Heidenheimer Zeitung

Andrea Nahles verspricht Opposition mit Leidenscha­ft

SPD Mit satter Mehrheit ist die bisherige Arbeitsmin­isterin zur neuen Chefin der sozialdemo­kratischen Bundestags­fraktion gewählt worden. Sie ist jetzt die starke Frau der Partei.

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Ihre Partei mag gebeutelt sein, Andrea Nahles ist es nicht. Noch vor ihrer Wahl zur Spd-fraktionsc­hefin mit 90 Prozent Zustimmung spricht sie zwar auch davon, „ein bisschen wehmütig“zu sein. Mit Blick auf die Union schlüpft sie aber ohne Umschweife in ihre Rolle als Opposition­sführerin: „Ab morgen kriegen sie in die Fresse.“Als die 47-Jährige später mit breitem Nahles-grinsen aus der Fraktionss­itzung kommt, verspricht sie leidenscha­ftliche Opposition­sarbeit. „Damit dürfen Sie rechnen.“

Im Ton sind sich Nahles und SPD-CHEF Martin Schulz damit sehr nahe. Nahles sagt oft: „Kacke!“Schulz: „So einen Scheiß habe ich noch nie gehört!“Sie haben aber mehr gemeinsam als die Kraftausdr­ücke. Beide stammen aus dem Rheinland, beide aus einfachen Verhältnis­sen: Sie ist ein Arbeiterki­nd aus der Vulkaneife­l, er Polizisten­sohn aus dem Aachener Drei-länder-eck. Und gemeinsam sollen sie nun die Genossen wieder aufrichten.

Worin sich beide allerdings so gar nicht gleichen, ist die Ausgangsla­ge nach der Wahl. Schulz hat keine Hausmacht in der SPD. Er war ein Geschöpf Sigmar Gabriels, der seinerseit­s jetzt zu den großen Verlierern gehört. Sein Verspreche­n von der „teamorient­ierten Führung“hat er gleich nach der Wahl gebrochen, als er glaubte, Nahles und Noch-generalsek­retär Hubertus Heil an der Fraktionss­pitze ohne vorherige Absicherun­g durchdrück­en zu können. Drei Tage nach der Wahl ist Schulz angezählt.

Ganz anders Nahles: Sie hat harte Jahre als Generalsek­retärin unter Gabriel hinter sich. Mehrfach hat sie dem unberechen­baren Boss angedroht: „Sigmar, ich schmeiß’ die Brocken hin.“Heute ist sie so gut vernetzt in der SPD wie sonst niemand in der Führung. Das macht sie im Vergleich zu Schulz so stark. Manche sehen in ihr das künftige Machtzentr­um der SPD, nicht im gescheiter­ten Kanzlerkan­didaten, nicht im Hamburger Olaf Scholz. Selbst der Spd-altvordere Gerhard Schröder musste im Frühsommer beim Essener Parteitag zugeben: „Andrea, ich hatte nicht immer erwartet, dass du das so toll machen würdest.“

Der Aufstieg ist Nahles nicht in den Schoß gefallen. In Porträts wurde sie lange als Klassenspr­echerin beschriebe­n und als Kampf-linke, manchmal auch als Schrecksch­raube. Ausgerechn­et dieses Schrille bestätigte sie im Wahlkampf 2013, als sie im Bundestag das Pippi-langstrump­f-lied anstimmte. Bei vielen hat sich festgesetz­t, dass Nahles die Kanzlerin mit einem schief gesungenen Kinderlied angriff.

Seitdem hat sich viel geändert. Erst vor drei Wochen hielt Nahles – nun Arbeitsmin­isterin im Kabinett Merkel – im Bundestag eine Rede, die sich gewaschen hatte. Stolz verwies sie auf die Errungensc­haften ihres Ministeriu­ms: den Mindestloh­n zum Beispiel. Wo es nicht geklappt hat, etwa beim Programm zur öffentlich­en Beschäftig­ung, warf sie Merkel und Schäuble vor, dass sie „mich am langen Arm haben verhungern lassen“.

Nahles, die sich als Ministerin einen hervorrage­nden Ruf erarbeitet hat, hat gezeigt, dass sie auch Opposition kann. Wie sie das angehen will, deutet sie am Mittwoch an. Gefragt, an welchem ihrer Vorgänger sie sich orientiert, nennt sie Peter Struck. „Er hat das Parlament und die Parlamenta­rier ernstgenom­men und für Disziplin in der Fraktion gesorgt.“

Auf die kann sich Martin Schulz nur noch bedingt verlassen. „Die Parteispit­ze hat den Gong immer noch nicht gehört“, schimpft etwa die Fraktionsl­inke Hilde Mattheis. „Wir dürfen nicht dieselben Fehler wie 2009 und 2013 machen. Nicht lange über Fehler und Versäumnis­se diskutiere­n, schnell alle Personalen­tscheidung­en treffen und dann weiter so – das geht dieses Mal nicht.“

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Fraktionsc­hefin Andrea Nahles vor der Fotowand mit den Bildern ihrer Vorgänger. Foto: dpa

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