Lohn der Angst
Von Cuzco im peruanischen Andenhochland in Richtung Manú-nationalpark, einem ökologischen Juwel – die Tour ist nichts für Schreckhafte.
Straßen nützen der Natur.
Der Traum vom Reichtum durch Kautschuk.
m besten jetzt nicht runterschauen. Den Straßenrand sieht man nicht mehr, der Blick findet kaum Halt an diesem fast senkrechten Hang, der Hunderte Meter tiefer in Felsbrocken endet, durch die ein Wildbach tost. Am besten auf Können und Erfahrung des Fahrers hoffen. Ganz vorsichtig umkurvt er den Felsbrocken in der Wegmitte. Die Vorderräder kippen in eine Querrille. Der Kleinbus, dessen Dach vollgepackt ist mit Tonnen und Behältern, schwankt heftig. Der Motor heult auf, dann kippen die Hinterräder in die Querrille, der Wagen schwankt ordentlich hin und her.
Dann beschleunigt der Fahrer. Nur kurz - ein Schlagloch zwingt zur Kriechfahrt, dann eine Kurve, ein entgegenkommender Lkw - wieder bleibt nur das Ausweichen hoch über dem Abgrund. So geht das seit Stunden und noch viele weitere. Der Preis, wenn man in den Manú-nationalpark im Osten von Peru will.
Erst am vergangenen Wochenende kamen neben anderen zwei deutsche Tourist ums Leben, als ihr Kleinbus in den Anden von der Straße einen Hang hinunterstürzte. Unfälle, wie sie auf den kurvenreichen und engen Straßen in Peru an der Tagesordnung sind.
Zeit, die Kleingruppe im Bus aufzumuntern. Alexis Callo auf dem Beifahrersitz dreht sich nach hinten: „Es ist gut, dass die Straße so schlecht ist. Das ist der beste Schutz für Manú.“Der Park, einer der größten in Südamerika, gilt als ökologisches Juwel. Noch ist das Gebiet, etwa so groß wie Hessen, von der Zivilisation fast unberührt, und Fachleute vermuten, es könnte der Ort mit der höchsten Artenvielfalt auf der Welt sein.
In Cuzco sind die sieben Touristen in aller Frühe losgefahren, über hohe Pässe in den Anden bis zu einem Ausguck Richtung Osten. Hier, am Pass Acjanaco, fallen die Anden steil ab ins Regenwald-tiefland. Und dessen Feuchtigkeit tränkt auch die Berghänge, wo sich ein Bergregenwald festgesetzt hat. Manú hat also alle biologischen Welten, von der Höhe, wo der Puma umherstreift, bis zu den Flussebenen, wo der Jaguar jagt.
Der stämmige Alexis, ein Biologe aus Cuzco, ist einer der wenigen Nicht-indianer, die im Manú-park waren. Der ist fast komplett gesperrt, aber als Wissenschaftler darf man zu einer Forschungsstation mitten im Regenwald. Die Gruppe bleibt am Rand des Parks und folgt dem Alto Madre de Dios, einem der Flüsse, die den Amazonas speisen.
In Atalaya stoppt der Kleinbus. Ein kleines Dorf, einfache Häuser mit bemalten Mauern, auf der Lehmstraße wuchert das Gras. Am Ufer steht ein großes Schild, ein Indianer mit Pfeil und Bogen ist abgebildet: „Achtung! Übergangszone zu den indigenen Stämmen. Keine Kontaktaufnahme! Keine Fotos! (Sie könnten die Kamera als Waffe interpretieren)“
In Atalaya steigt die Gruppe auf Langboote um. Die Bootsführer, junge Männer, navigieren zwischen den Stromschnellen und den Kiesinseln des Alto Madre de Dios flussabwärts. Nach einigen Kilometern setzt das Boot am Ufer auf einer Sandbank auf. Steile Treppen führen zu einem Pfahlbau, der Erika Lodge. Ein eher schlichter Bau unter einem breiten Wellblechdach.
Die Erika Lodge wurde 1970 eröffnet. Ein Deutscher hat sich hier im frühen 20. Jahrhundert vom Staat Land geben lassen, die Farm nach seiner Tochter Erika benannt und versucht, mit Kautschuk ein Vermögen zu machen - was spektakulär scheiterte. Das ursprüngliche Haus hat der Fluss längst weggerissen. „Der Rio Madre ist ein Monster“, sagt Alexis.
Auf jeden Fall unbändige Natur. Die Dschungelwanderer waten durch Bäche, balancieren über Baumstämme, rutschen über Lehmpfade. Einer der Helfer auf der Lodge geht mit einer Machete voran und schlägt all das Grünzeug, das sich entgegenstellt, zur Seite - könnte ja eine Schlange darunter sein.
Aber auch das Kleingetier hat es in sich. An einem Baum krabbeln große Ameisen. „Gewehrkugelameisen“, warnt Alexis. Ihr Stich gilt als der schmerzhafteste weltweit - die Beschreibungen reichen vom Verbrennen bei lebendigem Leib bis zum Kugel-durchschuss. Was wie urwüchsiger Regenwald aussieht, ist ein Wald der zweiten Generation. Am Manúrand ist er in einer ersten Welle vor etwa 100 Jahren massiv abgeholzt worden, und auch der legendäre Kautschukbaron Carlos Fitzcarrald war am Manú so brutal zugange, dass seine Massaker an den Indios deren Nachkommen noch heute abwehrend auf alle Weißen reagieren lassen.
Die konfliktreichen Zeiten könnten wiederkehren. Der Gouverneur der Provinz Madre de Dios lässt eine Straße am Fluss entlang bauen, die das Regenwald-tiefland mit Cuzco verbinden soll. Da zudem in Parknähe reiche Erdgasvorkommen lagern, könnte es mit der Ruhe am Alto Madre de Dios bald vorbei sein.