Putins allerbester Freund
Igor Setschin Morgen könnte Altbundeskanzler Schröder Aufsichtsratschef beim russischen Staatskonzern Rosneft werden. Dort bekommt er es mit dem zweitmächtigsten Mann des Landes zu tun. Von Anastasia Kirilenko und Stefan Scholl
Einmal, damals noch als Portugalist-student, war Igor Setschin mit zwei Kommilitonen in der Leningrader S-bahn unterwegs. Seine Freunde hatten getrunken, lärmten, ein Schaffner alarmierte die Miliz. Der junge Setschin aber war nüchtern. Als er bemerkte, dass an der nächsten Haltestelle Ordnungshüter zusteigen würden, streifte er die Armbinde eines Hilfspolizisten über, packte seine Kumpel und zerrte sie schimpfend aus dem Abteil. Er rettete sie durch diese Scheinverhaftung vor echten Schwierigkeiten mit der Staatsgewalt. Einer, der die Seinen nicht im Stich lässt.
Heute ist Setschin Generaldirektor des russischen Ölkonzerns Rosneft, einem Unternehmen, das 280 000 Mitarbeiter und mehr Ölreserven als jede andere Firma der Welt hat – 37,7 Milliarden Barrel Öläquivalent, genug, um Deutschland 43 Jahre lang zu versorgen. Ausgerechnet bei diesem Giganten hat der deutsche Exkanzler Gerhard Schröder (SPD) morgen beste Aussichten, von der Aktionärsversammlung zum Vorsitzenden des Aufsichtsrats gewählt zu werden. Seine Hauptaufgabe im Aufsichtsrat könnte es dann sein, Igor Setschin zu kontrollieren. Der gilt als zweitmächtigster Mann Russlands und als Manager mit sehr eigenwilligem Geschäftsgebaren.
„Das sind Staatsgeheimnisse“
Im November lud Setschin Wirtschaftsminister Sergei Uljukajew in sein Büro ein. Erst tranken sie dort Tee, dann drückte ihm Setschin einen Geschenkkorb mit Wurst und Wein sowie einen Aktenkoffer mit zwei Millionen Dollar in die Hand. Als der Minister wieder in seinen Dienstwagen stieg, wurde er von Beamten des Geheimdienstes FSB festgenommen. Zuvor soll Uljukajew sich gegen den Kauf der Ölfirma Baschneft durch Rosneft gesperrt haben. Jetzt steht er als Schmiergelderpresser vor Gericht, auf Grundlage von Aussagen Setschins, der es jedoch ablehnt, als Zeuge aufzutreten. Und der sich darüber empört, dass während des Prozesses ein Abhörprotokoll seines Geplauders mit dem Minister öffentlich verlesen worden ist. „Das sind Informationen, die Staatsgeheimnisse beinhalten.“Vielleicht meint er damit den Wurstkorb, vielleicht seine Äußerung gegenüber Uljukajew, Chinesen taugten nicht als Investoren bei Rosneft.
Kurz danach wurde nämlich bekannt, dass der chinesische Konzern CEFC in einem schwer zu durchschauenden Ver- fahren 14,16 Prozent der Rosneft-aktien übernehmen wird. Die Chinesen kaufen die Anteile dem Schweizer Rohstoffhändler Glencore und dem Katarer Investmentfond QIA für angeblich umgerechnet 7,8 Milliarden Euro ab. Dabei hatten Glencore und QIA selbst erst im Dezember 19,5 Prozent der Rosneft-aktien erworben. Experten sprachen von einem undurchsichtigen Hütchenspiel, einen Großteil der Kaufsumme sollen die Russen selbst aufgebracht haben. Kritiker werfen Setschin Intransparenz, Misswirtschaft und Korruption vor. Die Gewinne seines Konzerns schrumpfen seit Jahren, obwohl der Ölpreis steigt. Wladimir Putin aber lobt Setschin. „Er hat sich als effektiver Manager erwiesen.“
Setschin stammt wie Putin aus Leningrad, ist wie er Arbeitersohn, machte wie er Karriere beim KGB. Setschin diente vier Jahre als Militärübersetzer in Angola und Mosambik, nach seiner Rückkehr arbeitete er im Amt für Außenkontakte der Stadtverwaltung – unter Putin.
Putin war der Amtsleiter, Setschin sein Sekretär. „Überall Sekretärinnen“, staunte ein Besucher, „und plötzlich ein junger, durchtrainierter Mann.“Setschin saß am Tisch vor Putins Büro, nahm dem Chef Kleinkram und unangenehme Gespräche ab. Iwan Petrow (Name geändert), ein russischer Geschäftsmann, der inzwischen in Westeuropa lebt, erzählt, er wollte 1995 in Petersburg ein Joint Venture anmelden – dafür brauchte er Putins Unterschrift. Der empfing ihn freundlich und gab ihm zu verstehen, sein Anliegen werde wohl positiv entschieden. Aber draußen im Vorzimmer sei er von Setschin angesprochen worden: Man müsse noch bestimmte Kleinigkeiten klären. Setschin habe ihm einen neuen Termin gegeben und gesagt: „Und bringen Sie 10 000 Dollar mit.“
„Einer, der keine Fragen stellt“
„Setschin war der Mann, der Putins Befehle zu Papier brachte“, sagt der deutsche Geschäftsmann Franz Sedelmayer: „Für Putin ist er bis heute ein wertvoller Assistent. Einer, der seine Aufgaben erledigt, keine Fragen stellt.“Und auf den Verlass ist, auch privat. Als Putins Frau Ludmilla bei einem Autofall verletzt wurde, bat sie, Setschin anzurufen, um ihre Tochter abzuholen, die auch im Auto gesessen hatte.
