Kistenweise Oper
Schloss Heilenstein rustet sich fur die Festspiesaison
Morgens um sieben ist die Welt auf dem Schloss aus den Fugen. Es riecht nach Diesel – und es fliegen Container. Wo sonst Dohlen ihre Kreise ziehen, haben plötzlich eindeutig weniger elegante, tonnenschwere Brocken aus Stahl die Lufthoheit über dem Rittersaal. Und dort, wo bald schon die Musik Giuseppe Verdis erklingen soll, heulen die Motoren, denn einen Monat vor Probenbeginn der Opernfestspiele muss das Opernhaus dafür ja eigentlich erst noch gebaut werden. Jahr für Jahr. Die Königsdisziplin Sagten wir morgens um sieben? Los geht’s um fünf. Es tritt auf: Alex Joas aus Sontheim an der Brenz. Der ist nicht nur ausgeschlafen, sondern ein Mann mit eisernen Nerven. Wer ihn dabei beobachtet, wie er ungerührt einen 36 Tonnen schweren Kranwagen vom Parkplatz rückwärts die sich immer steiler und zu allem Überfluss auch noch um den vorgelagerten Batterieturm herumwindende Schotterpiste hinauf Richtung Rittersaal manövriert, möchte nicht mit ihm tauschen. Weitere Hauptdarsteller des frühen Morgens sind Stefanie Langen, die technische Leiterin der Opernfestspiele, Andreas Bantleon aus Steinenkirch und Joe – „nur Joe, das passt“– aus Sigmaringen. Zum Aufwärmen schafft das Quartett mit Kran, Lkw und Handanlegen die Bühnenpodeste in den Rittersaal. Dort bereits fertig installiert ist die 860 Besucher fassende Zuschauertribüne, deren Aufbau in den Tagen zuvor von zehn Mann in der Rekordzeit von 15 Stunden bewerkstelligt worden war.
Heute aber gilt’s der Königsdisziplin: Anlieferung und Aufbau der Container, die im Alltag der Festspiele als Solistengarderoben, Toiletten, Materiallager und anderes mehr dienen. Sechzehn Container insgesamt. Anlieferung und Aufbau sind Millimeterarbeit, denn rund um den Rittersaal ist Platz Mangelware.
Und einen Gutteil des Platzes nimmt schon der Kran ein, den Alex Joas inzwischen an der Nordwestecke des Rittersaals zwischen Linde und Mauer geparkt hat. Da der Untergrund dort überall mehr schräg als gerade ist, muss der Kran bei Standortwechseln aufwendig mit Holzplatten „ins Wasser“gebracht werden. Am Ende der Übung, wenn der Koloss mit seinem 36 Meter langen Ausleger vom südwestlichen Hang aus operieren wird, steht er nur noch auf seinen stark unterlegten Stützen und hängt ansonsten mit allen sechs Reifen in verschiedenen Graden in der Luft. Die Pirouette Zwischen dieser Schlusspirouette und jetzt liegen freilich noch Stunden. Deshalb beißt Alex Joas noch einmal in sein Frühstücksbrot, ehe er ins Cockpit des Kranes klettert. Die Container auf das jedem zugedachte Plätzchen zu hieven, das ist seine Aufgabe. Darum, ihm die Container an den Haken zu hängen, nachdem er sie zuvor per Lkw einzeln – und rückwärts – zum Rittersaal hochgefahren hat, kümmert sich Andreas Bantleon. Und zusammengebaut, wo sie zu stehen kommen, werden sie von Joe. Auch das ist bisweilen Millimeterarbeit, wenn man bedenkt, was alles passieren könnte, wenn etwa die später in die Container integrierten Abwasserrohre zur Unzeit einen falschen Aufstellwinkel übelnehmen könnten . . .
Aber die Aufbauer haben alles im Griff, alle drei sind schließlich schon seit Jahren dabei, wenn es gilt, der Heidenheimer Oper ein Opernhaus zu bauen. Und was sie anpacken, passt ja diesmal besser denn je: „Flieg, Gedanke“, heißt es bekanntlich im berühmten Gefangenenchor der Oper „Nabucco“, die heuer auf dem Spielplan der Festspiele steht. „Flieg, Container“, heißt es bei Alex, Andreas und Joe.
Los geht’s mit den vier Containern, die außen an der Nordwand des Rittersaals gebraucht werden, einer fürs Orchester, drei fürs Besucher-wc. Und in dieser Reihenfolge schweben die je nach Größe zwischen zweieinhalb und viereinhalb Tonnen schweren Brocken am Haken des Krans auch zunächst über die westliche Mauer und einen Teil des Rittersaals hinweg in einer großen Schleife zu ihren Standorten.
Nachdem die Operation Nordwand mit vier Containern abgeschlossen ist, kommen die zwei Material-container an die Reihe, für die links und rechts der Linde an der Nordwestecke Platz ist. Und schließlich die zehn Container, die für die Westseite des Rittersaals vorgesehen sind. Nun wird sogar gestapelt, denn Platz ist nur für fünf Container nebeneinander, sodass mit den weiteren fünf ein Obergeschoss aufgemacht wird, wobei die erste Etage mit drei noch einmal extra in kleinere Räume unterteilten Containern für die Solisten und den Dirigenten sowie mit je einem für das WC samt Dusche und für die Schneiderei reserviert ist. In den fünf Containern des Parterres werden die Choristinnen beziehungsweise Choristen und in je einem Maske, Technik und ein WC untergebracht. Die Dohlen Abends um halb sechs ist die Welt wieder in Ordnung. Alle Container sind samt Anschlüssen für Strom, Wasser und Abwasser an Ort und Stelle, Kran und Lkw von der Bildfläche verschwunden. Der Schlossberg hat Ruh’. Sollte jetzt noch relativ tief etwas über den Rittersaal fliegen, handelt es sich entweder um Dohlen oder um Turmfalken. Und vielleicht flattern ja demnächst sogar den drei Hauptdarstellern von zwölfeinhalb Stunden Präzisionsarbeit Einladungen ins Haus: Alex, Andreas und Joe waren nämlich noch nie in der Oper.