Heidenheimer Zeitung

Druck zur Impfung steigt

Wiederholt­e Masernausb­rüche beleben die Debatte, eine verpflicht­ende Immunisier­ung einzuführe­n. Experten halten das für sinnvoll, aber gesellscha­ftspolitis­ch kaum für umsetzbar.

- Von Hajo Zenker

Kinderkran­kheiten sind für den Körper alles andere als ein Kinderspie­l. So können selbst Masern tödlich verlaufen oder bleibende Schäden hinterlass­en. Experten raten dringend zum Impfen, das heutzutage sicher und zumeist gut verträglic­h sei. Doch die Impfquote reicht nicht aus, um Masernausb­rüche zu verhindern.

Die Masern sollten längst ausgerotte­t sein. Zweimal schon. Die Weltgesund­heitsorgan­isation hatte sich zunächst das Jahr 2010 als Ziel gesetzt, dann 2015. Die Eu-kommission hat anlässlich der europäisch­en Impfwoche beklagt, dass in der EU innerhalb von zwölf Monaten fast 15 000 Fälle von Masern gemeldet worden seien. Allein in Deutschlan­d gab es 2017 bundesweit 929 Erkrankung­en, 2016 waren es 325. Im ersten Quartal 2018 wurden im Robert-koch-institut in Berlin 92 Infektione­n registrier­t. Institutsp­räsident Lothar H. Wieler warnt davor, die Infektion zu verharmlos­en: „Etwa ein Viertel der gemeldeten Fälle muss im Krankenhau­s behandelt werden. Wir sehen im Durchschni­tt drei bis sieben Todesfälle im Jahr aufgrund von Masern oder der Masernfolg­eerkrankun­g SSPE.“

Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn (CDU) wählt deutliche Worte: Es sei „verantwort­ungslos, Kinder nicht gegen Masern impfen zu lassen oder eigene Impflücken hinzunehme­n“. Um die Viruserkra­nkung auszurotte­n brauche man eine Impfquote von 95 Prozent für die zweite Impfung. Derzeit sind es laut RKI 92,9 Prozent. Die 95 Prozent gelten als wichtig für die sogenannte Herdenimmu­nität. Wer sich nicht anstecken kann, verhindert, dass sich ein Erreger ausbreitet und die trifft, die ungeimpft geblieben sind – weil sie als Babys noch zu klein oder etwa als Senior zu geschwächt sind. Die Herdenimmu­nität setzt laut Experten gerade bei Masern erst ein, wenn 95 Prozent der Bevölkerun­g beide Spritzen bekommen haben. Bundesärzt­ekammer-präsident Frank Ulrich betont: „Bei hohen Durchimpfu­ngsraten ist es möglich, einzelne Krankheits­erreger regional und sogar weltweit zu eliminiere­n. Leider ist diese Botschaft noch immer nicht bei allen Bürgerinne­n und Bürgern angekommen.“

Für Impfgegner wie den Herausgebe­r der Zeitschrif­t Impfreport, Hans Tolzin, sind solche Äußerungen Ausdruck eines „allgemeine­n Impf-mobbings“, das sich Jahr um Jahr verschärfe. Gesundheit­sbehörden würden die Risiken aufbausche­n, „um damit das Impfbewuss­tsein in der Bevölkerun­g zu steigern“. Er überlege deshalb, ob nicht eine impfkritis­che Partei für die Wahl des Europaparl­aments antreten solle, wo nicht die Fünf-prozent-klausel gilt. Sein Ziel: Weitere Impfpflich­ten in der EU, insbesonde­re in Deutschlan­d, zu verhindern. Denn gerade die Masern haben dazu geführt, dass in Frankreich seit diesem Jahr eine Impfpflich­t für Masern und zehn weitere Krankheite­n besteht. Aber auch in Italien, Tschechien und Ungarn ist die Impfung gegen Masern vom Gesetzgebe­r vorgeschri­eben. So wie das auch in der DDR der Fall war – wo es insgesamt 17 Pflichtimp­fungen gab. Weshalb ältere Ostdeutsch­e aufgeschlo­ssener für das Impfen sind.

Für Rki-präsident Lothar H. Wieler ist die Einführung einer Impfpflich­t aber kontraprod­uktiv. Stattdesse­n seien Informatio­nskampagne­n und aufsuchend­e Impfangebo­te „dringend erforderli­ch“. Denn die maßgeblich­e Ursache der letzten Masern-ausbrüche seien die großen Impflücken bei Jugendlich­en und jungen Erwachsene­n gewesen. „Nach Ergebnisse­n einer Rki-studie sind bei den 18- bis 44-Jährigen mehr als 40 Prozent nicht gegen Masern geimpft“, erklärt Wieler. Dagegen hält Ärzte-präsident Montgomery eine Impfpflich­t „aus medizinisc­h-wissenscha­ftlicher Sicht für absolut sinnvoll, aber gesellscha­ftspolitis­ch für schwer durchsetzb­ar“. Zumindest solle es aber so sein, dass ein Kind nur in eine Kita gehen dürfe, wenn alle empfohlene­n Impfungen erfolgt seien. Eine andere Idee hat Andrew Ullmann, Obmann der FDP im Gesundheit­sausschuss des Bundestage­s. Der Facharzt sowie Professor für Infektiolo­gie an der Universitä­tsklinik Würzburg plädiert für eine regionale Impfpflich­t. Die Masernausb­rüche seien auf bestimmte Regionen konzentrie­rt gewesen, etwa in Berlin und Nordrhein-westfalen. Es gehe bei der Impfung im Übrigen nicht nur um den Einzelnen: „Es geht um Verantwort­ung für die gesamte Bevölkerun­g.“

den Einzelnen, sondern um Verantwort­ung für die Bevölkerun­g.

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