Sein Bild für die Geschichte
Erstmals seit seiner Abwahl kehrt Ministerpräsident a.d. Stefan Mappus in die Villa Reitzenstein zurück. Im Gepäck hat er sein Porträt für die Ahnengalerie. Es soll den Schwarz-weiß-bildern über ihn ein paar Farbtöne hinzufügen.
Eigentlich, sagt Stefan Mappus, fühle er sich viel zu jung für eine Ahnengalerie. „Schließlich bin ich knapp 20 Jahre jünger als mein Nachfolger. Aber es gibt Schlimmeres als in einer Reihe mit Lothar Späth, Erwin Teufel und all den anderen Ministerpräsidenten zu hängen.“Der 52-Jährige sitzt in einem Besprechungsraum eines Bürogebäudes im Nordosten von München, dem Sitz seines jetzigen Arbeitgebers pmone, eines It-beratungsunternehmens, und bereitet sich gedanklich auf die Rückkehr an seine alte Wirkungsstätte vor. Im Mai 2011, nach nur 15 Monaten als Ministerpräsident, ist er aus der Villa Reitzenstein ausgezogen. Seitdem regiert dort Winfried Kretschmann, der erste grüne Ministerpräsident, der bald 70 wird. Mappus ist derjenige, der die Macht an die Ökopartei verloren hat. Es war ein bitterer Auszug. Am Freitag wird er die Regierungszentrale nach sieben Jahren das erste Mal wieder betreten.
Mappus hat lange gezögert, nun hält er die Zeit für reif, den Schwarz-weißbildern über ihn ein freundliches Porträt entgegenzusetzen. Als Maler hat sich Mappus Jan Peter Tripp ausgesucht, einen Fotorealisten, der schon Lothar Späth für die Ahnengalerie in Szene gesetzt hat. „Ich wollte einen Maler, von dem ich glaube, dass er mich am ehesten so porträtiert, wie ich auch bin“, sagt Mappus. „Das ist ihm ziemlich gut gelungen, mit einer neuen Form von Motiv, die ich faszinierend finde. Sie werden Ihren Spaß haben!“Mappus lacht, wie er immer gelacht hat, er prustet dann los.
Sein Selbstbild unterscheidet sich fundamental von den Schlagzeilen der vergangenen Jahre. Die handelten von der Eskalation des Streits um Stuttgart 21, vom Verlust der Macht nach der Atomkatastrophe im fernen Japan, von Hausdurchsuchungen wegen des Verdachts auf Untreue beim kreditfinanzierten ENBW-DEAL. Die Ermittlungsverfahren sind längst eingestellt, S 21 befindet sich unter einer grünen Regierung im Bau, ein von Grün-rot angerufenes Schiedsgericht hat festgestellt, dass dem Land keine Entschädigung wegen des Rückkaufs der Enbw-aktien zusteht. Über die 39 Prozent, die er 2011 erzielt hat, wäre die CDU heute heilfroh. Mappus fühlt sich juristisch und ökonomisch rehabilitiert. Nun beginnt der Kampf um sein Image als Politiker. Erste Zeitungen drucken Interviews, in denen er seine Sicht der Dinge darstellen kann. Er hat nun wieder die Chance, Gehör zu finden.
Er hat mehr graue Haare als früher und seine Aussagen stärker unter Kontrolle. Der Bauchmensch wägt genau ab, was er preisgibt. „Wenn einen das, was meine Familie und ich erlebt haben, nicht verändert, weiß ich nicht, was einen verändern soll. Ich war schon immer ein eher vorsichtiger Typ, nie der Kumpeltyp, der gleich mit jedem im Laden einen trinkt. Diese Zurückhaltung hat eher noch zugenommen. Die Nachdenklichkeit auch.“
Schneller, radikaler, brutaler
In den Archiven finden sich wohlwollende Porträts über den Aufsteiger mit Attributen wie zupackend, durchsetzungsstark, machtbewusst. Jüngster Gemeinderat, junger Staatssekretär, junger Minister, junger Regierungschef. Es folgen Verrisse, er ist nun bullig, rücksichtslos und dem Verdacht ausgesetzt, sich kriminell verhalten zu haben. Es ist die alte Geschichte von Aufstieg und Fall in neuer Form: schneller, radikaler, brutaler.
Dabei beginnt auch die letzte Etappe des Aufstiegs vielversprechend. Kurz nach seiner Vereidigung als Ministerpräsident im Februar 2010 attestiert das Institut Allensbach Mappus die höchste Popularität im Land: 39 Prozent sehen ihn positiv, ein gewisser Winfried Kretschmann kommt auf 15 Prozent. In der Sonntagsfrage hat Schwarz-gelb eine komfortable Mehrheit.
