Immer mehr Alte in den Gefängnissen
Vollzug Angebote für Senioren werden in den Anstalten wichtiger. Schon jetzt sind 304 Häftlinge im Land älter als 60.
Seit nunmehr 56 Jahren sitzt Hans-georg Neumann wegen eines Doppelmords im Gefängnis, zuerst in Berlin, seit 1991 im badischen Bruchsal. Länger als der 81-Jährige ist in Deutschland niemand inhaftiert. Aber Neumann ist nicht der einzige Senior in den Justizvollzugsanstalten. Im Gegenteil. „Wir registrieren eine steigende Anzahl älterer Gefangener in unseren Justizvollzugsanstalten“, sagt Baden-württembergs Justizminister Guido Wolf (CDU). 304 Gefangene, die über 60 Jahre alt sind, hat sein Haus zum Stichtag 16. April 2018 registriert, ein Jahr zuvor waren es noch 283. Es ist ein stetiger Anstieg. „Die demografische Entwicklung“, stellt Wolf nüchtern fest, „spiegelt sich auch im Vollzug wider.“
Für die Justiz ist das eine Herausforderung. Denn die Senioren sind in der Regel eine andere Klientel als etwa jugendliche Gefangene. Drogenprobleme, gewalttätige Auseinandersetzungen oder Nationalitätenkonflikte spielen mit zunehmendem Alter eine immer kleinere Rolle. Aufgrund ihrer körperlichen, teils auch geistigen Unterlegenheit besteht eher die Gefahr, dass die Betagteren Opfer von Unterdrückung durch Mitgefangene werden. Vor allem aber sind ihre Perspektiven in der Regel schlechter, was den Übergang in die Freiheit erschweren kann. So scheidet eine Re-integration in den Arbeitsmarkt in aller Regel aus.
Auf den Trend will Wolf mit einem „Bündel von Maßnahmen“reagieren. Schon bisher sticht das Land mit der speziell auf Gefangene ab 63 ausgerichteten Haftanstalt in Singen beim Umgang mit den Senioren hervor. Bei der geplanten Justizvollzugsanstalt Rottweil hat der Minister ebenfalls „spezielle Unterbringungsmöglichkeiten für ältere Gefangene“vorgesehen.
Künftig kümmert sich zudem der Verein „Projekt Chance“, der bislang vorwiegend im Jugendbereich tätig ist, auch gezielt um die Wiedereingliederung betagter Gefangener in die Gesellschaft. Auf drei Jahre ist das Projekt mit einem Budget von gut 600 000 Euro angelegt, das den Übergang managen und etwa die Betreuung Haftentlassener in Einrichtungen der Altenhilfe organisieren soll.