„Eine Pflicht verärgert nur“
Warum entscheiden sich Menschen für oder gegen eine Impfung? Darüber forscht Cornelia Betsch an der Universität Erfurt seit 2013.
Frau Professor Betsch, angeblich denken Akademikerfamilien zu viel und bildungsferne Familien zu wenig über das Impfen nach. Ist das so? Cornelia Betsch: Das wäre zu einfach betrachtet. Da schiebt man die noch unbefriedigende Impfquote allein dem Bürger zu. Es gibt eine sinkende Prozentzahl von Leuten, die konsequent Impfungen ablehnen. Viele Bürger aber sind einfach verunsichert, suchen im Internet nach Informationen. Und sind davon dann erst recht verunsichert, weil dort viele Impfgegner vertreten sind, weil dort viele Gerüchte verbreiten werden. Und sie deshalb den Eindruck bekommen, dass Impfen möglicherweise gefährlicher als Nichtimpfen sein könnte.
Was kann man da tun?
Man sollte auf die Bürger zugehen, sie mit nachvollziehbaren, glaubwürdigen Informationen versorgen. Und auch an ihre Verantwortung appellieren: Schließlich ist Impfen eine Tat für die Gesellschaft: Ich schütze nicht nur mich selbst, sondern auch meine Familie – und die Gesellschaft, wie etwa Babys, die noch zu jung sind, um beispielsweise gegen Masern geimpft zu sein. Und deshalb darauf angewiesen sind, dass um sie herum niemand die Krankheit überträgt. Auch automatische Erinnerungssysteme sind sinnvoll, in den Niederlanden etwa bekommt jeder einen Erinnerungsbrief mit dem Hinweis, dass man eine bestimmte Impfung mal wieder auffrischen sollte. Heute sollte so etwas doch auch über eine App möglich sein. Im Übrigen hält auch der Alltagsstress viele ab. Impfen ist bei uns nicht einfach genug. Sinnvoll wäre es etwa, wenn der Kinderarzt nicht nur die Jüngsten, sondern gleich auch noch die Eltern impft.
Dann doch eine Impfpflicht einführen? Die Debatte darüber ist ja auch wegen der Zunahme der Masern aufgeflammt. Und weil Franzosen und Italiener deshalb Impfungen verpflichtend gemacht haben. Im Osten kennt man zudem noch die Impfpflicht aus Ddr-zeiten.
Ich persönlich mag die Entscheidungsfreiheit. Wenn man sich Impfpflichten anderswo ansieht, ist es ja häufig so, dass nur ein Teil der sinnvollen Impfungen vorgeschrieben ist, ein anderer aber nicht. Unsere Studien zeigen: Eine Pflicht verärgert die Bürger eher und führt dazu, dass sie sich bewusst gegen die nicht verpflichtenden Impfungen entscheiden. Ganz oder gar nicht müsste es deshalb bei der Impfpflicht heißen.