Wenig Spielraum für Merkel
Weiter vorne ging es nicht: Gleich in der ersten von drei Zeilen Überschrift im Koalitionsvertrag hatten CDU, CSU und SPD ihr Vorhaben platziert: „Ein neuer Aufbruch für Europa“– so prangt es über dem 177 Seiten dicken Vertragswerk. Noch vor den Versprechen von Baukindergeld bis zu mehr Pflegekräften formulierten die Koalitionäre ihre europapolitischen Reformpläne. Von Solidarität ist dort die Rede, von Chancen, Gerechtigkeit und von Reformen. „Europa zuerst“lautete die Devise von Union und SPD.
Doch jetzt, gerade mal zwei Monate später, kommt der Aufbruch ins Stocken. Vor allem in der Unionsfraktion baut sich Widerstand auf. Ausführlich wurde in der Sitzung am Dienstag diskutiert. Nach zweistündiger Debatte standen noch immer zehn Wortmeldungen auf der Liste.
War die „Antwort auf Macron“während der langen Sondierungswochen in Berlin noch eines der meistgehörten Argumente für mehr Tempo bei der Regierungsbildung, droht eben diese Antwort in einem verzagten Nein zu verlaufen. Das aber wäre nicht nur ein Problem für den französischen Präsidenten: Es droht ernsthafter Krach zwischen SPD und Union in der großen Koalition – und ein Machtverlust von Kanzlerin Angela Merkel.
Mit viel Pomp hatte Emmanuel Macron im September vergangenen Jahres seine Reformpläne vorgestellt: Es ging unter anderem um einen eigenen Haushalt und einen Finanzminister für die Euro-zone, um einen Europäischen Währungsfonds und den Ausbau der Bankenunion. Rücksichtsvoll hatte Macron dabei zunächst die Bundestagswahl verstreichen lassen und anschließend geduldig die quälend lange Regierungsbildung in Deutschland abgewartet. In den Verhandlungen zwischen CDU, CSU und SPD wurde das Europakapitel unterdessen zur Chefsache erklärt: Die Parteivorsitzenden Merkel, Horst Seehofer (CSU) und Martin Schulz (SPD) schrieben es persönlich nieder.
Nun wird es ernst: Am Donnerstag ist Macron zu Gast im Bundeskanzleramt – und bis zum Eu-gipfel im Juni sollen erste gemeinsame Positionen zwischen Deutschland und Frankreich abgesteckt sein.
Das könnte schwierig werden. Denn gefragt sind jetzt konkrete Verabredungen statt wolkiger Treueschwüre. Und insbesondere beim Umbau des Euro-rettungsfonds ESM zu einem europäischen Währungsfonds hat die Union viele Fragen. Die geplante Weiterentwicklung habe „möglicherweise erhebliche finanzielle Auswirkungen auf das nationale Budget“, warnte Fraktionsvize Ralph Brinkhaus. Er erinnerte darin an den deutschen Anteil am ESM von rund 21,7 Milliarden Euro eingezahltem Kapital. Dies sei „aus dem Bundeshaushalt erbracht, mithin vom deutschen Steuerzahler finanziert“, mahnt der Unionspolitiker.
In der Fraktion erinnern sich viele an die Abstimmungen über die Griechenland-hilfen. Eine ebenso große Zahl an Abweichlern wie damals könnte sich die heutige Große Koalition nicht mehr leisten. „Beteiligung des Bundestags“und „Kontrolle durch die nationalen Parlamente“lautet daher eine Hauptforderung. Das aber schränkt den Spielraum der Kanzlerin bei künftigen Verhandlungen in der EU erheblich ein.
Merkel habe ihren Laden nicht im Griff, ätzt prompt FDP-CHEF Christian Lindner. „Das ist ein enormer Autoritätsverlust für die Kanzlerin.“
Auf wenig Gegenliebe stößt in Berlin auch die Idee eines Euro-finanzministers. Ein Herzensanliegen ist dies auch für Merkel nicht. Und Csu-landesgruppenchef Alexander Dobrindt warnte gewohnt unverblümt vor dem damit verbundenen „Einstieg in eine eigene Steuerkompetenz Europas“. Auch dem Eurozonen-haushalt droht eine zumindest vorläufige Beerdigung. Vordringlich sei dies Vorhaben jedenfalls nicht, hieß es schon am Montag nach den Beratungen in der Cdu-spitze. Für wichtiger halten CDU und CSU die Neuausrichtung des regulären Eu-budgets. Zwölf bis 14 Milliarden Euro jährlich, so hat es Eu-haushaltskommissar Günther Oettinger ausgerechnet, könnten der Union nach dem Austritt Großbritanniens fehlen. Hinzu kommen neue und teure Pläne – wie der Ausbau der Eu-grenzschutzagentur Frontex.
Gefragt sind jetzt konkrete Verabredungen statt wolkiger Treueschwüre.
Bei der SPD löst das Verhalten des Koalitionspartners Irritationen aus. Sie wundere sich über die „sehr vielen roten Linien“der Union und könne diese nicht akzeptieren, mahnte Fraktionschefin Andrea Nahles. „Es muss doch klar sein, dass wir Europa voranbringen wollen, und das gilt auch für den Europäischen Währungsfonds, der gemeinsames Ziel und verabredetes Ziel im Koalitionsvertrag ist“, erinnerte sie. Die Worte mögen sich auch an die eigenen Leute richten: Denn Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) ist längst auf Distanz zu den französischen Plänen gegangen.