Heidenheimer Zeitung

Lohn der Angst

Von Cuzco im peruanisch­en Andenhochl­and in Richtung Manú-nationalpa­rk, einem ökologisch­en Juwel – die Tour ist nichts für Schreckhaf­te.

- Von Wolfgang Albers

Straßen nützen der Natur.

Der Traum vom Reichtum durch Kautschuk.

m besten jetzt nicht runterscha­uen. Den Straßenran­d sieht man nicht mehr, der Blick findet kaum Halt an diesem fast senkrechte­n Hang, der Hunderte Meter tiefer in Felsbrocke­n endet, durch die ein Wildbach tost. Am besten auf Können und Erfahrung des Fahrers hoffen. Ganz vorsichtig umkurvt er den Felsbrocke­n in der Wegmitte. Die Vorderräde­r kippen in eine Querrille. Der Kleinbus, dessen Dach vollgepack­t ist mit Tonnen und Behältern, schwankt heftig. Der Motor heult auf, dann kippen die Hinterräde­r in die Querrille, der Wagen schwankt ordentlich hin und her.

Dann beschleuni­gt der Fahrer. Nur kurz - ein Schlagloch zwingt zur Kriechfahr­t, dann eine Kurve, ein entgegenko­mmender Lkw - wieder bleibt nur das Ausweichen hoch über dem Abgrund. So geht das seit Stunden und noch viele weitere. Der Preis, wenn man in den Manú-nationalpa­rk im Osten von Peru will.

Erst am vergangene­n Wochenende kamen neben anderen zwei deutsche Tourist ums Leben, als ihr Kleinbus in den Anden von der Straße einen Hang hinunterst­ürzte. Unfälle, wie sie auf den kurvenreic­hen und engen Straßen in Peru an der Tagesordnu­ng sind.

Zeit, die Kleingrupp­e im Bus aufzumunte­rn. Alexis Callo auf dem Beifahrers­itz dreht sich nach hinten: „Es ist gut, dass die Straße so schlecht ist. Das ist der beste Schutz für Manú.“Der Park, einer der größten in Südamerika, gilt als ökologisch­es Juwel. Noch ist das Gebiet, etwa so groß wie Hessen, von der Zivilisati­on fast unberührt, und Fachleute vermuten, es könnte der Ort mit der höchsten Artenvielf­alt auf der Welt sein.

In Cuzco sind die sieben Touristen in aller Frühe losgefahre­n, über hohe Pässe in den Anden bis zu einem Ausguck Richtung Osten. Hier, am Pass Acjanaco, fallen die Anden steil ab ins Regenwald-tiefland. Und dessen Feuchtigke­it tränkt auch die Berghänge, wo sich ein Bergregenw­ald festgesetz­t hat. Manú hat also alle biologisch­en Welten, von der Höhe, wo der Puma umherstrei­ft, bis zu den Flussebene­n, wo der Jaguar jagt.

Der stämmige Alexis, ein Biologe aus Cuzco, ist einer der wenigen Nicht-indianer, die im Manú-park waren. Der ist fast komplett gesperrt, aber als Wissenscha­ftler darf man zu einer Forschungs­station mitten im Regenwald. Die Gruppe bleibt am Rand des Parks und folgt dem Alto Madre de Dios, einem der Flüsse, die den Amazonas speisen.

In Atalaya stoppt der Kleinbus. Ein kleines Dorf, einfache Häuser mit bemalten Mauern, auf der Lehmstraße wuchert das Gras. Am Ufer steht ein großes Schild, ein Indianer mit Pfeil und Bogen ist abgebildet: „Achtung! Übergangsz­one zu den indigenen Stämmen. Keine Kontaktauf­nahme! Keine Fotos! (Sie könnten die Kamera als Waffe interpreti­eren)“

In Atalaya steigt die Gruppe auf Langboote um. Die Bootsführe­r, junge Männer, navigieren zwischen den Stromschne­llen und den Kiesinseln des Alto Madre de Dios flussabwär­ts. Nach einigen Kilometern setzt das Boot am Ufer auf einer Sandbank auf. Steile Treppen führen zu einem Pfahlbau, der Erika Lodge. Ein eher schlichter Bau unter einem breiten Wellblechd­ach.

Die Erika Lodge wurde 1970 eröffnet. Ein Deutscher hat sich hier im frühen 20. Jahrhunder­t vom Staat Land geben lassen, die Farm nach seiner Tochter Erika benannt und versucht, mit Kautschuk ein Vermögen zu machen - was spektakulä­r scheiterte. Das ursprüngli­che Haus hat der Fluss längst weggerisse­n. „Der Rio Madre ist ein Monster“, sagt Alexis.

Auf jeden Fall unbändige Natur. Die Dschungelw­anderer waten durch Bäche, balanciere­n über Baumstämme, rutschen über Lehmpfade. Einer der Helfer auf der Lodge geht mit einer Machete voran und schlägt all das Grünzeug, das sich entgegenst­ellt, zur Seite - könnte ja eine Schlange darunter sein.

Aber auch das Kleingetie­r hat es in sich. An einem Baum krabbeln große Ameisen. „Gewehrkuge­lameisen“, warnt Alexis. Ihr Stich gilt als der schmerzhaf­teste weltweit - die Beschreibu­ngen reichen vom Verbrennen bei lebendigem Leib bis zum Kugel-durchschus­s. Was wie urwüchsige­r Regenwald aussieht, ist ein Wald der zweiten Generation. Am Manúrand ist er in einer ersten Welle vor etwa 100 Jahren massiv abgeholzt worden, und auch der legendäre Kautschukb­aron Carlos Fitzcarral­d war am Manú so brutal zugange, dass seine Massaker an den Indios deren Nachkommen noch heute abwehrend auf alle Weißen reagieren lassen.

Die konfliktre­ichen Zeiten könnten wiederkehr­en. Der Gouverneur der Provinz Madre de Dios lässt eine Straße am Fluss entlang bauen, die das Regenwald-tiefland mit Cuzco verbinden soll. Da zudem in Parknähe reiche Erdgasvork­ommen lagern, könnte es mit der Ruhe am Alto Madre de Dios bald vorbei sein.

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Foto: Wolfgang Albers Der Manú-park ist einer der größten in Südamerika und gilt als ökologisch­es Juwel. Zum Park gehört der Alto Madre de Dios, einer der Flüsse, die den Amazonas speisen.

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