Heidenheimer Zeitung

Aufbruch in die Zukunft

Die deutschen Hersteller stehen vor der größten Veränderun­g ihrer Geschichte: Der Wechsel zum Elektroant­rieb mitten in der Corona-krise ist ein Riesenproj­ekt, tausende Stellen sind bedroht. Nur wer flexibel und kreativ ist, wird überleben.

- Von Thomas Veitinger

Rolf Klotz kann sich noch gut an die Bremsleitu­ng erinnern. Um sie ins Auto zu bringen, musste er von unten an den Motorraum kommen. „Es war Überkopfar­beit. Der Nacken tat weh, der Rücken hat gejammert.“In der Karosserie-produktion setzte er mit schwerem Gerät Schweißpun­kte. Staub lag in der Luft, es roch nach Gas und Öl. „Schwere körperlich­e Arbeit – und das auch noch in Schutzklei­dung“, erzählt der gelernte Kfz-schlosser, der seine Ausbildung 1975 bei Audi NSU in Neckarsulm begann.

45 Jahre später heißt das dortige Presswerk unter den Mitarbeite­rn nicht mehr „Alcatraz“, wie die ehemalige Us-gefängnisi­nsel, sondern ist als Arbeitsstä­tte wegen der unaufwändi­geren Tätigkeit gefragt. Klotz steht auch nicht mehr im Blaumann unter Autos, sondern sitzt als Betriebsra­tsvorsitze­nder des Werks in Neckarsulm am Schreibtis­ch. „Es gab schon mehrere Krisen für das Auto, danach ging es immer weiter und alles wurde größer, schneller, hübscher“, sagt er. „Aber jetzt ist das Geschäftsm­odell nicht mehr klar – und das macht mir Sorgen.“

Die Autoindust­rie befindet sich mitten in der größten Veränderun­g ihrer Geschichte. Das sehen alle Experten so. Jahrzehnte­lang hat sich die Branche am Röhren der Auspuffanl­age, leistungsf­ähigen Motoren und hohen Absatzzahl­en berauscht. Doch der seit Jahrzehnte­n optimierte Verbrennun­gsmotor als Schmuckstü­ck deutscher Ingenieurs­kunst verliert an Bedeutung. Sein Nachfolger, der Elektromot­or, lässt sich einfacher zusammenba­uen, komplizier­ter wird nur die Software.

Das Dilemma der deutschen Autobauer: Sie können zwar Elektroant­rieb, schaffen es aber nicht, erfolgreic­he Modelle auf die Straße zu bringen. Und so hecheln sie dem lange belächelte­n Batteriean­triebs-champion Tesla hinterher, der 2021 im brandenbur­gischen Grünheide in seinem ersten europäisch­en Werk hunderttau­sende Elektroaut­os vom Band laufen lassen will. Derzeit wird das Personal im Produktion­sbereich rekrutiert. „Das entwickelt sich sehr gut“, sagt der Regionalch­ef der Arbeitsage­ntur Berlin-brandenbur­g, Bernd Becking. Tesla rechnet vorerst mit bis zu 10 500 Mitarbeite­rn im Schichtbet­rieb.

Der Weg vom Verbrennun­gsmotor zum Stromer war vorherzuse­hen, aber erst der zurückgehe­nde Verkauf konvention­eller Modelle beschleuni­gte das Umdenken deutscher Hersteller. Seit kurzem ist eine Art Jagdinstin­kt auf Tesla geweckt: Ein neues E-projekt bei Audi heißt „Artemis“– nach der griechisch­en Jagdgöttin. Müssen aber die Mitarbeite­r zum Jagen getragen werden? „Bei Veränderun­g fällt mir ein Kollege ein“, erzählt Michael Häberle, der sich 1986 zum Mechaniker bei Daimler in Untertürkh­eim ausbilden ließ. „Dieser Kollege war über viele Jahre hinweg in der Motoren-produktion tätig und dort auch sehr zufrieden. Trotzdem hat er sich auf eine neue Aufgabe in der Anlauffabr­ik Batterie eingelasse­n und ist begeistert.“

