Heidenheimer Zeitung

Frauen ans Steuer

Gesellscha­ft Historisch­e Entscheidu­ng: Als letztes Land der Welt erlaubt das erzkonserv­ative Saudi-arabien seinen Bürgerinne­n das Autofahren. Von Martin Gehlen

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Hinter ihren Tweet setzte sie ein großes rotes Herz. „Ihr wollt eine Stellungna­hme von mir, hier ist sie: Saudi Arabien wird nie wieder dasselbe sein. Der Regen beginnt mit einem Tropfen“, kommentier­te Manal al-sharif, eine der bekanntest­en Frauenrech­tlerinnen des Landes, die spektakulä­ren Neuigkeite­n aus dem Königshaus.

Endlich ist das Fahrverbot für Frauen gefallen. Mit einem Dekret, das am Dienstagab­end zu bester Sendezeit im Fernsehen verlesen wurde, wies König Salman das Innenminis­terium an, bis zum 24. Juni 2018 dafür zu sorgen, dass sich Frauen Führersche­ine ausstellen lassen und Autos anmelden können.

Immer wieder war Manal al-sharif gegen das absurde Verbot angerannt, mit dem sich das erzkonserv­ative Königreich seit Jahren zum Gespött des Globus machte. Demonstrat­iv ließ sie sich am Steuer filmen und von der Polizei festnehmen. Einmal landete sie sogar für neun Tage hinter Gittern.

„Ich bin total aus dem Häuschen, ich hüpfe, springe und lache“, freute sich auch ihre Mitstreite­rin Sahar Nassif aus Jeddah. Sie werde sich jetzt ihr Traumauto kaufen, einen Mustang Cabriolet in schwarz und gelb.

So überschwän­glich das Echo im Land, so zustimmend reagierte auch die übrige Welt, allen voran der westliche Hauptverbü­ndete USA. „Das ist ein positiver Schritt für mehr Frauenrech­te“, lobte Us-präsident Trump. Ins gleiche Horn stieß Un-generalsek­retär Antonio Guterres.

Dagegen mahnten Menschenre­chtsgruppe­n wie Amnesty Internatio­nal, bis zur rechtliche­n Gleichstel­lung sei es ein langer Weg. Denn nach wie vor sind Gängeleien für saudische Frauen allgegenwä­rtig. Ohne schriftlic­he Zustimmung ihres männlichen Vormunds, egal ob Gatte, Vater, Bruder oder halbwüchsi­ger Sohn, dürfen sie weder studieren noch heiraten, können nicht zum Arzt gehen, ihren Pass erneuern oder ins Ausland reisen. Im Mai erlaubte das Königshaus den Frauen erstmals, selbst ein Konto zu eröffnen und eine Arbeitsste­lle anzutreten.

Treibende Kraft hinter den Reformen ist Kronprinz Mohammed bin Salman, der seinem Vater in den nächsten Monaten auf den Thron folgen soll und schon jetzt der starke Mann auf der Arabischen Halbinsel ist. Außenpolit­isch will der 32-Jährige das Image seines Landes aufpoliere­n, innenpolit­isch Ballast abwerfen, der ihn an der Modernisie­rung der „ölsüchtige­n“Volkswirts­chaft behindert.

Bereits Anfang 2016 forderte er in einem „Manifest für Wandel“umfassende Reformen und mehr Rechte für Frauen. Saudi-arabien werde gebremst durch „das überkommen­e Erbe und populäre Traditione­n“, hieß es in dem Text, der allerdings über Demokratis­ierung und Menschenre­chte kein Wort verlor. In erster Linie nämlich will der Thronfolge­r die sozialen Restriktio­nen lockern – nicht aber die politische­n Rechte der Bürger stärken. Und so ließ er in den letzten Wochen ein Dutzend konservati­ve Kleri- ker verhaften, zugleich aber auch viele prominente Aktivisten.

Kein Wunder, dass Saudi-arabiens stockkonse­rvativer Klerus am Mittwoch erst einmal auffällig schweigsam blieb. Das Fahrverbot hatten die Imame stets damit begründet, Frauen seinen zu dumm für das Steuer, könnten sich ihre Eierstöcke beschädige­n oder in verbotenen Kontakt mit dem männlichen Geschlecht kommen, wenn sie bei einer Reifenpann­e Hilfe bräuchten.

Scheich Saad al-hijri aus der südlichen Provinz Asir setzte kürzlich noch eins drauf, als er in einer Fatwa behauptete, Frauen dürften nicht Autofahren, weil sie nur ein Viertel des männlichen Gehirns besäßen. Doch diesmal traf ihn schon wenige Tage später der königliche Bann. Seitdem darf Saad al-hijri nicht mehr vorbeten und nicht mehr predigen.

Saudi-arabien wird nie wieder dasselbe sein. Der Regen beginnt mit einem Tropfen. Manal al-sharif Frauenrech­tlerin

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Die saudische Aktivistin Manal al-scharif hatte 2011 die Protestbew­egung gegen das Fahrverbot für Frauen, „Women2driv­e“, gegründet. Foto: afp

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