1996 wechselte Putin in die Präsidialverwaltung nach Moskau, Setschin folgte ihm. 1998 schrieb Setschin eine Doktorarbeit über die Rohstoffwirtschaft, ein Jahr nach Putin. Putin wurde Premier, Setschin Leiter seines Sekretariats, Putin wurde Präsident, Setschin stellvertretender Leiter der Präsidialverwaltung. „Setschin ist ein Teil der Gehirnzellen Putins“, sagte ein Minister 2004 der Zeitschrift Time. Putin mag mit Schröder Schlitten fahren, wahre Geheimnisse teilt er mit Setschin.
Mit Putin-setschin im Kreml begann der Aufstieg des Staatsbetriebs Rosneft. 2002 kaufte das marode Rosneft die Ölfirma Sewernaja Neft für 511 Millionen Euro. „Ein überhöhter Preis, offenbar wurde bestochen, die Branche war empört“, sagt Wladimir Milow, damals Vize-energieminister und heute einer der heftigsten Kritiker Setschins. Der soll hinter dem Deal gesteckt haben. Wie ein Jahr später hinter der Festnahme Michail Chodorkowskis, des Chefs des Ölkonzerns Jukos. Chodorkowski wurde erst als Steuerbetrüger, dann als Dieb verurteilt, die Jukos-filetstücke landeten zum Schnäppchenpreis bei Rosneft. Er warf Setschin später vor, er habe ihn aus Gier und Feigheit ins Gefängnis gebracht.
Das Bild vom grauen Kardinal Setschin, der Putin Böses einflüstert, ist in Russland schon zum Stereotypen geronnen. Aber auch Setschins schlechter Ruf lässt den Chef besser aussehen. Putin seinerseits hat seinem Getreuen immer neue Schlüsselpositionen übergeben: Verantwortlicher Sekretär der Präsidialkommission für die Entwicklung der Energiewirtschaft. Aufsichtsratschefs der Staatsholding Rosneftegas, die die Aktienmehrheit bei Rosneft hält. Und Rosneft-direktor. Setschin gilt als Superfunktionär. Für Rosneft nicht unbedingt ein Segen. „Putin und seine Leute haben den Staat privatisiert“, sagt der Petersburger Wirtschaftswissenschaftler Dmitri Trawin. „Für sie ist es natürlich leichter, an das Geld einer Staatsfirma zu kommen, die Setschin kontrolliert.“
Milow bescheinigt Setschin eine „sowjetmafiöse Managermentalität“. Dieser sei noch immer Sowjetmensch, praktiziere Superzentralismus, gleichzeitig dränge er auf Expansion. Der Staatskonzern Rosneft hat außer Sewernaja Neft und Yukos inzwischen die Ölkonzerne TNK-BP und Baschneft geschluckt. „Je mehr Aktiva Du unter Kontrolle bringst, umso mehr überteuerte Aufträge kannst du an deine Freunde vergeben.“Dazu kommen Schulden, die zur Jahresmitte ein Rokordhoch von 32 Milliarden Euro erreicht haben.
Außerdem schuldet Rosneft laut Milow China noch Öl im Wert von schon bezahlten 24,7 Milliarden Euro. Im August schoss der Schuldenriese Rosneft trotzdem dem venezolanischen Staatskonzern PDVSA sechs Milliarden Euro für noch nicht geliefertes Öl vor. Experten sind sich einig, dass Russland so das Regime von Nicolás Maduras unterstützen will. Aber sie bezweifeln, dass Venezuela das Geld je zurückzahlen wird. Setschin selbst betrachtet sich offenbar weder als Mafiosi noch als Marktwirtschaftler: „Ich bin Soldat“, sagte er zu Minister Uljukajew, bevor er ihn festnehmen ließ. Soldaten machen gern Gefangene, Dividenden interessieren sie weniger.
Betriebswirtschaftlich schreit Rosneft aus all diesen Gründen nach einem Aufsichtsratschef, der bereit ist, dort auszumisten. „Aber Schröder ist nicht so naiv, dass er irgendetwas unternimmt, was Putin nicht gefällt“, sagt Wirtschaftsexperte Trawin. Wahrscheinlich wird der Altkanzler das tun, wofür ihm die Russen künftig wohl mindestens 300 000 Euro im Jahr zahlen werden: Stillsitzen.
Schröder ist nicht so naiv, dass er irgendetwas unternimmt, was dem Präsidenten nicht gefällt. Dmitri Trawin Wirtschaftsexperte