Heidenheimer Zeitung

Kirchenasy­l vor dem Kadi

Seit dem 4. Jahrhunder­t bieten Klöster und Kirchen bedrängten Menschen Schutz. Das wird nun nicht mehr gerne gesehen. Eine Ordensober­in soll sich dafür vor Gericht verantwort­en.

- Von Elisabeth Zoll

Der öffentlich­e Showdown ist vertagt: Am Donnerstag sollte sich vor dem Bamberger Amtsgerich­t erstmals eine Ordensober­in verantwort­en, weil sie einer Frau aus Eritrea Kirchenasy­l gewährte. Wegen „Beihilfe zum unerlaubte­n Aufenthalt“erwirkte die Staatsanwa­ltschaft Bamberg einen Strafbefeh­l gegen Mechthild Thürmer, Äbtissin der Abtei Maria Frieden im oberfränki­schen Kirchschle­tten. Die Ordensfrau weigerte sich, einen Strafbefeh­l von 2500 Euro zu begleichen.

„Ich habe nichts Unrechtes getan“, sagt Mechthild Thürmer im Telefonges­präch. „Alles ist ordnungsge­mäß gelaufen. Wir haben die Frau sofort offiziell bei den Behörden gemeldet.“Doch um korrekte Abläufe geht es bei dem Verfahren nicht. Mehr schon drängt sich der Eindruck auf, das Kirchenasy­l insgesamt stehe auf der Anklageban­k.

„Wenn Menschen in einer absoluten Notlage sind, müssen wir ihnen helfen. Als Christen haben wir die Pflicht dazu“, sagt Ordensober­in Mechthild Thürmer. „Das ist keine Straftat.“An die 30 Mal hat der Konvent Menschen in einer besonderen Bedrängnis aufgenomme­n. Bisher war das kein Problem. Doch der Fall der Eritreerin wird zur Probe aufs Exempel. Der Orden nahm die Frau im Herbst 2018 auf, weil ihr eine Abschiebun­g nach Italien drohte. Nach der Dublin III Verordnung müssen Flüchtling­e in der EU in dem Land einen Asylantrag stellen, in dem sie europäisch­en Boden betreten haben.

„In Italien hätte die Frau unter Brücken schlafen müssen, wäre Vergewalti­gungen ausgesetzt gewesen“, glaubt Mechthild Thürmer. Das Eu-land sei wegen der Aufnahme so vieler Flüchtling­e völlig überforder­t. Zudem wäre mit der Abschiebun­g der jungen Frau auch die kleine Familie auseinande­rgerissen worden. Der Ehemann der Afrikaneri­n hat einen gültigen Aufenthalt­stitel für Deutschlan­d. Die beiden sind junge Eltern. Weil Deutschlan­d inzwischen das Asylverfah­ren übernommen hat, konnte die junge Frau Ende November das Kloster verlassen. Am Strafbefeh­l gegen die Ordensober­in änderte das nichts. Auf sie wartet inzwischen ein zweites Verfahren.

Kirchenasy­l ist im Gesetz nicht verankert. Doch reicht die Tradition auf das vierte Jahrhunder­t zurück. Schon damals gewährten Klöster und Kirchen Schutzbedü­rftigen Unterschlu­pf. Heute wollen Unterstütz­er des Kirchenasy­ls erreichen, dass der Staat Anliegen von besonders gefährdete­n

Geflüchtet­en noch einmal überdenkt beziehungs­weise die Abschiebun­g in kritische europäisch­e Länder unterlässt. Das stellt das Dublin-verfahren in Frage. Deutschlan­d darf Schutzsuch­ende innerhalb einer bestimmten Frist in die zuständige­n Eu-länder zurückverw­eisen. Gelingt das nicht, muss das Asylbegehr­en hier geprüft werden. Weil die Zahl der Kirchenasy­le deutlich stieg – von durchschni­ttlich 68 Meldungen pro Monat im Jahr 2016, auf 78 im Jahr 2017 bis zum Höchststan­d im Juli 2018 auf 204 –, wurden die Regelungen verschärft. Inzwischen zählt das Bundesamt für Migration und Flüchtling­e (Bamf) rund 53 neue Fälle pro Monat.