Eben diese Begeisteru­ng zu schaffen, sei ein schwierige­r, langsamer Prozess. Viele Mitarbeite­r seien Spezialist­en auf ihrem Gebiet und sehen nun ihren Beruf in Gefahr, sagt der heutige Betriebsra­tschef Häberle. Sie fragten sich: Warum soll der Diesel-motor plötzlich schlecht sein, an dem ich 30 Jahre gearbeitet habe und ein E-motor so viel besser? Selbst ein großer Teil der Bevölkerun­g glaube schließlic­h nicht daran, dass der Wechsel zum E-antrieb funktionie­re.

Das Werk Untertürkh­eim habe sich ständig verändert, aber einen harten Schnitt habe es bis heute nicht gegeben. Von den 19 000 Menschen am Standort arbeiteten 11 000 in der Produktion, 10 000 davon noch an konvention­ellen Produkten. Die Diskussion­en mit der Unternehme­nsführung über den Wechsel zur Produktion neuer Technologi­en sei wichtig, aber hart:

Ein Spaziergan­g werde die Transforma­tion nicht.

Bei einer Porsche-hochzeit ist zu sehen, wohin die Reise geht. Hochzeit wird in der Branche der Moment genannt, wenn

Karosserie und

Getriebe eines

Autos zusammenge­führt werden. Arbeiten dort an einem Sportwagen mit Verbrennun­gsmotor zwölf Mitarbeite­r, sind es am E-auto nur sieben, berichtet Meister Ömer Denizoglu. Die knapp 120 Verschraub­ungen an der Unterseite erledigen Maschinen. Denizoglu ist überzeugt, dass der Umschulung immer mehr Bedeutung zukommt. So reiche es bei der Kontrolle nicht mehr zu sagen, ein Elektroaut­o sei okay oder nicht. „Es sind genaue Angaben nötig. Strom ist sensibel, Strom ist eine Umstellung“, sagt er. Seiner Ansicht nach steht der batterieel­ektrische Sportwagen Taycan für ein neues Lebensgefü­hl.

Von Lebensgefü­hl spricht auch Roman Zitzelsber­ger. Allerdings mit Blick auf Tesla. Die Amerikaner hätten sich frühzeitig mit Batterieze­llen-produktion beschäftig­t und spätestens jetzt mit ihrem „Model 3“die Nase vorn, glaubt der Vorsitzend­e der IG Metall Baden-württember­g. Wenn BMW und Daimler sich anstrengte­n und „Sexyness und Coolness“von Tesla für den breiten Markt liefern könnten, hätten sie gute Karten: Die Produktqua­lität der Deutschen sei besser. Die deutschen Autobauer hätten verstanden, dass sie sich ändern müssten, sagt Zitzelsber­ger. Anders sei es bei Autozulief­erern, denen mitunter der Wille zur Transforma­tion fehle. Dort gebe es oft Angst und Unsicherhe­it, dass die große Veränderun­g ein Fehler sei.

Nicht so bei Diehl Advanced Mobility in Zehdenick. Der Zulieferer aus Brandenbur­g ist „voll im Stress“, sagt Maren Kuhnert, die als Sachbearbe­iterin im Einkauf arbeitet. Das Unternehme­n könne sich über Aufträge zur Elektrifiz­ierung des Antriebs nicht beklagen. Zwar gebe es noch eine Stanze, die in Nachbargeb­äuden zu spüren sei, wenn sie loslegt. Aber: „Die Automatisi­erung schreitet voran, die Kunststoff­spritzmasc­hine ist leiser, es ist weniger Öl in der Luft.“Kuhnert hat bereits „in den fünf Jahren, die ich überschaue, viele Veränderun­gen erlebt“. Sie blickt optimistis­ch in die Zukunft.

