Hoffnungsfrohe Bilder als Lichtblick in Corona-zeiten
Berta Pech aus Oggenhausen erlitt vor einem Jahr einen schweren Schlaganfall. In der Zeit danach fand sie mit ihren fröhlichen Bildern eine neue Art, sich auszudrücken.
Nach einem schweren Schlaganfall begann Berta Pech mit 90 Jahren zu malen. Ihre Bilder vermitteln Lebensfreude und Hoffnung.
Auf den ersten Blick wirken die farbenfrohen Bilder, als hätte ein Kind sie gemalt: Häuser mit blauen, gelben und leuchtend pinken Dachziegeln, gestreifte Tiere, Blumen, Bäume, Pilze und comicähnliche Menschlein, angeordnet auf runden Pappdeckeln mit gewelltem Rand, die man eigentlich unter Kuchen schiebt. Bei genauerem Betrachten fällt aber auf, wie akkurat alle Linien gezogen sind, wie durchdacht die Figuren auf der runden Bildfläche angeordnet wurden, wie sauber alles ausgemalt ist. Vielleicht doch keine Kinderzeichnung?
Malen als Lichtblick
Berta Pech, die Schöpferin dieser bunten Welten, ist 90 Jahre alt. Sie malt seit einem halben Jahr und ihre Bilder sind mehr als ein spät entdecktes Hobby: Sie sind ein Lichtblick in düsteren Zeiten, der Ausweg aus krankheitsbedingter Passivität und ein Beweis dafür, dass es nie zu spät ist, mit etwas Neuem zu beginnen.
Als die damals 89-jährige Oggenhausenerin vor einem Jahr einen schweren Schlaganfall erlitt, schien das das Ende eines zuvor noch aktiven Lebens zu sein: „Sie konnte sich nicht mehr bewegen und nicht mehr sprechen“, sagt ihr Sohn Rainer Jooß. Vier Monate war die alte Dame im Pflegeheim, dann hatte sich ihr Zustand soweit gebessert, dass sie wieder nach Hause konnte. „Ich habe sie ein paar Tage vor dem ersten Lockdown abgeholt“, erzählt ihr Sohn. Ein großes Glück, denn sonst hätte er sie im Pflegeheim nicht einmal mehr besuchen können.
Immer hart gearbeitet
Zu Hause stellte sich die Frage: Womit beschäftigt sich Berta Pech nun? „Ich habe immer hart gearbeitet“, erzählt die 90-Jährige. Aufgewachsen auf dem Mergelstetter Erbisberg musste sie schon mit 14 in der Landwirtschaft helfen, später war sie bei Hartmann und Zoeppritz tätig. Sie hat erlebt, wie ihre Mutter die Kinder alleine großzog, weil der Vater sechs Jahre lang im Krieg war. Ihre Schwester nahm sich mit 20 Jahren das Leben, weil sie ein uneheliches Kind erwartete. Berta Pech hat drei Kinder großgezogen, ist zweimal verwitwet und hat ihre Eltern bis zu deren Tod gepflegt. Die 90-Jährige hat immer alles getan, was getan werden musste. „Man durfte früher nicht sagen: Das mache ich nicht“, erzählt sie.
Bis vor einem Jahr hat die Seniorin viel gestrickt, vor allem Babyjäckchen mit passenden Schuhen und Mützchen haben ihr Freude bereitet. Nach dem Schlaganfall machten die Hände nicht mehr mit, die Handarbeit war zu anstrengend geworden.
Zurückgekommen, um zu pflegen
Rainer Jooß, 56 Jahre alt, lebte zuletzt in Freiburg und London. Seit einigen Jahren kümmert er sich um die Pflege seiner Mutter, kam deshalb zurück nach Heidenheim. Der Kommunikationsdesigner ist ein umtriebiger Mensch, realisierte in diesem Jahr nach langer Vorarbeit eine Minenopfer-skulptur, die vor dem Rommel-denkmal auf dem Zanger Berg aufgestellt wurde. Er wollte sich nicht damit abfinden, dass seine Mutter nach dem Schlaganfall nur tatenlos im Rollstuhl sitzt. „Man braucht eine Beschäftigung“, findet er. Und für ihn am naheliegendsten sei das Malen gewesen. Da es im Frühjahr schwer gewesen sei, gutes Künstlermaterial zu beschaffen, habe er seiner Mutter die Tortenunterlagen zum Malen gegeben, die sie mit ihren nur eingeschränkt beweglichen Händen zudem auch gut greifen kann.
