Die Seele schaut mit
Er lebt für die Bilder und durch die Bilder: Christoph Müller, der frühere Verleger aus Tübingen, zeigt seine Dänen. Von Jürgen Kanold
In den mit Gemälden, Zeichnungen, Aquarellen und Druckgrafiken eng behängten Kabinetten, so verspricht Christoph Müller den Besuchern, „halte ich die Klappe“. Er tut es naturgemäß nicht. Es gibt ja so viel zu erzählen: „Ich lebe für die Bilder und durch die Bilder“, sagt der 79-Jährige.
Der da durchs Pommersche Landesmuseum in Greifswald führt, ist der stolze Sammler selbst. „Die Dänen!“heißt die Ausstellung, und es sind, es waren vor allem: seine. Müller hat sie dem Museum geschenkt, fast 400 Werke aus dem „Goldenen Zeitalter“Dänemarks, dem 19. Jahrhundert der Romantiker und Realisten. Christoffer Wilhelm Eckersbergs Bildnis der Cathrine Elisabeth Fjellerup zum Beispiel: „Na ja, die Mona Lisa ist es nicht, aber dieses Lächeln!“, schwärmt Müller. Und warnt sofort: „Was ist ein schönes Bild? Vorsicht, Vorsicht, Hauptsache, es ist gut gemalt!“Der schlaksige Schwabe im rustikal gemusterten Baumwollhemd weckt Seh-lust an der Ostseeküste. Aber warum ausgerechnet mit Dänen in Greifswald?
Enthusiastischer Kenner
Es gibt Unternehmer, die sammeln Kunst, weil sie ihre Millionen in bleibenden Werten anlegen möchten. Und ein dekoratives, vorzeigbares Hobby ist das auch. Experten kaufen für diese Sammler ein, mal bestimmt der kunsthistorische Ehrgeiz, mal nur der private Geschmack die Wahl. Christoph Müller verkörpert dagegen den Typus des Feuilletonisten und Kenners. Und sagt: „Ich bin begeisterungsfähig bis zum blinden Enthusiasmus.“
Unternehmer war er freilich auch, Miteigentümer und Verleger des „Schwäbischen Tagblatts“in Tübingen, und als er 2004 ausstieg, seine Anteile verkaufte und nach Berlin zog, hatte er das nötige Millionenvermögen für die Kunst. Aber so banal ist diese Geschichte nicht. Wir reden nicht von spektakulär ersteigerten, sündhaft teuren Bildern, sondern von den mit diebischer Freude erworbenen Schnäppchen eines sparsamen Schwaben, der enzyklopädisch sammelt. Und es waren zunächst keine Dänen, sondern Niederländer, und zwar auch aus einem „Goldenen Zeitalter“, dem Barock.
Sein erstes Bild erwarb Müller schon 1986 auf einer Antiquitätenmesse, Anthonie Palamesz‘ „Musizierende Gesellschaft“. Dann trug er eine beispielhafte Sammlung zusammen abseits der Promis wie Rembrandt, Vermeer und Co., aber alles zusammen bildete für sich ein faszinierendes Museum der Niederländer. „Die sichtbare Welt“hieß programmatisch Müllers erste Ausstellung 1996 in Ulm. Und so wie Müller, der Journalist und Theaterkritiker, der 1955 seinen ersten Artikel für die SÜDWEST PRESSE schrieb, bis heute seine Leser an seinen Erlebnissen teilhaben lassen möchte, so liegt ihm sehr daran, seine Bilder der Öffentlichkeit zu zeigen, die Kunst zu vermitteln. Oder wie Florian Illies, der Bestsellerautor („1913: Der Sommer des Jahrhunderts“) und Gesellschafter des Auktionshauses Villa Grisebach über Müller sagt: „Im Grunde ging es beim Sammeln dieses Connaisseurs und Mäzens ja immer um genau das: ums Weitergeben des Feuers, das ihn selbst gepackt hat.“
Schwäbischer Schnäppchenjäger
Weitergeben hieß dann auch: Die Zeichnungen und die Druckgrafik seiner Niederländer-sammlung schenkte Müller dem Berliner Kupferstichkabinett und dem Kölner Wallraf-richartz-museum, die Gemälde 2013 dem Staatlichen Museum Schwerin. Müllers Wohnung in Berlin-mitte zeigte deshalb noch lange keine kahlen Wände. Dänemark wurde das neue Holland. Auch das hatte gewissermaßen mit seinem Schwabentum zu tun. Denn die Dänen des 19. Jahrhunderts waren günstig zu haben, „extrem billiger als die Niederländer“– was sich geändert hat. Müller aber, der Entdecker, hat rechtzeitig zugegriffen: „Viele unbekannte Maler sind zu Unrecht unbekannt.“Janus la Cour (1837-1909) zum Beispiel. „Die größte Sammlung außerhalb Dänemarks habe ich – 24 Werke, davon 11 in Greifswald, 13 daheim“, sagt Müller stolz. Und erzählt, dass der berühmte dänische Künstler Per Kirkeby oft sein Konkurrent war, wenn das Auktionshaus Bruun Rasmussen in Kopenhagen einen la Cour im Angebot hatte. Es sind außerordentliche Landschaftsskizzen, die Blicke ermöglichen „in die Zukunft der Malerei“.
Dass Müller seine Dänen-sammlung dem Pommerschen Landesmuseum geschenkt hat, daran ist auch Caspar David Friedrich schuld, der in Greifswald geboren wurde und wie Philipp Otto Runge aus dem benachbarten Wolgast die in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts sehr wichtige Kopenhagener Akademie besucht hatte. Bei den Dänen, wie auch bei Caspar David Friedrich, „malt und schaut die Seele“immer mit.
Die Niederländer nach Mecklenburg, die Dänen nach Vorpommern, wo mit Geld der Bundesrepublik in Greifswald auch eine „Galerie der Romantik“entsteht. So kam Kulturstaatsministerin Monika Grütters zur Vernissage der Dänen-schau – was dem Sammler schmeichelte. Müller, der das Flachland, den weiten und hohen Horizont und das unheimliche Meer liebt, hat die beiden Landesteile also paritätisch bedacht – und wohnt selbst auf Rügen, in Sassnitz. Von wo er mit der Bahn nach Greifswald fährt, um die Besucher zu führen, zum Sehen zu verführen.
Ihm selbst, erzählt Müller in einer Biografie, die Studenten des Caspar-david-friedrich-instituts der Universität Greifswald recherchierten, seien die Augen für die Kunst durch seinen langjährigen Lebenspartner Axel Manthey geöffnet worden, dem 1995 verstorbenen Bühnenbildner und Theaterregisseur. Es gibt so viel zu sehen in dieser Ausstellung – und zu erzählen. Mit einer Ausnahme, und Müller lacht bübisch: „Darf man fragen, was das gekostet hat? Lieber nicht!“