Von null auf hundert
Im Crucible Theatre in Sheffield geht es 17 Tage um einen Titel und Erkenntnisse in Sachen Corona. Ein Schweizer spielt im Hauptfeld.
Eine Snooker-weltmeisterschaft ist nun wahrlich kein Turnier, das einem Virologen oder einem Experten für Pandemie zuerst in den Sinn kommen würde, um Maßnahmen gegen die Verbreitung von COVID-19 zu testen.
Die englische Regierung jedoch tickt halt ein wenig anders. Vor rund drei Wochen beschloss die Regierung um Premierminister Boris Johnson die Rückkehr von Publikum zu Sportgroßveranstaltungen ab Oktober 2020. Um den Ernstfall zu proben, werden in den kommenden Wochen Pilotveranstaltungen durchgeführt. Unter anderem eben auch die Snooker-wm, die traditionell im April eines jeden Jahres ausgetragen wird, dieses Mal jedoch aus bekannten Gründen verschoben werden musste.
An diesem Freitag starten die Profis im Crucible Theatre in Sheffield in das 17-tägige Marathon-turnier. Das Mekka dieser Billard-variante ist für knapp 1000 Zuschauer ausgelegt, aktuell dürfen nur 250 bis 350 die Partien verfolgen. Es kommen Sicherheitsvorkehrungen zum Tragen wie zum Beispiel auch beim Basketball-endturnier um die deutsche Meisterschaft im München (Trennung der Ein-und Ausgänge sowie die üblichen Abstände und besonders ausgewiesene Wege). Sportler und Betreuer wohnen in einem Hotel, das sie nur nach einem Test betreten und nicht mehr verlassen dürfen, bis das Testergebnis vorliegt.
Diese WM wird aber nicht nur wegen der organisatorischen Besonderheiten zu einer ganz besonderen Veranstaltung. Die allermeisten der 32 Teilnehmer, davon 16 Qualifikanten, haben eine mehrmonatige Wettkampfund Trainingspause hinter sich. Laut BBC haben von 128 Profispielern nur zehn die Möglichkeit, zu Hause auf einem eigenen Tisch zu üben. Der Rest war und ist angewiesen auf Klubs, Trainingszentren und Snooker-akademien. Die jedoch waren ganz lange geschlossen.
Nun von null auf hundert. „Die Wettkampfpause ist ein Problem
Insgesamt gab für die Top-spieler. Die gehen kalt in die WM, während die Qualifikanten nicht nur Selbstbewusstsein getankt haben, sondern auch Matchpraxis“, schätzt Rolf Kalb ein, der mit zwei Kollegen die Wm-partien bei Eurosport kommentieren wird. Es gebe aber auch eine Reihe von Spielern, wie zum Beispiel Judd Trump oder Ronnie O’sullivan, die nach ein paar Spielen wieder im Wettkampf-modus seien, meint Deutschlands Snooker-stimme.
Apropos Ronnie O’sullivan. Der fünfmalige Weltmeister und eher medienscheue Eigenbrötler hat sich gegen Zuschauer bei der WM ausgesprochen. „Ich halte es einfach für ein unnötiges Risiko“, sagte der 44-Jährige in einem Gespräch
mit BBC Radio 5 Live. Er habe „kein Problem“damit, dass Sportveranstaltungen bis 2021 angesichts des Risikos einer Coronavirus-infektion ohne Fans stattfinden. „Im Moment reicht es aus, dass Sport im Fernsehen gezeigt wird“, sagte „The Rocket“O‘sullivan und kündigte an: Er werde sich zurückziehen, „wenn ich mich sehr, sehr unbehaglich fühle. Wenn ich zu diesem Punkt komme, dann hat das Spielen offensichtlich keinen Sinn“.
Ronnie O’sullivan ist zwar der Spieler im Teilnehmerfeld mit dem größten Aufmerksamkeitswert, zu den Favoriten jedoch zählen mittlerweile andere. Titelverteidiger und Topfavorit ist der Engländer Judd Trump, der sich im Finale von 2019 souverän mit 18:9 gegen John Higgins durchsetzte.
Deutsche spielen bisher in der Geschichte der WM schlicht keine Rolle. Immerhin hat es in diesem Jahr ein Schweizer geschafft, ins Hauptfeld zu kommen und um die 555 000 Euro Preisgeld zu spielen. Alexander Ursenbacher ist damit der erste Eidgenosse und der erste deutschsprachige Spieler, dem das gelang. Die Schweiz ist die 19. Nation, die im Crucible Theatre vertreten ist. „Ich muss die Tränen zurückhalten, das bedeutet mir alles“, meinte der 24-Jährige, der in der ersten Runde gegen den Engländer Barry Hawkins antreten muss.