Im Gegenwind
Der Europäische Gerichtshof hat die Waagschalen im kirchlichen Arbeitsrecht neu justiert. Zwar tastet er das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen in Deutschland nicht an, macht ihnen aber dennoch Auflagen. Als Arbeitgeber müssen sie künftig wesentlich genauer begründen, wann die Religionszugehörigkeit eines Arbeitnehmers wirklich relevant ist für die Ausübung seiner beruflichen Aufgaben und wann eine Grundloyalität zum Arbeitgeber reicht. Das wird bei Pfarrern oder Gemeindereferendaren vermutlich anders bewertet werden als bei Krankenschwestern oder Bürokräften. Gibt es Konflikte, werden weltliche Arbeitsgerichte urteilen über mögliche kirchliche Schranken.
Den Kirchen bläst mit dem Urteil ein kühlerer Wind ins Gesicht. Als zweitgrößter Arbeitgeber im Land – 1,5 Millionen Menschen sind bei ihnen angestellt – können sie sich nicht mehr auf angestammte Privilegien verlassen, die ihnen in einer Zeit zugewachsen sind, als ein Großteil der Bevölkerung religiös gebunden war. Die übermäßige Bevorzugung der Institution ginge zu Lasten nicht kirchlich gebundener Arbeitssuchender. Ihrer Diskriminierung schob der EUGH einen Riegel vor.
Bange sein muss den Kirchen aber auch nicht. Je attraktiver sie sich als Arbeitgeber zeigen, desto mehr Bewerber ziehen sie an. In der Regel scheitert die Besetzung einer offenen Stelle ja nicht an mangelnder Kirchennähe sämtlicher Bewerber, sondern daran, dass in vielen Bereichen Fachkräfte fehlen. Dieser Zwang des Faktischen hat in den vergangenen Jahren bereits zu einer Lockerung der kirchlichen Einstellungspraxis geführt. Der Richterspruch verstärkt das noch.