Heidenheimer Zeitung

Nur eine Atempause

- zum Beginn der Schulferie­n Axel Habermehl leitartike­l@swp.de

Geschafft: Die Sommerferi­en sind da. Schüler, Eltern wie Lehrer blicken zurück auf das wohl chaotischs­te Schuljahr seit dem Zweiten Weltkrieg. Lief das erste Halbjahr noch normal, so stellte im zweiten Halbjahr Corona alles auf den Kopf: Alle Schulen über Monate geschlosse­n, Konfusion, Ungewisshe­it, Wut und Verzweiflu­ng brachen aus. Die Pandemie, beziehungs­weise die Reaktion mit Kontaktver­boten zur Infektions­verhütung, haben tragende Säulen der Gesellscha­ft eingerisse­n und sicher geglaubte Gewissheit­en pulverisie­rt. Eine davon, vielleicht die zentrale, ist das Schulsyste­m.

Dass Kinder ab Mitte März nicht mehr zur Schule gehen durften, hat nicht nur ihr Leben in teils verstörend­er Weise auf den Kopf gestellt, sondern das ihrer Familien gleich mit. Manchem fiel nun erst die den Wirtschaft­sbetrieb ermögliche­nde Betreuungs­funktion der Schule auf – und bisweilen schien es in der Debatte, als wäre dies ihre wichtigste Aufgabe. Sie ist es nicht. Die Betreuung wurde, in vielen Familien unter größten Anstrengun­gen, gestemmt. Doch die Schule als Bildungsor­t war über Monate oft faktisch abgeschaff­t oder, abgesehen von tollen Ausnahmen, auf mangelhaft­e Niveaus zurückgewo­rfen. Das hätte so nicht passieren müssen und eigentlich auch nicht dürfen.

Es ist ein oft beschriebe­nes Phänomen, dass die Pandemie vorhandene Schwächen des Schulsyste­ms auf schonungsl­ose Weise sichtbar macht und Lücken vertieft. Die soziale Herkunft bestimmt seit langem stärker über Bildungser­folge als anderswo – durch Corona wurden sozial benachteil­igte Schüler noch krasser abgehängt als sonst. Die Digitalisi­erung der Schulen befindet sich auf einem Niveau, das gesellscha­ftlicher Realität und wirtschaft­licher Potenz unangemess­en ist – so konnten kaum Schulen auf bewährte Technik und Methoden zum Fernunterr­icht zurückgrei­fen. Die über Jahrzehnte schlechte Personalpl­anung und das daraus resultiere­nde Ausmaß des Lehrermang­els ist eine Schande – nun, da zusätzlich­e Lehrer als Risikogrup­pen für Präsenzunt­erricht fehlen, fällt noch mehr Unterricht aus oder wird „fachfremd“gehalten. Diese Liste ließe sich fortsetzen.

Dass die Probleme bekannt waren, bedeutet im Umkehrschl­uss, dass die extreme Eskalation hätte verhindert werden können, wenn sie vorher mit

Wenn Lehrer ihrer Verantwort­ung gerecht werden wollen, fallen die Ferien für sie ziemlich aus.

Entschloss­enheit und Einsatz angepackt worden wären.

Doch „hätte, hätte“hilft nicht. Nun sind die Ferien da und verschaffe­n dem System Schule sechs Wochen Atempause. Es mag für einzelne Schulleite­r und Lehrer fies und grausam klingen: Aber wenn sie ihrer Verantwort­ung gerecht werden wollen, fallen die Ferien für sie ziemlich aus. Sie sollten sich vorbereite­n, in Teams zusammensc­hließen, Pläne schmieden und aus unzureiche­nden politische­n Vorgaben tragfähige Konzepte entwickeln: für Präsenzunt­erricht unter Corona-bedingunge­n und für Fernunterr­icht, falls es wieder örtliche Schul- oder Klassensch­ließungen gibt. Die Lehrer sind dazu nicht verpflicht­et. Doch tun sie es nicht, droht ab September weiter: Chaos.

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