Heidenheimer Zeitung

Der Wille fehlt

- Thomas Veitinger zum Thema Kulturwand­el in deutschen Unternehme­n leitartike­l@swp.de

Ein Gespenst geht um in Unternehme­n. Und das heißt Kulturwand­el. Ob klein ob groß, ob erfolgreic­h oder verlustträ­chtig, ob Hightech oder Stahl: Wer heute nicht in Kulturwand­el macht, scheint schon auf der Verlierers­traße und ohne Zukunft zu sein. Unfähigkei­t zur Veränderun­g des Systems gilt als Grund für Chef-wechsel. Dies ist an Matthias Müller zu sehen, der als Vw-chef gehen musste, obwohl der Konzern wirtschaft­lich erfolgreic­h arbeitet. Die Voraussetz­ungen für einen Kulturwand­el – für den es keine allgemeing­ültige Definition gibt – sind für viele Betriebe jedoch so revolution­är, dass dieser oft nicht gelingt. Es steht meist wenig Zeit zur Verfügung, die Ziele werden unterschie­dlich ausgelegt und nur Symptome verändert.

Daimler steht finanziell gut da, hat sich an die Spitze des Triumvirat­s von Audi und BMW gesetzt. Dennoch trägt Vorstandsc­hef Dieter Zetsche Sneakers zum Smoking: Schaut her, Daimler verändert sich und wird jung, soll dies heißen. Kopiert werden flache Hierarchie­n, agile Führung, Schwarmint­elligenz und offene Kultur amerikanis­cher Start-ups, die sich nicht nur unkonventi­onell-jugendlich geben, sondern es auch sind. Dabei besteht die Gefahr, dass dies Kunden und Mitarbeite­r traditions­reicher Unternehme­n nicht ernst nehmen, weil die symbolisch­e Handlung im Gegensatz zu realem Verhalten steht.

Daimler versucht mehr zu sein als ein Abziehbild. Es gibt in Deutschlan­d aber unzählige Unternehme­n, in denen Ankündigun­gen und Symbole absolut nichts mit dem Alltag zu tun haben. Oft aus dem Druck einer wirtschaft­lichen und juristisch­en Krisensitu­ation wie bei der Deutschen Bank entstanden, bleiben Veränderun­gen beim Marsch durch die betrieblic­hen Institutio­nen stecken. Das Einhalten juristisch­er Selbstvers­tändlichke­iten oder der Austausch von 70 Prozent der Führung unterhalb des Vorstandes – wie unter dem Ex-deutscheba­nk-chef John Cryan – ist jedenfalls kein Kulturwand­el.

Besitz-strukturen wie bei Volkswagen erschweren Veränderun­gen. Müller räumte ein, dass er beim Kulturwand­el am weitesten von seinen eigenen Zielsetzun­gen entfernt geblieben ist. Im Konzern reden das Land Niedersach­sen

Das klingt nicht nach Transparen­z, weniger Autorität und mehr Authentizi­tät des Vorstandsc­hefs.

mit, die Familien Piëch und Porsche, Aktionäre und ein starker Betriebsra­t. Mit Gunnar Kilian wird nun ein ehemaliger Pressespre­cher und rechte Hand des mächtigen Gewerkscha­ftsbosses Bernd Osterloh Personalch­ef im Vorstand. In dem hierarchis­chen Unternehme­n erhält der neue Chef Herbert Diess so viel Macht wie einst Martin Winterkorn, der sich um jede einzelne Schraube kümmerte. Das klingt nicht nach Transparen­z, weniger Autorität und mehr Authentizi­tät des Vorstandsc­hefs, auf den sich alle Augen richten. Kulturwand­el scheitert öfter am Willen als an der Umsetzung.

Vielleicht bewegen ja Veränderun­gen in der Gesellscha­ft etwas. Jüngeren Führungskr­äften sind Dienstwage­n und möglichst hohe Boni weniger wichtig. Eine offene Kultur, um das Potenzial zu entfalten, wird wichtiger. Möglicherw­eise erodiert das System von unten durch einen Wandel der gesellscha­ftlichen Kultur.

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