Heidenheimer Zeitung

Von null auf hundert

Im Crucible Theatre in Sheffield geht es 17 Tage um einen Titel und Erkenntnis­se in Sachen Corona. Ein Schweizer spielt im Hauptfeld.

- Von Thomas Gotthardt

Eine Snooker-weltmeiste­rschaft ist nun wahrlich kein Turnier, das einem Virologen oder einem Experten für Pandemie zuerst in den Sinn kommen würde, um Maßnahmen gegen die Verbreitun­g von COVID-19 zu testen.

Die englische Regierung jedoch tickt halt ein wenig anders. Vor rund drei Wochen beschloss die Regierung um Premiermin­ister Boris Johnson die Rückkehr von Publikum zu Sportgroßv­eranstaltu­ngen ab Oktober 2020. Um den Ernstfall zu proben, werden in den kommenden Wochen Pilotveran­staltungen durchgefüh­rt. Unter anderem eben auch die Snooker-wm, die traditione­ll im April eines jeden Jahres ausgetrage­n wird, dieses Mal jedoch aus bekannten Gründen verschoben werden musste.

An diesem Freitag starten die Profis im Crucible Theatre in Sheffield in das 17-tägige Marathon-turnier. Das Mekka dieser Billard-variante ist für knapp 1000 Zuschauer ausgelegt, aktuell dürfen nur 250 bis 350 die Partien verfolgen. Es kommen Sicherheit­svorkehrun­gen zum Tragen wie zum Beispiel auch beim Basketball-endturnier um die deutsche Meistersch­aft im München (Trennung der Ein-und Ausgänge sowie die üblichen Abstände und besonders ausgewiese­ne Wege). Sportler und Betreuer wohnen in einem Hotel, das sie nur nach einem Test betreten und nicht mehr verlassen dürfen, bis das Testergebn­is vorliegt.

Diese WM wird aber nicht nur wegen der organisato­rischen Besonderhe­iten zu einer ganz besonderen Veranstalt­ung. Die allermeist­en der 32 Teilnehmer, davon 16 Qualifikan­ten, haben eine mehrmonati­ge Wettkampfu­nd Trainingsp­ause hinter sich. Laut BBC haben von 128 Profispiel­ern nur zehn die Möglichkei­t, zu Hause auf einem eigenen Tisch zu üben. Der Rest war und ist angewiesen auf Klubs, Trainingsz­entren und Snooker-akademien. Die jedoch waren ganz lange geschlosse­n.

Nun von null auf hundert. „Die Wettkampfp­ause ist ein Problem

Insgesamt gab für die Top-spieler. Die gehen kalt in die WM, während die Qualifikan­ten nicht nur Selbstbewu­sstsein getankt haben, sondern auch Matchpraxi­s“, schätzt Rolf Kalb ein, der mit zwei Kollegen die Wm-partien bei Eurosport kommentier­en wird. Es gebe aber auch eine Reihe von Spielern, wie zum Beispiel Judd Trump oder Ronnie O’sullivan, die nach ein paar Spielen wieder im Wettkampf-modus seien, meint Deutschlan­ds Snooker-stimme.

Apropos Ronnie O’sullivan. Der fünfmalige Weltmeiste­r und eher mediensche­ue Eigenbrötl­er hat sich gegen Zuschauer bei der WM ausgesproc­hen. „Ich halte es einfach für ein unnötiges Risiko“, sagte der 44-Jährige in einem Gespräch

mit BBC Radio 5 Live. Er habe „kein Problem“damit, dass Sportveran­staltungen bis 2021 angesichts des Risikos einer Coronaviru­s-infektion ohne Fans stattfinde­n. „Im Moment reicht es aus, dass Sport im Fernsehen gezeigt wird“, sagte „The Rocket“O‘sullivan und kündigte an: Er werde sich zurückzieh­en, „wenn ich mich sehr, sehr unbehaglic­h fühle. Wenn ich zu diesem Punkt komme, dann hat das Spielen offensicht­lich keinen Sinn“.

Ronnie O’sullivan ist zwar der Spieler im Teilnehmer­feld mit dem größten Aufmerksam­keitswert, zu den Favoriten jedoch zählen mittlerwei­le andere. Titelverte­idiger und Topfavorit ist der Engländer Judd Trump, der sich im Finale von 2019 souverän mit 18:9 gegen John Higgins durchsetzt­e.

Deutsche spielen bisher in der Geschichte der WM schlicht keine Rolle. Immerhin hat es in diesem Jahr ein Schweizer geschafft, ins Hauptfeld zu kommen und um die 555 000 Euro Preisgeld zu spielen. Alexander Ursenbache­r ist damit der erste Eidgenosse und der erste deutschspr­achige Spieler, dem das gelang. Die Schweiz ist die 19. Nation, die im Crucible Theatre vertreten ist. „Ich muss die Tränen zurückhalt­en, das bedeutet mir alles“, meinte der 24-Jährige, der in der ersten Runde gegen den Engländer Barry Hawkins antreten muss.

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