„Gleiche Leistung gleich vergüten“
Gesundheit Die Honorare für private und gesetzliche Leistungen sollten angepasst werden: Dafür plädiert Christoph Straub, Vorstandsvorsitzender der Barmer. Von Guido Bohsem und Hajo Zenker
Das Schlagwort Zwei-klassen-medizin macht seit Wochen die Runde. Gern angeführt wird dabei das unterschiedlich lange Warten auf einen Facharzttermin bei gesetzlich und privat Versicherten. Und Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hat gerade von den Krankenkassen sinkende Beiträge gefordert. Die Gesundheitsversorgung bewegt also die Öffentlichkeit. Guido Bohsem und Hajo Zenker sprachen darüber mit Christoph Straub, dem Vorstandsvorsitzenden der Barmer.
Herr Straub, gibt es eine Zwei-klassen-medizin in Deutschland?
Das glaube ich nicht. Wenn man schwer krank ist in Deutschland, wird man ohne Ansehen der Person und des Versicherungsstatus versorgt. Und bei allen Problemen, die immer mal wieder auftreten, muss man sagen: Im internationalen Vergleich ist die Versorgung herausragend.
Trotzdem spielt der Begriff in der Öffentlichkeit ja eine große Rolle. Weshalb ist das so?
Es wird viel zu wenig auf die Stärken der gesetzlichen Krankenversicherung hingewiesen, die objektiv da sind: Dass nämlich die Bevölkerung in Deutschland einen breiten Zugang zu einer sehr guten medizinischen Versorgung hat. Das gerät bei dieser Diskussion aber in den Hintergrund. Das liegt wohl auch daran, dass Privatpatienten bei der Terminvergabe in einer Praxis häufig besser gestellt sind als gesetzlich Versicherte. Dies wird häufig beklagt, obwohl etwa die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) sagt, dass wir alle in Deutschland viel schneller als in anderen Ländern Termine bekommen. Das ist das Paradoxe der Debatte in Deutschland. Ich war vor kurzem in Estland, wo die Digitalisierung im Gesundheitswesen erfreulich weit fortgeschritten ist. Dort kann ich etwa per Internet direkt in der Klinik den Termin für eine Hüftoperation buchen. Dabei habe ich aber auch gelernt: Die so vereinbarte Operation findet erst in anderthalb Jahren statt – frühestens. Bei uns unvorstellbar. Sicher gibt es auch in Deutschland ärgerliche Wartezeiten auf Facharzttermine. Aber die lassen sich, wenn man an einigen Punkten ansetzt, reduzieren. Die Ärzte wiederum sehen sich einer Zwei-klassen-honorierung ausgesetzt: hohe Vergütung von den privaten Kassen, niedrigere Sätze und zusätzlich eine Mengendeckelung, Budgetierung genannt, bei den Gesetzlichen. Die Honorare der gesetzlichen Krankenversicherung finanzieren die ärztliche Infrastruktur in Deutschland. Das sollte man nicht aus den Augen verlieren. Zudem zahlen die Gesetzlichen mitunter schneller und besser als die Privaten. Aber natürlich gibt es auch Leistungen, die die Privaten den Ärzten besser vergüten, was Privatpatienten für die Praxen attraktiver macht.
Was also tun?
Nun steht im Koalitionsvertrag, dass es eine wissenschaftliche Kommission geben wird, die Möglichkeiten einer Angleichung der Honorare aus beiden Versicherungssystemen ausloten soll. Im Vertrag steht zudem eine Bund-länder-arbeitsgruppe mit Beteiligung der Regierungsfraktionen, die die starren Grenzen der ambulanten und stationären Versorgung aufbrechen und sich mit Fragen der Bedarfsplanung, Zulassung, Honorierung und Qualitätssicherung befassen soll. Und schließlich steht auch noch eine Überarbeitung der internationalen Klassifikation von Krankheiten unmittelbar bevor.
Was bedeutet das für Patienten?
