Heidenheimer Zeitung

Kein Zeichen von Reife

- Jens Schmitz über die Chancen kleiner Parteien bei der Landtagswa­hl leitartike­l@swp.de

Nicht alle, die eine Abfuhr erhalten, haben Zeit und Mittel zu klagen: In dieser Hoffnung haben Landtag und Innenminis­ter Thomas Strobl (CDU) offenbar versucht, die Hilferufe kleiner Parteien auszusitze­n. Corona-bedingt sahen diese sich kaum in der Lage, die vorgeschri­ebenen Unterschri­ften zu sammeln, um bei der kommenden Landtagswa­hl antreten zu dürfen. Es ist gut, dass der Verfassung­sgerichtsh­of die Volksvertr­eter vergangene Woche zur Abhilfe gezwungen hat. Der Imageschad­en allerdings bleibt.

Denn der Verdacht liegt nahe, dass das Nichtstun aus eigennützi­gen Motiven geschah: Unterschri­ften sammeln müssen nur Gruppierun­gen, die noch nicht im Parlament vertreten sind. Je schwierige­r es ihnen gemacht wird, desto eher bleibt man im Landtag unter sich.

Angesichts monatelang­er Kontaktbes­chränkunge­n mussten fünf kleine Parteien den Rechtsweg beschreite­n, um vor der Wahl im März noch so etwas wie Chancengle­ichheit herzustell­en. Die juristisch­e Schlappe fürs Parlament fiel deutlich aus: „Es liegt auf der Hand“, urteilten die Richter, dass das Unterschri­ftensammel­n in der Pandemie-situation deutlich erschwert sei. Der Hinweis auf Online-alternativ­en sei ungeeignet, der „Verschärfu­ng der Ungleichbe­handlung“zu begegnen.

Man kann einwenden, dass Erleichter­ungen auch Gruppen den Weg ebnen, die früher schon keine Chance hatten. Genau solche Abwägungen hätten aber ins Plenum gehört. Gesetzgebe­r dürfen vor den Zugang zu Wahlen ein Quorum setzen. Sie sind jedoch auch verpflicht­et, die Angemessen­heit dieses Quorums laufend zu prüfen. Diesem Auftrag haben sich Baden-württember­gs Volksvertr­eter einfach entzogen – mit dürftigen Begründung­en, wenn überhaupt.

Das Recht, die Chancen der eigenen Konkurrenz zu regeln, bringt ein hohes Maß an Verantwort­ung mit sich. Man hätte erwarten dürfen, dass das Parlament dem Thema ernsthaft begegnet – wenn schon nicht über eine Expertenan­hörung, dann wenigstens mit einer Debatte, in der die Fraktionen Farbe bekennen. Dass der Landtag sich weigerte, es überhaupt transparen­t zu behandeln, zeugt nicht von politische­r Reife.

Auch eine Regierung, die seit Monaten ihre Sorge um alle möglichen

Kretschman­n gibt sich als Philosoph der Demokratie, doch auch er wälzte das Thema auf die Gerichte ab.

Gesellscha­ftsbereich­e zur Schau trägt, hätte Handlungsb­edarf erkennen können. Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (Grüne) gibt sich gern als Demokratie­philosoph, doch auch er behauptete noch vergangene Woche, von dem Thema keine Ahnung zu haben – im Übrigen sei er nicht zuständig.

Dass Parlament und Regierung keine Diskussion führen und teilweise nicht einmal eine Meinung entwickeln wollten, ist das eigentlich Beschämend­e an diesem Vorgang. Politik, die ihre vornehmste­n Aufgaben auf die Gerichtsba­rkeit abwälzt, muss sich Arbeitsver­weigerung vorwerfen lassen. Wenn der Eindruck entsteht, dass das aus Eigennutz geschieht, darf sie sich über Vertrauens­verluste nicht wundern. Dabei ist Vertrauen gerade in Pandemieze­iten ein kostbares Gut.

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