Dann wird Stuttgart 21 zum Top-thema – und Mappus zur Reizfigur. Die Proteste gegen den Bahnhof werden größer, heftiger. „Wenn Mappus unter die Erde will, können wir ihm dabei helfen“, steht auf Transparenten. Das hat er nicht vergessen. „Was mich getroffen hat, war dieser Hass. Ich war sicher auch nicht immer zimperlich in der politischen Auseinandersetzung. Aber jemanden, der anderer Meinung ist, als Lügenpack zu verunglimpfen oder auch körperlich anzugreifen, das kann und will ich nicht akzeptieren. Ich finde es immer noch heuchlerisch, wenn diejenigen, die vorne mitmarschiert sind, heute die großen Friedensstifter spielen.“Ein Seitenhieb auf die Grünen. Klein beigeben war Mappus‘ Sache noch nie. Die Gegenseite hat den 30. September 2010 nicht vergessen, als der Streit im Schlossgarten eskalierte. Wasserwerfer, Pfefferspray, mindestens 160 Verletzte. „Das Ganze war ein einziges Chaos. Trotzdem finde ich es ein bisschen schwierig, wenn im Nachhinein so getan wird, als ob die gewalttätige Polizei die friedlichen Demonstranten angegriffen hat. Mit Verlaub, so war es nicht. Die 30 verletzten Polizisten sprechen für sich. Aber sei’s drum. Dieser Schwarze Donnerstag hätte so nie passieren dürfen, der hat uns und speziell mir auch extrem geschadet.“
Die Eskalation des Streits bringt etwas in Bewegung, das durch Fukushima beschleunigt wird und das Mappus durch die S-21-schlichtung und den Rückkauf des Landesanteils am Energieunternehmen ENBW nicht mehr stoppen kann.
Normalerweise gilt die Abwahl als Höchststrafe für einen Politiker. Nicht bei Mappus. Es folgt, was er als eine Art Vernichtungsfeldzug sieht. Die grün-rote Regierungsmehrheit leuchtet in zwei Untersuchungsausschüssen die Umstände des Schwarzen Donnerstags und des ENBW-DEALS aus. Mappus bietet eine gute Zielscheibe, auch, weil ihn seine Partei zum Abschuss freigibt. Als er an der Macht war, hatten viele Ehrfurcht vor ihm, manche Angst. Nun wenden sich die Mechanismen gegen ihn. „Am Abend vor der Landtagswahl 2011 habe ich zu meiner Frau gesagt: Wenn das schiefgehen sollte, folgt unmittelbar danach keine schöne Zeit. Das ist wie im richtigen Leben: Wenn es gut läuft, gibt es viele Schulterklopfer, ein Teil davon fällt einem dann in den Rücken, wenn es nicht so läuft. So war es dann auch.“Nur dass sich auch einige abwenden, die er nicht auf der Rechnung hatte.
Härter trifft ihn die folgende Auseinandersetzung um die ENBW. Den Aktienrückkauf finden zunächst fast alle gut. Aber Mappus hat es so eingefädelt, dass es ihn sehr viel Reputation und sechsstellige Anwaltshonorare kostet. Wegen der Umgehung des Landtags brandmarkt der Staatsgerichtshof das Geschäft als „verfassungswidrig“. Mappus beruft sich auf Rechtsgutachten, die das Gegenteil aussagen. Es folgen politisch befeuerte Vorwürfe, er könne einen überteuerten Kaufpreis zulasten des Landes bezahlt und sich der Untreue schuldig gemacht haben. Eine Hausdurchsuchung findet am 4. April 2014 statt, es ist sein Geburtstag. Als Ministerpräsident hat ihn die Polizei geschützt, nun rückt ihm die Staatsmacht zu Leibe. Es dauert zwei Jahre und sieben Monate, bis alle Verfahren eingestellt werden. Eine lange Zeit, die nachhallt.
„Ich kann ziemlich viel wegstecken, wenn es um die politische Auseinandersetzung geht. Was ich nie gemacht hätte: auf die Idee zu kommen, jemanden so existenziell treffen zu wollen, und dass auch noch zu einem Zeitpunkt, wo er längst aus der Politik draußen ist. Da wollten einige mit aller Kraft aufzeigen, wie angeblich verrottet die politische Kultur war, die man jetzt abgelöst hat – und sind dabei selbst vor wenig zurückgeschreckt.“
Wenn einen das, was meine Familie und ich erlebt haben, nicht verändert, weiß ich nicht, was einen verändern soll.
„Das Land wird mir dankbar sein“
Die Konflikte um Bahnhof und ENBWDEAL werden mit seiner Amtszeit verknüpft bleiben. Die Frage ist, wie man sie wertet. „Ich bin der Überzeugung, dass Stuttgart 21, bei allen Schwierigkeiten des Projekts, unterm Strich richtig ist“, sagt Mappus. Und prophezeit: „Es wird der Tag kommen, wo das Land dankbar sein wird, dass wir die Enbw-aktien zurückgekauft haben.“Grundgüter wie Strom gehörten in staatliche Obhut.
Die Ahnengalerie zeugt davon, dass sich das Image von Politikern ändern kann. Die „Traumschiffaffäre“zwang Späth zum Rücktritt, in Erinnerung aber ist das „Cleverle“. Günther Oettinger galt zu seiner Zeit als glückloser Ministerpräsident; seit die CDU nicht mehr an der Macht ist, sehen viele Parteifreunde seine Amtszeit in einem helleren Licht. Man darf gespannt sein, ob es dem Maler Jan Peter Tripp gelungen ist, das Bild, das Mappus von sich zeichnet, und das, das breite Teile der Öffentlichkeit von seiner Amtszeit gewonnen haben, in einen Rahmen zu fügen.