Partei am Abgrund
Die SPD ist eine alte Partei, sie gibt es jetzt seit über 154 Jahren. Aber weder ihr Alter noch ihre stolze Tradition in der deutschen Demokratie bewahren die Sozialdemokraten auf Dauer vor Fehlern und Rückschlägen – oder sogar vor dem Sturz in die Bedeutungslosigkeit. Ein Blick in europäische Nachbarländer zeigt, dass schon manche Schwesterpartei der SPD von der Bildfläche verschwunden oder zu einer kaum mehr wahrnehmbaren Stimme in der politischen Öffentlichkeit geworden ist.
Dieses traurige Schicksal droht der SPD nicht unmittelbar. Schon einmal in ihrer Geschichte war die Partei ungefähr auf jenem Niveau angekommen, das die Wähler ihr am Sonntag zugewiesen haben: Bei der Reichtagswahl im Juli 1932, also am Vorabend von Hitlers Machtergreifung, landete die SPD bei 21,6 Prozent. Was für die Genossen damals folgte, waren Jahre der Unterdrückung, Verfolgung und Existenzangst bis zum Kriegsende.
Aber es gab auch immer diesen Behauptungswillen der SPD, ihre Fähigkeit zur Erneuerung in einem Geist der Solidarität, und genau davon braucht die Partei in diesen Zeiten wieder eine gehörige Portion. Was sie dagegen nicht braucht, ist ein Rückfall in bekannte Muster. In der jüngeren Vergangenheit verbarg sich hinter der Parole vom Neustart der SPD oft nicht etwa eine programmatische Remedur oder der Abschied von erfolglosen Strategien. Vielmehr gefiel sich die Partei in internen Machtspielchen, in Selbstbeschäftigung und schnödem Postengeschacher.
Ein Hauch davon war auch in den Tagen nach der Wahl bereits wieder zu spüren. Beim personellen Neuaufbau an der Spitze der SPD drohten die Beteiligten gefährlich ins Stolpern zu geraten. Einige Irrlichter unter den Hintersassen mussten erst darauf hingewiesen werden, dass die Revitalisierung der SPD gleich scheitern könnte, wenn es auch dieses Mal beim üblichen Kreiseln und Flügelschlagen bliebe. Und selbst nach der Wahl der ersten Frau an die Spitze der Spd-bundestagsfraktion scheinen die konkurrierenden Lager in der Partei nicht so weit befriedet, dass nun Ruhe einkehren würde bei den Sozialdemokraten.
Die SPD muss die Opposition nutzen, um sich rundzuerneuern – inhaltlich, strategisch und personell.
Martin Schulz und Andrea Nahles müssen jetzt als Doppelspitze fungieren und den Prozess der Selbstkritik, Fehleranalyse und Neuausrichtung gemeinsam vorantreiben. Das wird nicht in wenigen Wochen zu schaffen sein, weil davon gleichermaßen das Programm der SPD, ihr Führungspersonal und der Parteiapparat, der strategische Kurs wie die Rekrutierung von Funktionsträgern betroffen sind.
Die SPD steckt ja nicht seit Jahren bloß in einer konjunkturellen Delle, sondern in einer tiefen Identitäts-, Struktur- und Glaubwürdigkeitskrise. Daraus helfen nicht ein paar kosmetische Handgriffe oder der hastige Austausch einzelner Führungsfiguren (von denen Schulz die nächste sein könnte). Die SPD muss vielmehr die vier Jahre in der Opposition nutzen, um sich nachhaltig rundzuerneuern – inhaltlich, strategisch, personell. Sonst betreibt sie, taumelnd und orientierungslos, ihren weiteren Niedergang.