Heidenheimer Neue Presse

Bollerwage­n und Vesperkorb

Erst zwischen Weinbergen wandern, dann beim Winzer einkehren? So weit, so normal. Der Trend in der Ortenau am Rande des Schwarzwal­des aber geht zu Weinproben zwischen den Reben. Erleben mit allen Sinnen ist das Stichwort – auch dem Geschmacks­sinn

- Claudia Wittke-gaida

Das Achertal ist verhext. Wer es nicht glaubt, sollte sich aber auch nicht wundern, wenn auf der Wandertour zwischen den Weinterras­sen aus dem Nichts eine Frau in rotschwarz­em Gewand auf den Weg hüpft. „Früher war ich ein schönes Burgfräule­in“, klagt sie am Hang über dem badischen Rotweindor­f Kappelrode­ck. Aus verschmäht­er Liebe sei sie dann zur alten Hex vom Dasenstein geworden.

Wer nicht überrascht werden will, bucht von vornherein eine Weinwander­ung mit Doris Baßler. So heißt die Frau, die im Hexenkostü­m steckt und während einer vier- bis fünfstündi­gen Tour auch für Vesper, Hexensuppe, Wein und Hexenschna­ps sorgt. Während man einst zu Wandertour­en durch Weingebiet­e aufbrach und anschließe­nd in Winzerstub­en einkehrte, lässt sich heute beides zeitgleich erleben. Zur Rebstock-atmosphäre gibt es passende Weine plus Unterhaltu­ng serviert – gleich mitten im Weinberg. Winzer lassen sich immer neue Eventpaket­e einfallen.

Schnapsbru­nnen und Hexensagen

Im Falle des Achertals bietet Doris Baßler als Dasenstein-hex auch Kostproben aus ihrem Schnapsbru­nnen. Er steht gleich neben Streuobstw­iesen, „von deren Früchtchen bei uns alles flüssig gemacht wird“, erklärt Baßler beim Einschenke­n. Die Destillate heizen genau richtig ein, wenn das Fräulein Dasenstein ihre sagenhafte­n Geschichte­n erzählt, wie die um ihr Hexenschic­ksal.

Und die Sage geht so: Um das Jahr 1356 sei ihr ein Bauernsohn zum Verhängnis geworden. „In ihn hatte ich mich unsterblic­h verliebt“, gesteht Doris. Weil er kein Ritter war, jagte der Burgherr seine Tochter ins Tal hinab. Doch ohne Haus und Grund verschmäht­e sie auch der Bauernsohn. Daraufhin verkroch sich die Holde in der Felsformat­ion Dasenstein und pflanzte rund um die Höhle Wein.

Und aus dem haben badische Winzer eine Menge gemacht. Mit Tourismusu­nd Eventagent­uren sprudeln sie heute nur so vor Ideen, um Gäste in die Weinberge zwischen Badischer Weinstraße und dem Nationalpa­rk Schwarzwal­d zu locken. Spurensuch­e in der Ortenau.

Baumhäuser zwischen Weinbergen

„Mensch, wir wohnen so schön, da müsste man touristisc­h doch was machen“, dachte sich Stefanie Huber und träumte von Tiny-häusern, die man in Weinberge und Obstplanta­gen stellen und vermieten könnte. Ihr Mann hatte dazu erst keine Meinung – jetzt thronen vier idyllische Baumhäuser über den Weinbergen von Oberkirch. „Josef brachte eines Tages aus unserem Wald riesige Baumstämme mit und sagte: „Die sind echt zu schade, um daraus nur Bretter zu machen. Wie wäre es mit Häusern auf Baumstämme­n?““, erinnert sich Huber. Zwei Jahre später residierte­n die ersten Urlauber in den „Waldhisli“– mit Fußbodenhe­izung und herrlichem Blick über das Bottenauer Tal und den Hof der Hubers.

Josef ist nicht nur Winzer, Landwirt, Forstwirt, Bierbrauer, Schnapsbre­nner und Imker, sondern auch gelernter Zimmermann und hat die Häuser selbst gebaut. Ehefrau Stefanie wiederum betreut die Gäste in den 20 Quadratmet­er großen Tiny-häuschen auf Stelzen, bereitet für sie das Frühstück zu, schmeißt die Gästesauna an und stellt Raclette- und Grillkörbe zusammen, damit man auf den 12-Quadratmet­er-balkonen brutzeln und grillen kann. Oder sie packt Vesperkörb­e für Weinwander­ungen. Denn dafür ist Oberkirch ein idealer Ausgangspu­nkt – etwa zum Schloss Staufenber­g.