Packe ich alle drei Themen zusammen, geht es um weit mehr als um Honorarsätze, es geht auch darum, im Sinne der Patienten weniger stationär und mehr ambulant zu versorgen und damit insgesamt den ambulanten Sektor zu stärken. Ich sehe hier eine große Chance auf grundlegende Veränderung. Wir wollen gleiche Leistungen gleich vergüten. Egal, von wem sie, für wen sie, und an welchem Ort sie erbracht werden. Es sollte ein Preis sein. Bisher haben die gesetzlichen Kassen einheitliche Honorare abgelehnt, weil man zusätzliche Milliardenkosten fürchtete. Bisher wurde das Thema nur partikular betrachtet. Man sollte es aber zusammen betrachten und zusammenführen. Wie die Finanzwirkung konkret aussehen würde, lässt sich bisher nicht sagen. Eine Verschiebung ärztlicher Leistungen hin in den ambulanten Bereich würde allerdings im Vergleich zu heute sicher viel Geld einsparen. Im Übrigen würde es dazu kommen, dass Honorargelder, die derzeit über Privatkassen überwiegend in Metropolen anfallen, auch in ländlichen Bereichen, wo Unterversorgung droht, eingesetzt werden könnten. Das wäre eine große Reform.
Und eine wichtige, die viel bringen kann.
Trauen Sie Gesundheitsminister Jens Spahn diese zu?
Ja. Er ist ein erfahrener Gesundheitspolitiker und ein erfahrener Politiker. Man muss beides sein, um eine große Reform durchzubringen. Spahn hat aber gerade auch die gesetzlichen Krankenkassen aufgefordert, die Beiträge zu senken. Das dürfte ihnen nicht gefallen. Ich halte es für nachvollziehbar, dass man angesichts der hohen Rücklagen der gesetzlichen Krankenversicherung Gelder mobilisieren will. Dabei muss man nur beachten, dass die Rücklagen extrem ungleichmäßig verteilt sind. Das hat nichts damit zu tun, dass die Mitglieder einzelner Kassen womöglich zu viel gezahlt haben. Es ist vielmehr das Ergebnis einer Fehlfunktion unseres Finanzierungssystems. Der Gesundheitsfonds, in denen alle gesetzlich Versicherten einzahlen, gibt die Beitragsgelder an die verschiedenen Kassen höchst unterschiedlich weiter. Eine Lösung wäre, überhöhte Rücklagen in den Fonds zurückfließen zu lassen, und damit für die Versorgung aller Versicherten zur Verfügung zu stellen.
Alle Kassen heißt derzeit 110 Anbieter. Braucht man für gesunden Wettbewerb wirklich so viele?
Kein Mensch weiß genau, wie viele Kassen man für einen funktionierenden Wettbewerb benötigt. Sicher ist, dass vom Kassenwettbewerb am Ende alle profitieren. Denn er ist der wesentliche Treiber der Innovation im deutschen Gesundheitswesen. Weil die Kassen Innovationen in ihr Leistungsangebot integrieren. Das Bundesversicherungsamt hat gerade die Bonusprogramme der Kassen als gesundheitlich irrelevant eingestuft und für die Abschaffung plädiert. Es seien lediglich Marketingmaßnahmen, um junge, gesunde Leute anzulocken, also im Wettbewerb besser dazustehen. Eine Krankenversicherung funktioniert immer darüber, dass sie die Risikolast abfedert, indem sie auch für Junge und Gesunde anziehend ist. Selbstverständlich nutzen wir die Möglichkeiten, uns für junge Leute attraktiv zu machen, die Beiträge zahlen, aber noch nicht krank sind. Das ist kein Fehler, sondern ein Grundprinzip einer Versicherung. Eine Gebäude-brandversicherung würde ja auch nicht auf der Jahrestagung der Pyromanen Policen verkaufen wollen.
Das ist paradox an der Debatte in Deutschland. Anderswo wartet man viel länger.