Funklöcher und Schwartenmagen
Lange Wandertouren in Frankreich, Spanien und Portugal hat Thomas Gruber schon hinter sich. Jetzt will, ja muss er auch Deutschland vollends zu Fuß durchqueren. Von der Ostsee an läuft er südwärts – viele Erlebnisse inlusive.
Moin, moin: Erstaunlich, selbst im hohen Norden entlang der Via Scandinavica ist das Muschelsymbol zu finden, das den Weg Richtung Santiago weist. Doch verfliegt diese erste Euphorie recht schnell. In Lübeck haben sie an Vieles gedacht, nicht jedoch an die Fußpilger. Ein paar Kilometer außerhalb der Stadt, dem Elbe-lübeck-kanal folgend, ist der geschotterte Weg wegen Brückenarbeiten gesperrt. Keine offizielle Umleitung, Ausweichmöglichkeiten nur nach Gespür – was in einer Stadt mit derlei zahlreichen Kanälen nicht einfach ist. Kaum zurück in der Spur, wiederholt sich der mit enormem Zeitaufwand verbundene Vorfall ein zweites Mal. Etliche Kilometer Umweg, die Sonne steht schon stramm westwärts. Nur gut in einem solchen Fall, dass keine Schlafstätte vorgebucht wurde. Andererseits bedeutet es Abend für Abend eine besondere Herausforderung, eine Bleibe zu finden.
Büchen Ungefähr in der Mitte zwischen der Eulenspiegelstadt Mölln und Lauenburg liegt das rund 5000 Einwohner zählende Städtchen Büchen. Es ist kurz nach 18 Uhr, Zeit, um eine aus den fünf im Wanderführer verzeichneten Übernachtungsmöglichkeiten aufzusuchen. Der erste Gasthof hat Ruhetag, den zweiten gibt es nicht mehr, aus dem dritten wurde ein Seniorenheim, die beiden restlichen Pensionen sind belegt. Was tun? Gut 40 Kilometer in den Beinen, die nächste eventuelle Übernachtungs-option knapp acht Kilometer entfernt. Eine ältere Dame erkundigt sich nach dem Problem und meint: „Ooch, kommen Sie einfach mal mit, ich kenne zahlreiche Pensionen, da telefonieren wir mal bei uns zu Hause.“Die nachfolgenden Momente sind sehr intensiv. Sie, Meisterin des verfeinerten Smalltalks, telefoniert sich die Finger wund, freilich nicht, ohne stets von der Herbergsuche abzulenken: „Möönsch Gerda, hast du gehört, die Evi ist gestorben?“Oder: „Nein, für den Chor-ausflug haben sich dieses Mal nur 22 angemeldet.“Die Uhr tickt, das nächste Bett scheint weiter denn je entfernt – bis sie die aufwallende Ungeduld des Wanderers bemerkt. „Vorschlag: Bleiben Sie einfach bei uns“, so die rüstige Rentnerin, „unsere Tochter ist vergangene Woche ausgezogen, ihr Zimmer im Dachboden ist frei. Ich gehe schnell hoch und überziehe das Bett frisch.“
Da kommt einer mit Rucksack, gezeichnet von den Spuren vieler Kilometer und des langen Tages und erfährt eine derartige Gastfreundschaft! Ihr Mann lädt in die Gartenlaube ein, serviert ein Getränk. Beim angeregten Austausch kommt zur Sprache, dass sich der Fernwanderer eigentlich an jedem Abend einen Stempel geben lässt, um auch Jahre später noch zu wissen, wo er übernachtet hat. „Da habe ich eine Idee“, entgegnet die Gastgeberin, geht zum Nachbarn, der beim Roten Kreuz tätig sei: Rumms, schon leuchtet der Stempel aus Büchen im Pass.
Auch weil ein langer nächster Tag geplant ist und um nicht noch mehr zur Last zu fallen, wird auf ein gemeinsames Frühstück verzichtet. Welch ein Vertrauen der Gastgeber, sie verlangen keinerlei Sicherheit, nicht einmal den Namen. Kurz vor 6 Uhr morgens geht es weiter. Die Haustüre ist von innen dreifach gesichert, ohne dass die Hausherren wissen, wer eigentlich bei ihnen geschlafen hat.
Leineburger Land Auf der Nord-süd-achse Deutschlands sind zwar einige Radler, aber kaum Wanderer unterwegs. „Vielleicht einer pro Woche“, meint ein Förster im Leineburger Land. „Zuletzt kam ein Bayer mit zwei Lamas daher.“Der Weg bleibt unterschiedlich gut ausgezeichnet, der Kontakt zu Sascha aus Hannover, einer flüchtigen zehnminütigen Camino-bekanntschaft aus dem Jahr 2013, ist jedoch mittlerweile hervorragend. Er kommt nach Bad Bevensen, um die Tages-etappe nach Suderburg mitzuwandern. Ein toller Tag, auch wenn der Niedersachse erkennen muss, dass die humorfrei beschriebene Route im Wanderführer zutrifft: „Unscheinbar geworden verliert sich der Weg im Kiefernwald?“Dies ist nur ein Beispiel. Aufgrund großer Funklöcher helfen in einem solchen Fall auch moderne Instrumente nicht weiter, zum Glück weist die gute