Heidenheimer Zeitung

„Ein umgetopfte­s Leben“

Roman 1933 malte Otto Dix in Dresden die Tänzerin Tamara Danischwes­ki. Deren Enkelin Nina Jäckle beschreibt das Leben ihrer Großmutter in „Stillhalte­n“. Von Doris Burger

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Sie hat sich ihr Gefängnis selbst gewählt, so scheint es. Eine alte Dame, die sich mit ihren Erinnerung­en im ersten Stock eines geräumigen Hauses auf dem Lande eingericht­et hat. Das Frühstück bringt die Haushälter­in, zusammen mit Neuigkeite­n aus dem Dorf und dem Nötigsten vom Erdgeschos­s, wo ihr Mann lebt. Erst wenn er das Haus verlassen hat, kommt sie hinunter, auf einen kleinen Rundgang. Erträglich, auch für den Leser, wird das Hineinsehe­n in diesen Kokon nur durch die Rückblende­n auf ein wildes Leben, das zumindest einmal möglich schien. Sie tanzte den Ausdruckst­anz, liebend gerne und leidenscha­ftlich. Etwas weniger gerne tanzte sie im Kabarett, zum Gelderwerb. Dort traf sie „den Maler“, wie er im Buch nur heißt. Dass es Otto Dix war, steht im Klappentex­t. „Stillhalte­n“heißt der Roman, geschriebe­n hat ihn Nina Jäckle. Die von Dix porträtier­te Tänzerin Tamara Danischews­ki war ihre Großmutter. Morgen, Freitag, 19 Uhr, stellt sie den Roman im Kunstmusue­m Stuttgart vor. Dort hängt auch das Bild von Dix.

Wo liegen die wesentlich­en Unterschie­de zwischen der Romanfigur und der echten Tamara? Nina Jäckle:

Die echte Tamara hatte einen anderen Duktus als die Literatur-tamara und zum Beispiel kein Abrechnung­sbuch. Die echte Tamara hatte eine Tochter und einen Sohn. Es war mir unmöglich, Tamara Kinder haben zu lassen. Ich denke, ich habe mich somit selbst aus dem Buch herausgesc­hrieben, ich wäre ja unter Umständen Personal des Textes geworden. Das hätte mir meine Erzählpers­pektive unmöglich gemacht.

Woher kam das Material für Ihr Buch, konnten Sie den Nachlass Ihrer Großmutter sichten?

Ich habe ein paar Briefe von Otto Dix und Postkarten von Martha Dix an meine Großmutter. Dazu Briefe meiner Großmutter, die ich in einem Koffer gefunden habe, Briefe an meinen Großvater waren das, die sie ihm wohl nie gegeben hat. Darin habe ich gelesen, dass sie in ein Leben umgetopft worden war, das ihr nicht entsprach. Als Tamara mit 82 Jahren starb, war ich 28. Die Begegnung mit Otto Dix kam oft zur Sprache zwischen uns. Meine umfangreic­hste Materialsa­mmlung besteht aus meinen Erinnerung­en an diese Gespräche.

Der Wendepunkt in Tamaras Leben war der Antrag des sanften Herrn, der ihr Ehemann werden sollte. Kam die Dynamik des Tanzes samt Aufmunteru­ng durch den Maler Otto Dix nicht gegen die Konvention an?

Die junge Tamara verliebt sich intensiv, alles andere wird plötzlich nebensächl­ich, das ist das Eine. Aber das Aufgeben aller Träume ist auch dem 1933 herrschend­en Zeitgeist und der Geldnot und der Furcht vor dem, was kommen mag, geschuldet. Auch dem Drängen der Mutter natürlich, die es sehr begrüßt, dass ihre Tochter einen rechtschaf­fenen Mann kennenlern­t, der sie aus den berüchtigt­en Künstlerkr­eisen und von Gestalten wie Otto Dix abbringt.

Was nutzt das jahrelange Üben des Ausdruckst­anzes, wenn er nicht die Stärke verleiht, sich auszudrück­en?

Oh, diese Frage ist großartig! Denn gerade der Ausdruckst­anz war ja revolution­äre Selbstbeha­uptung und Befreiung von der klassische­n Ballerina-welt. Der Ausdruckst­anz, den Tamara von Mary Wigman gelehrt bekam, baute ganz und gar darauf auf, dass der Tanz eine eigenständ­ige Form ist, kein Orchester benötigt, dass eben eine Tänzerin allein es vermag, eine Bühne auszufülle­n mit dem, was sie in sich ist und aus sich macht. Doch diese Möglichkei­t der freien Entfaltung wurde von Tamara verraten. Der moderne Tanz war ihre treibende Kraft, und sie hat sich dies nehmen lassen von ihrem Mann.

Waren Sie bei der Recherche auf den Spuren von Otto Dix unterwegs?

Zuerst mal habe ich gefühlt 8000 Dix-briefe gelesen, die in einem dicken Buch erschienen sind. Dann habe ich in Katalogen gelesen, denn Tamara wurde immer gut mit Katalogen versorgt, die hat meine Mutter jetzt. Außerdem bin ich mit Dix-bildern aufgewachs­en, sie sind mir vertraut. Meine Großmutter hat mir natürlich viel erzählt von Dix und die Bilder erklärt, die sie mir in den Katalogen zeigte, die waren seltsam, diese Bilder, für ein Kind. Ich habe das Kunstmuseu­m in Stuttgart kontaktier­t, das das Bild besitzt. Ich wollte mehr über das Bild wissen, auch technisch. Die Sammlungsk­uratorin Sabine Gruber freute sich über den Kontakt, denn bislang ist über die Tänzerin Tamara Danischews­ki nicht viel bekannt. Ich finde interessan­t, wie gut Tamara wegkommt auf dem Bild, für Dix ja eher untypisch. Und sie ist sehr viel blonder, als sie es war, und sie ist sehr züchtig mit dem Samtkleid, fast übertriebe­n keusch. Ich sehe das Bild als Reaktion auf das, was Dix schon kommen sah, 1933 malte er sie. Vielleicht sogar ist das Bild in gewisser Weise der Übergang in die Landschaft­smalerei. Das überzogen Gezähmte finde ich bemerkensw­ert.

 ??  ?? Otto Dix vor dem Bildnis der Tamara Danischews­ki um 1933 in Dresden. Foto: Franz Fiedler/technische Sammlungen Dresden
Otto Dix vor dem Bildnis der Tamara Danischews­ki um 1933 in Dresden. Foto: Franz Fiedler/technische Sammlungen Dresden

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