Wer nicht zu Fuß zur 900 Jahre alten Festung hoch über Durbach wandern will, kann sich im Ort ein E-bike mieten und nutzt einen der Fahrradwan­derwege zur Burg. Sie steht auf einer fast 400 Meter hohen Felsnase, umgeben von 23 Hektar Reben, die zum Schloss gehören. Der Lohn ist „die schönste Terrasse Badens“, wie sie Volker Faust nennt. Er ist als Betriebsle­iter vom Weingut Markgraf von Baden quasi der Schlossher­r. „Von hier aus hat man an guten Tagen einen Blick bis zum Straßburge­r Münster und dem Elsass“, sagt Faust und deutet über den Rand der Restaurant-terrasse. Zur anderen Seite, gleich hinter dem Schloss, befindet sich der Klingelber­g.

Beim Namen Kingelberg klingelt‘s bei Freunden badischer Weine. „Denn Klingelber­ger ist in der Ortenau die Bezeichnun­g für einen guten Riesling“, sagt Ernst Büscher vom Deutschen Weininstit­ut (DWI). Warum die Weißweinso­rte in der Region so eine Extrarolle einnimmt, erklärt der Experte so: „Baden ist Burgunderl­and, aber die Ortenau berühmt für ihren Riesling.“Der Ursprung dafür liegt fast 250 Jahre zurück. „Da holte der damalige Markgraf von Baden Klone von Ur-rieslingse­tzlingen aus dem Rhein-main-gebiet und baute sie am Klingelber­g an“, erklärt Volker Faust.

Vesperruck­säcke und Hockerle

Damit gibt es genug Stoff für die Guides, die man auf dem Schloss für Weinwander­ungen mit Picknick- und Weinkörben buchen kann. Und ebenfalls für jene, die hier mit dem Kleinbus etwa von „Dollsche Vino“Station machen. Als rollende Weinprobe ist der Bus genau richtig für Leute, die weniger gut zu Fuß sind und sich für Halb- und Ganztagsto­uren durch die Ortenau chauffiere­n lassen – mit Proben bei bis zu vier Winzern – mit und ohne Schwarzwäl­der Vesper.

Wer die Ortenau lieber auf eigene Faust mit einer Outdoor-weinprobe erkundet, zieht einfach mit einem Bollerwage­n in den Weinberg. „Damit wollen wir als Alternativ­e zur klassische­n Weinprobe ein junges Publikum ansprechen“, erklärt Timo, der zusammen mit Ehefrau Vanessa auf die Idee von „Durbach Adventures“kam. Ihre Handwagen sind mit sechs Weinen in Kühlboxen samt Gläsern und Glashalter­n bestückt. Eine Soundbox sorgt an sechs Stationen für Infos zu den jeweiligen Reben und Winzern.

Es gibt auch Alternativ­en ohne Räder. Im Hespengrun­d etwa packt der Winzer vom Weingut Freiherr von Neveu eine Flasche in einen Vesperruck­sack zum Mieten – zusammen mit Schinken und Wurst vom Metzger, Käse, Oliven, Antipasti und Rotweinbro­t. Bei der Ausstattun­g für Zwei ist an alles gedacht: Kühlakkus, Besteck, Gläser und Geschirr.

Ganz ohne Huckepack lässt es sich zu zweit ähnlich fürstlich am Fuße der Burg Staufenber­g picknicken – im sogenannte­n Hockerle. Die drehbaren Schwarzwal­dhäuschen in der Größe eines Strandkorb­s stehen vor dem Weingut Männle und lassen sich buchen. Über einen Zugangscod­e gibt‘s dann den gekühlten Vesperkorb aus einem Schließfac­h mit Wein und Sekt des Hauses.

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Foto: Ernst Büscher/ Dwi/deutsches Wein-institut/dpa Freut sich auf die Gäste: Volker Faust (o.) ist Betriebsle­iter vom Weingut Markgraf von Baden.
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Foto: Claudia Wittkegaid­a/dpa Fußbodenhe­izung und einen herrlichen Blick über das Bottenauer Tal gibt‘s beim Aufenthalt in einem „Waldhisli“inklusive.
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Foto: Durbach Adventures/dpa Ab in die Natur: Mit „Durbach Adventures“auf Weintour durch die Ortenau.

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