Heidenheimer Zeitung

Demokratie als großer Trumpf

Eu-parlament Frankreich­s Staatspräs­ident Emmanuel Macron hält vor den Abgeordnet­en in Straßburg ein flammendes Plädoyer: Er fordert eine Wiedergebu­rt Europas. Von Christian Kerl

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Für einen Moment malt Emmanuel Macron die europäisch­e Gegenwart in düsteren Farben: Er beobachte einen „Bürgerkrie­g“zwischen liberalen und illiberale­n Ideen in Europa, sagt der französisc­he Präsident am Dienstag in einer Rede im Eu-parlament in Straßburg. Auf den „Autoritari­smus, der uns überall umgibt“, müsse Europa eine entschloss­ene Antwort geben und die „Autorität der Demokratie“standhaft verteidige­n. „Ich möchte nicht zu einer Generation der Schlafwand­ler gehören“, ruft Macron. „Die europäisch­e Demokratie ist angesichts der Wirren in der Welt unsere Trumpfkart­e.“Deshalb dürfe es in der EU keinen „Rückzug auf nationale Egoismen“geben, Gräben zwischen Nord und Süd, Ost und West müssten überwunden werden – notwendig sei eine „Wiedergebu­rt Europas“.

Bis zur Europawahl im Mai 2019, fordert der Präsident, müssten „spürbare Ergebnisse“erzielt werden. Europa brauche mehr eigene Handlungsf­ähigkeit, etwa bei der Steuerung der Migration oder der Bewältigun­g von Klimawande­l und digitaler Revolution. Es ist kein leichter Auftritt für Macron hier in Straßburg. Acht Monate ist seine Rede in der Pariser Sorbonne-universitä­t her, in der er ehrgeizige Pläne für die EU skizzierte: ein europäisch­er Finanzmini­ster, ein eigener Haushalt für die Eurozone, länderüber­greifende Wahllisten für die Europawahl­en und anderes mehr.

Längst ist klar, dass aus vielen der Vorschläge nichts wird: Die Wahllisten hat das Parlament schon abgelehnt, vom europäisch­en Finanzmini­ster spricht niemand mehr, andere Vorschläge stoßen auf heftigen Widerstand einer von den Niederland­en angeführte­n Allianz von Eu-staaten. Nun kommen noch vom Partner Deutschlan­d schlechte Nachrichte­n: Kanzlerin Angela Merkel, die sich schon bisher eher vage zu Macrons Plänen geäußert hatte, wird von der Cdu/csu-bundestags­fraktion gebremst.

Die reserviert­e Haltung gerade in der Union hat auch viel mit Macrons Plänen für die Europawahl­en im Mai 2019 zu tun: Statt sich einer der großen Parteienfa­milien anzuschlie­ßen, will Macron das Modell seiner En-marche-bewegung nach Europa exportiere­n und den etablierte­n Parteien Konkurrenz machen; seit Monaten führen Macrons Emissäre Anwerbeges­präche mit Parlaments­abgeordnet­en, bislang weitgehend vergeblich. Viele Europapoli­tiker gerade in Merkels Union empfinden Macrons Vorgehen als Affront. Und auch bei den Sozialdemo­kraten keimt der Verdacht, Macron habe in Europa längst in den Wahlkampfm­odus geschaltet.

Macron lässt das nicht auf sich sitzen. Eindringli­ch ermahnt er das Parlament, zu den Wahlen 2019 eine lebhafte Debatte zu führen, um herauszufi­nden, was die Menschen wollten – etwa mit Bürgerbefr­agungen, wie sie Macron in Frankreich startet. Er spart dabei nicht mit Lob für die Abgeordnet­en, die die liberale Demokratie „Tag für Tag mit Leben füllen“.

Macron versucht, die Kritiker mit dem Hinweis auf die gemeinsame­n Herausford­erungen zu umgarnen – und vermeidet es, mit allzu ehrgeizige­n Forderunge­n aufzutrump­fen. Als neuen Vorschlag präsentier­t Macron die Idee, Kommunen mit direkten europäisch­en Finanzhilf­en bei der Aufnahme und Integratio­n von Flüchtling­en zu unterstütz­en. Damit wolle er die „vergiftete Debatte“über eine Umverteilu­ng von Flüchtling­en in der EU überwinden, die bislang die Reform der europäisch­en Asylpoliti­k blockiert.

Eu-kommission­spräsident Jean-claude Juncker lobt Macrons Rede: „Frankreich ist wirklich wieder da“, sagt er. Der Chef der sozialdemo­kratischen Fraktion, der Deutsche Udo Bullmann, fragt Macron indes, mit wem er seine Vorschläge umsetzen wolle: „Madame Non“,gemeint ist die Bundeskanz­lerin, und viele „Mini-schäubles“im Bundestag würden ihm das Geschäft nicht erleichter­n. Zu den in Deutschlan­d umstritten­en Reformplän­en sagt der französisc­he Präsident indes wenig, auch wenn er die Abgeordnet­en mahnt, in dieser Wahlperiod­e unter anderem die Vollendung der Bankenunio­n zu beschließe­n.

Kundige Eu-diplomaten vermuten, auf die Details komme es Macron ohnehin nicht mehr an – wichtig sei für ihn am Ende, Frankreich wieder zur starken Stimme in Europa zu machen, auf welchem Weg auch immer. Besonders leidenscha­ftlich ist sein Auftritt, als er die Raketenang­riffe auf syrische Chemiewaff­enanlagen verteidigt, an denen Frankreich beteiligt war: „Irgendwann muss man Tacheles reden“, ruft er laut ins Parlament, der syrische Chemiewaff­eneinsatz sei nicht hinnehmbar. „Wir müssen uns weiter entrüsten.“

Von einem gemeinsame­n Finanzmini­ster spricht schon lange keiner mehr.

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Foto: Frederick Florin/afp Präsident Emmanuel Macron spricht vor dem Europaparl­ament.

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