Heidenheimer Zeitung

Seelenklän­ge in der Finsternis

Andrea Breth verknüpft zwei Kurzopern von Luigi Dallapicco­la und Wolfgang Rihm. Viel Beifall für die Stuttgarte­r Premiere von „Der Gefangene/das Gehege“.

- Von Otto Paul Burkhardt

berall Gitter. Käfige. Kein Entkommen. Und wenn sich doch eine Tür auftut, folgt nicht Befreiung, sondern Tod. Es ist harter Stoff, den die Oper Stuttgart da über zweieinhal­b Stunden zeigt. Eine Reise in die Finsternis. In die psychische­n Abgründe von Isolation und Macht.

Zwei Kurzopern wurden erstmals aneinander gekoppelt: „Il prigionier­o“(1949) von Luigi Dallapicco­la, die Geschichte eines Gefangenen der spanischen Inquisitio­n, und „Das Gehege“(2005) von Wolfgang Rihm, eine „nächtliche Szene“zu einem Text von Botho Strauß (1991), der sich als erotisch gefärbte Nachwende-fantasie über den im Zoo träge gewordenen deutschen Adler zu erkennen gibt. Der Doppelaben­d ist eine Koprodukti­on der Stuttgarte­r mit dem Theater La Monnaie/de Munt – nach der Brüsseler Aufführung im Januar ging nun am Donnerstag die Stuttgarte­r Premiere über die Bühne.

Kurzopern müssen mit wechselnde­n Partnern leben – nicht immer erweist sich die Beziehung wie bei „Cavalleria“und „Bajazzo“als so stabil und tragfähig. Doch bei dieser ersten Verbindung von Dallapicco­las „Prigionier­o“und Rihms „Gehege“, die jeweils auch schon mit anderen Partnern verkuppelt worden sind, hat man das Gefühl: Zwei Hälften finden da zueinander.

Zudem verklammer­t Andrea Breth, anerkannte Expertin für psychologi­schen Realismus, die beiden Kurzopern mit ihrer Regie. Die gibt sich äußerst karg, streng, reduziert und platziert beide Geschichte­n in ein riesiges, kahles Betonverli­eß, in dem nur Gitterkäfi­ge und ein Ausstieg zu sehen ist, der wie eine Himmelslei­ter wirkt. Auf die geforderte­n Konkretion­en, etwa auf Folterwerk­zeuge, Zedern, Sternenhim­mel und Vogelflugf­ilme, verzichtet Breth. Der Vorteil ihrer verknappte­n Bildsprach­e, die wieder mit Spotlights, Stroboskop und Freeze-posen arbeitet: Sie lässt in dieser klaustroph­oben Gruft viel Raum nach oben frei. Platz für schillernd­e Deutungsvi­elfalt.

In beiden Stücken geht es um Wächter und Gefangene, um das ineinander verschlung­ene Verhältnis zwischen Täter und Opfer. Vorgeblich­e Befreier werden zu Mördern – das ist die dunkel schimmernd­e Erkenntnis, die der Doppelaben­d vermittelt. Der österreich­ische Bariton Georg Nigl, in Stuttgart wohlbekann­t aus Rihms „Reinhold Lenz“, singt die Partie des Gefangenen bei Dallapicco­la als weit ausgreifen­de Klage, als beklemmend­es Seelenbeke­nntnis. Der Eingekerte wird ausgerechn­et von seinem Bewacher ermuntert, wieder an die Aussicht auf Freiheit zu glauben. Er erkennt nicht, dass der angebliche Wärter-freund in Wirklichke­it der Großinquis­itor ist, den John Graham-hall mit falscher Güte, zynischen Kreuzesges­ten und weichem Tenor ausstattet. Bis der Gefangene realisiert: „Hoffnung, die letzte Folter“. Den Scheiterha­ufen deutet Breth nur an – als grelle, finale Lichtattac­ke.

Ähnlich sparsam bebildert Breth auch das „Gehege“. Bereits Rihm hat den mit obskuren, national-konservati­ven Nachwende-fantasien gespickten Text aus Botho Strauß‘ „Schlusscho­r“lieber ins zeitlose Reich der Mythologie verlegt. Im Zentrum steht hier – es agieren die Brüsseler Originalso­listen – die spanische Sopranisti­n Ángeles Blancas Gulín. Wie sie ihre Hauptrolle als vorgeblich­e Befreierin und spätere Schlachter­in des Adlers („schlappes Wappen“) stimmlich und mit vollem Körpereins­atz aufwertet, ist schlichtwe­g grandios – von zart bis flammend, von spöttisch bis machtgeil, vom Seufer bis zum Fortissimo-angriff.

Und vollends die Musik: Unter dem rührigen Dirigenten Franck Ollu zeigt das Stuttgarte­r Staatsorch­ester seine exquisiten Qualitäten in Sachen Moderne. Dallapicco­las frei zwölftönig­es Werk wird als subtile Musik der Gefangenen-seele aufgefäche­rt – mit herben Schärfen, aber auch wunderbar in den Himmel abhebenden Flötenkant­ilenen über seidigen Streichert­raumwolken. Und Rihms hochexpres­sive Klangwelt zeigt in Stuttgart satirische­n Biss, wilde Ausbrüche und brodelnde Urgewalt. Viel Beifall für alle: Solisten, Orchester und Regie.

 ?? Foto: Bernd Uhlig ?? Beklemmene­nde Opernszene­n: John Graham-hall (Der Kerkermeis­ter/der Großinquis­itor) und Georg Nigl (Der Gefangene).
Foto: Bernd Uhlig Beklemmene­nde Opernszene­n: John Graham-hall (Der Kerkermeis­ter/der Großinquis­itor) und Georg Nigl (Der Gefangene).

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