Ein Affe mit Banane
Und dann saß Berta Pech vor dem ersten leeren Blatt und fragte ihren Sohn: „Was soll ich denn jetzt malen?“Ohne Ansporn und erste Inspiration von außen ging es nicht, erinnert sich Rainer Jooß. „Ich habe gesagt: Mal doch einen Affen mit Banane im Urwald“, erzählt er. Dieses erste Bild hängt jetzt bei Berta Pech über dem Sofa. Es zeigt verblüffenderweise schon viele der Elemente, die in den späteren Bildern auch immer wieder auftauchen: Der Affe trägt bunt gestreifte Kleidung, er ist dominant in der Mitte des Bildes platziert, die Bäume gruppieren sich ringsum am Rand. „Sie hat sofort ihren Stil gefunden“, lobt Rainer Jooß. „Dafür brauchen andere Künstler manchmal Jahrzehnte“, meint er.
„Es ist nicht leicht, so alt zu werden“, sagt Berta Pech. Man müsse lernen, mit vielen Einschränkungen zu leben. „An manchen Tagen will man auch nicht mehr“, meint sie. Auch ihr Gedächtnis macht nicht mehr mit:
„An Dinge von früher kann ich mich oft noch gut erinnern, aber was gestern war, vergesse ich“, sagt die 90-Jährige. In ihren Bildern spielt das aber keine Rolle: Hier sieht sie die Dinge vor sich, die sie bereits gemalt hat und kann sie in neuen Bildern fortsetzen oder variieren. Auch von der oft bedrückenden Schwere des Lebens ist nichts zu sehen in dem, was die alte Dame malt, alles wirkt lebensbejahend und fröhlich. „Mich beeindrucken die Ordnung und die Freundlichkeit in den Bildern“, sagt Rainer Jooß.
Die 90-Jährige ist sichtlich erfüllt von ihrer Tätigkeit: Sie hat mitten im Wohnzimmer einen Schreibtisch, vor dem ihr Rollstuhl steht. Selbstständig gehen kann sie nicht mehr, diese Einschränkung ist vom Schlaganfall geblieben. Auf dem Tisch liegen ihre Stifte, bereits begonnene und auch fertige Bilder. Oft kopiert sie die Motive, die sie schon einmal gemalt hat, aber immer wieder kommen neue Figuren hinzu. „Die Schmetterlinge male ich noch nicht lange“, erzählt Berta Pech, „das war schwer, bis ich die richtig hingekriegt habe.“
„Ich kann doch nicht malen“
Am Anfang habe Berta Pech wie so viele Menschen gesagt: „Ich kann doch nicht malen“, erinnert sich Rainer Jooß. „Aber dieser Satz ist nie wahr“, sagt er. Es gehe letztlich darum, seinen eigenen Stil zu akzeptieren und weiterzuentwickeln. Dass dies seiner Mutter im hohen Alter gelungen ist, hat sicherlich auch mit der Anleitung durch den Sohn und das geradlinige und offene Verhältnis der beiden zueinander zu tun. „Es geht nicht darum, jemandem die Hand zu führen“, erläutert Jooß, „sondern darum, dass sich jemand entfalten kann.“
Mehr als 160 Bilder sind in den letzten Monaten entstanden und Rainer Jooß hat momentan einen großen Teil davon in den Schaufenstern der Weinhandlung Malowein in der Grabenstraße ausgestellt. „Davon hat er mir nichts erzählt“, sagt Berta Pech mit gerunzelter Stirn, „ich bin doch keine Künstlerin.“Als der Sohn aber verspricht, bei gutem Wetter mit ihr nach Heidenheim zu fahren und ihr die Ausstellung zu zeigen, blitzen ihre blauen Augen wieder freundlich.