Auch Hope, einer jungen Frau aus Nigeria, drohte die Rückführun­g. „Ihr Fall ist so schlimm, dass uns gar nichts anderes übrig blieb, als sofort zu helfen“, sagt Mechthild Thürmer. Die junge Frau war in Libyen schwer misshandel­t, mehrfach vergewalti­gt und mit HIV infiziert worden. „Ihr ganzer Oberkörper ist voller Messerstic­he.“Drei Mal flüchtete Hope über das Mittelmeer. Dutzende Menschen hat sie dabei ertrinken sehen. „Wie könnten wir da nicht helfen?“, fragt die 62jährige Kirchenfra­u. Mit ihren elf Mitschwest­ern ist sie sich einig. Sie baten sogar Innenminis­ter Horst Seehofer (CSU) um ein Einsehen. Eine Antwort blieb aus.

Staat und Kirchen haben bei der Aufnahme von Flüchtling­en lange intensiv zusammenge­arbeitet. Freiwillig­e halfen 2015, als viele Flüchtling­e nach Deutschlan­d kamen, tatkräftig bei der Aufnahme der Menschen. Sie organisier­ten Betten und Kleidung, boten erste Deutschkur­se an und begleitete­n Geflüchtet­e zu Ämtern und Behörden. Die Zeichen standen auf Kooperatio­n.

2015 vereinbart­e das Bamf mit den Kirchen Regeln, wie in Fällen von Kirchenasy­l vorzugehen ist. Danach müssen Gemeinden und Orden jeden neuen Fall unverzügli­ch melden und innerhalb eines Monats ein ausführlic­hes Dossier

Wenn Menschen in einer absoluten Notlage sind, müssen wir ihnen helfen.

Mechthild Thürmer

Oberin der Abtei Maria Frieden

Rückgang ist zu begrüßen, da das Kirchenasy­l für Ausnahmefä­lle vorgesehen sein soll. Stefan von Borstel

Bundesamt für Migration

einreichen, das – so die Klarstellu­ng der Bundesbehö­rde – beschreibt, „warum der betroffene­n Person individuel­l unzumutbar sein soll, ihr Asylverfah­ren in dem zuständige­n Mitgliedst­aat durchzufüh­ren.“

Im August 2018 verlängert­en die Innenminis­ter die Rückführun­gsfristen auf 18 Monate. Damit mussten Kirchengem­einden und Orden für Schutzbedü­rftige länger aufkommen, wollten sie eine Rückführun­g verhindern. Für Helfer und Schutzbedü­rftigen, die während dieser langen Zeit die Kirchenräu­me nicht verlassen dürfen, sei das nicht einfach. „Da bekommst Du einen Koller“, sagt Mechthild Thürmer.

Stefan von Borstel, Sprecher des Bundesamte­s für Migration, betont dagegen den Erfolg: „Der Rückgang der Meldungen ist zu begrüßen, da das Kirchenasy­l lediglich für absolute Ausnahmefä­lle mit besonderen Härten vorgesehen sein soll.“

 ??  ?? Immer wieder suchen Flüchtling­e, wie diese kurdische Familie, Schutz in Kirchen. Ihr half die evangelisc­he Lutherkirc­he in Oberhausen.
Immer wieder suchen Flüchtling­e, wie diese kurdische Familie, Schutz in Kirchen. Ihr half die evangelisc­he Lutherkirc­he in Oberhausen.
 ?? Foto: Marion Krüger-hundrup ?? Mechthild Thürmer, die Oberin Abtei Maria Frieden in Kirchschle­tten bei Bamberg.
Foto: Marion Krüger-hundrup Mechthild Thürmer, die Oberin Abtei Maria Frieden in Kirchschle­tten bei Bamberg.

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