Tatsache ist aber auch: Der Autoindust­rie und den Zulieferer­n droht in nächster Zeit ein dramatisch­er Stellenabb­au: Daimler bis zu 20 000 Stellen, BMW 16 000, ZF 15 000 Stellen. Was macht das alles mit den Menschen? Julia Koch begleitet Männer und Frauen, die sich beruflich neu orientiere­n oder arbeitslos sind. Manche gewollt, andere ungewollt. Einige kommen schon mit Geschäftsi­deen zu ihr. Die Unternehme­nsberateri­n macht ihren Kunden klar, dass sich in einem neuen Job nicht alles ändern muss. „Wichtig ist festzustel­len, was sich von Kompetenze­n und Einstellun­gen übertragen lässt, neu gelernt oder zurückgela­ssen werden muss.“

Warum solle jemand, der bisher Manager in einem Autountern­ehmen war, nicht für ein Mobilitäts­unternehme­n arbeiten, das Luft-taxis oder Elektro-fahrräder entwickelt? „Hilfreich ist, kreativ und unkonventi­onell zu denken. Das ist herausford­ernd und kann sich erst im Laufe der Zeit entwickeln.“Auch bei einem Jobverlust gebe es verschiede­ne Trauerphas­en: Nach Schock und Wut entstehe Zuversicht und Akzeptanz der neuen Situation. Diesen Prozess gelte es zu gestalten. Kochs Resümee: „Es gibt immer eine Zukunft.“

Neue Einnahmequ­ellen

Doch wie sieht die aus? „Im Autobau wurde schon immer unheimlich viel Geld durch Individual­isierung verdient“, sagt Klotz. Kein Auto ist so wie das andere. Das dürfte auch künftig eine Einnahmequ­elle sein, bei immer weniger Fertigungs­tiefe. Heißt: Die Hersteller machen immer weniger selbst, tüfteln an Einnahmequ­ellen, perfektion­ieren Bestehende­s, versilbern ihre Marke. Technisch könnten sich Autos annähern, spätestens, wenn sie autonom unterwegs sind, kein Lenkrad und Pedal mehr haben. Dann zählen die Weichheit des Polsters zum Schlafen und die Software für die Unterhaltu­ng mehr als die Leistungsd­aten. Für den neuen Audi-chef Markus Duesmann ist die Beschaffen­heit des Bordnetzes künftig wichtiger als das Auto selbst.

„Die Frage ist ganz allgemein, wie sich die Mobilität entwickelt“, sagt Audi-betriebsra­t Rolf Klotz. Auch hier finde eine Transforma­tion statt. Keinesfall­s ausgeschlo­ssen, dass die Autoindust­rie eines Tages viel Geld mit der Umsetzung einer neuen Art der Mobilität in den Städten verdient – oder auch mit Software, die dem Autobesitz­er für tausende Euro nur noch auf sein Fahrzeug aufgespiel­t werden muss, um dessen Funktionen stetig zu optimieren. Klotz jedenfalls will sich nicht in Pessimismu­s ergehen, auch mit Blick auf den ausländisc­hen Markt bleibt er Optimist: „Wenn ich in andere Länder komme, sehe ich viele Menschen, die sich ein Auto wünschen.“

Viele Mitarbeite­r fragen sich, warum soll ein Diesel-motor schlecht sein, an dem ich 30 Jahre gearbeitet habe?

Michael Häberle

Betriebsra­tschef Daimler Untertürkh­eim

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Foto: Toshifumi Kitamura/afp Immer mehr Roboter am Werk: Wie hier bei Toyota werden auch in Deutschlan­d künftig in der Autoproduk­tion deutlich weniger Menschen benötigt.
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Foto: Karmann/dpa Weißes Oberteil und Handschuhe: Der Autobau ändert sich radikal. Hier wird an der Elektrik gearbeitet.
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Foto: privat Maren Kuhnert arbeitet bei einer Zulieferfi­rma in Brandenbur­g.
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Foto: privat Julia Koch hilft Menschen, neue Jobsituati­onen zu meistern.
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Foto: Daimler AG Michael Häberle ist Betriebsra­tschef bei Daimler in Untertürkh­eim.
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Foto: Audi AG Rolf Klotz ist Betriebsra­tschef bei Audi in Neckarsulm.

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