baßler. So heißt die Frau, die im Hexenkostüm steckt und während einer vier- bis fünfstündigen Tour auch für Vesper, Hexensuppe, Wein und Hexenschnaps sorgt. Während man einst zu Wandertouren durch Weingebiete aufbrach und anschließend in Winzerstuben einkehrte, lässt sich heute beides zeitgleich erleben. Zur Rebstock-atmosphäre gibt es passende Weine plus Unterhaltung serviert – gleich mitten im Weinberg. Winzer lassen sich immer neue Eventpakete einfallen.
Schnapsbrunnen und Hexensagen
Im Falle des Achertals bietet Doris Baßler als Dasenstein-hex auch Kostproben aus ihrem Schnapsbrunnen. Er steht gleich neben Streuobstwiesen, „von deren Früchtchen bei uns alles flüssig gemacht wird“, erklärt Baßler beim Einschenken. Die Destillate heizen genau richtig ein, wenn das Fräulein Dasenstein ihre sagenhaften Geschichten erzählt, wie die um ihr Hexenschicksal.
Und die Sage geht so: Um das Jahr 1356 sei ihr ein Bauernsohn zum Verhängnis geworden. „In ihn hatte ich mich unsterblich verliebt“, gesteht Doris. Weil er kein Ritter war, jagte der Burgherr seine Tochter ins Tal hinab. Doch ohne Haus und Grund verschmähte sie auch der Bauernsohn. Daraufhin verkroch sich die Holde in der Felsformation Dasenstein und pflanzte rund um die Höhle Wein.
Und aus dem haben badische Winzer eine Menge gemacht. Mit Tourismusund Eventagenturen sprudeln sie heute nur so vor Ideen, um Gäste in die Weinberge zwischen Badischer Weinstraße und dem Nationalpark Schwarzwald zu locken. Spurensuche in der Ortenau.
Baumhäuser zwischen Weinbergen
„Mensch, wir wohnen so schön, da müsste man touristisch doch was machen“, dachte sich Stefanie Huber und träumte von Tiny-häusern, die man in Weinberge und Obstplantagen stellen und vermieten könnte. Ihr Mann hatte dazu erst keine Meinung – jetzt thronen vier idyllische Baumhäuser über den Weinbergen von Oberkirch. „Josef brachte eines Tages aus unserem Wald riesige Baumstämme mit und sagte: „Die sind echt zu schade, um daraus nur Bretter zu machen. Wie wäre es mit Häusern auf Baumstämmen?““, erinnert sich Huber. Zwei Jahre später residierten die ersten Urlauber in den „Waldhisli“– mit Fußbodenheizung und herrlichem Blick über das Bottenauer Tal und den Hof der Hubers.
Josef ist nicht nur Winzer, Landwirt, Forstwirt, Bierbrauer, Schnapsbrenner und Imker, sondern auch gelernter Zimmermann und hat die Häuser selbst gebaut. Ehefrau Stefanie wiederum betreut die Gäste in den 20 Quadratmeter großen Tiny-häuschen auf Stelzen, bereitet für sie das Frühstück zu, schmeißt die Gästesauna an und stellt Raclette- und Grillkörbe zusammen, damit man auf den 12-Quadratmeter-balkonen brutzeln und grillen kann. Oder sie packt Vesperkörbe für Weinwanderungen. Denn dafür ist Oberkirch ein idealer Ausgangspunkt – etwa zum Schloss Staufenberg.
Wer nicht zu Fuß zur 900 Jahre alten Festung hoch über Durbach wandern will, kann sich im Ort ein E-bike mieten und nutzt einen der Fahrradwanderwege zur Burg. Sie steht auf einer fast 400 Meter hohen Felsnase, umgeben von 23 Hektar Reben, die zum Schloss gehören. Der Lohn ist „die schönste Terrasse Badens“, wie sie Volker Faust nennt. Er ist als Betriebsleiter vom Weingut Markgraf von Baden quasi der Schlossherr. „Von hier aus hat man an guten Tagen einen Blick bis zum Straßburger Münster und dem Elsass“, sagt Faust und deutet über den Rand der Restaurant-terrasse. Zur anderen Seite, gleich hinter dem Schloss, befindet sich der Klingelberg.
Beim Namen Kingelberg klingelt‘s bei Freunden badischer Weine. „Denn Klingelberger ist in der Ortenau die Bezeichnung für einen guten Riesling“, sagt Ernst Büscher vom Deutschen Weininstitut (DWI). Warum die Weißweinsorte in der Region so eine Extrarolle einnimmt, erklärt der Experte so: „Baden ist Burgunderland, aber die Ortenau berühmt für ihren Riesling.“Der Ursprung dafür liegt fast 250 Jahre zurück. „Da holte der damalige Markgraf von Baden Klone von Ur-rieslingsetzlingen aus dem Rhein-main-gebiet und baute sie am Klingelberg an“, erklärt Volker Faust.
Vesperrucksäcke und Hockerle
Damit gibt es genug Stoff für die Guides, die man auf dem Schloss für Weinwanderungen mit Picknick- und Weinkörben buchen kann. Und ebenfalls für jene, die hier mit dem Kleinbus etwa von „Dollsche Vino“Station machen. Als rollende Weinprobe ist der Bus genau richtig für Leute, die weniger gut zu Fuß sind und sich für Halb- und Ganztagstouren durch die Ortenau chauffieren lassen – mit Proben bei bis zu vier Winzern – mit und ohne Schwarzwälder Vesper.
Wer die Ortenau lieber auf eigene Faust mit einer Outdoor-weinprobe erkundet, zieht einfach mit einem Bollerwagen in den Weinberg. „Damit wollen wir als Alternative zur klassischen Weinprobe ein junges Publikum ansprechen“, erklärt Timo, der zusammen mit Ehefrau Vanessa auf die Idee von „Durbach Adventures“kam. Ihre Handwagen sind mit sechs Weinen in Kühlboxen samt Gläsern und Glashaltern bestückt. Eine Soundbox sorgt an sechs Stationen für Infos zu den jeweiligen Reben und Winzern.
Es gibt auch Alternativen ohne Räder. Im Hespengrund etwa packt der Winzer vom Weingut Freiherr von Neveu eine Flasche in einen Vesperrucksack zum Mieten – zusammen mit Schinken und Wurst vom Metzger, Käse, Oliven, Antipasti und Rotweinbrot. Bei der Ausstattung für Zwei ist an alles gedacht: Kühlakkus, Besteck, Gläser und Geschirr.
Ganz ohne Huckepack lässt es sich zu zweit ähnlich fürstlich am Fuße der Burg Staufenberg picknicken – im sogenannten Hockerle. Die drehbaren Schwarzwaldhäuschen in der Größe eines Strandkorbs stehen vor dem Weingut Männle und lassen sich buchen. Über einen Zugangscode gibt‘s dann den gekühlten Vesperkorb aus einem Schließfach mit Wein und Sekt des Hauses.