Freie Fahrt durch den Datenraum
Eine Cloud für Mobilitätsdaten soll Deutschlands Verkehr fit für die Zukunft machen. Angela Merkel hat das Projekt zur Chefsache gemacht und das Thema beim kommenden Autogipfel im Kanzleramt auf die Agenda gehoben.
Das Auto der Zukunft soll nicht nur eigenständig einen Parkplatz finden und automatisiert einparken. Es soll dem Passagier auch anzeigen, wo die nächste Bahn fährt – und ein E-roller steht. Das Auto der Zukunft ist ein gigantischer Computer. Ein Smartphone auf Rädern, nur unendlich leistungsstärker. Klingt nach Science Fiction, ist aber gar nicht weit weg.
Die Bundesregierung arbeitet daran, dass diese Visionen zur Realität werden und Deutschland Vorreiter bei der Digitalisierung der Mobilität wird. Damit das passiert, hat Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) das Thema zur Chefsache gemacht. Am Dienstag trifft sie sich mit den Spitzen von VW, Daimler und BMW, der Autoländer und den zuständigen Bundesministern zum Autogipfel. Es soll um autonomes Fahren, Elektromobilität und die Rettung der Zulieferer gehen. Aber auch um eines der bedeutendsten Themen der Zukunft: Daten.
Im September hatte Merkel die Automobilexperten beauftragt, die Pläne für eine Datenplattform zu konkretisieren. Ein „Datenraum Mobilität“soll entstehen, in dem Autohersteller, die Deutsche Bahn, Nahverkehrsunternehmen und private Mobilitätsdienstleister Verkehrsdaten einspeisen. Mithilfe dieser Informationen sollen intelligente Verkehrsangebote entstehen, die auf die Baustellen- und Wetterlage reagieren und Verkehrsträger miteinander verknüpfen können. Wenn Autos miteinander und der Infrastruktur kommunizieren können, können Verkehrsströme gelenkt, Staus und damit Emissionen reduziert werden. Kurzum: Die Cloud soll für moderne Mobilität sorgen. Doch die Umsetzung gestaltet sich als schwierig.
Eines der Probleme: Daten sind kostbar. Denn sie bedeuten Wissen über die Nutzer. Welche Daten einst wichtig sein werden, ist heute schwierig abzuschätzen. Deshalb halten sich vor allem die Autohersteller bedeckt, was das Teilen des Schatzes angeht. An staatlichen Cloudprojekten wie Gaia-x hat sich mit Ausnahme von BMW bisher kein deutscher Hersteller beteiligt. Dabei sind die Fahrzeuge rollende Datenräume – und werden in Zukunft noch mehr Informationen sammeln.
„Daten sind zwar kostbar, am Ende bringt es aber nichts, auf ihnen sitzen zu bleiben“, sagt die Referentin Mobilität des Digitalverbands Bitkom, Nathalie Teer. „Wir brauchen den Datenraum, um international konkurrenzfähig zu sein“, ist sich Teer sicher. „Es ist aber essentiell, dass kein Datenfriedhof entsteht.“Damit das nicht passiert, „muss man Strukturen schaffen, die für alle gewinnbringend sind“, sagt die Digitalexpertin.
Diese Strukturen baut der Verein Deutsche Akademie für Technikwissenschaften (Acatech) im Auftrag der Bundesregierung gerade auf. Die Technik basiert auf dem Industrial Data Space, einem System, dass das Fraunhofer Institut für die Industrie 4.0 entwickelt hat. Sebastian Pretzsch ist Gruppenleiter Datensysteme und Assistenz am Fraunhofer Institut und hebt die Vorteile des technischen Konzepts hervor: „In Datenräumen können die Teilnehmer kontrollieren und steuern, wer auf die Daten zugreift und zu welchen Konditionen das passiert.“Den Datenraum müsse man sich vorstellen wie einen Marktplatz, bei dem sich Datengeber und Datennehmer treffen und ihre Waren tauschen können. Dabei behalten die Teilnehmer die Informationen stets auf ihren Servern, sie haben die Souveränität darüber.
Der Grünen-verkehrspolitiker Stefan Gelbhaar lobt die Idee des Datenraums zur Verknüpfung unterschiedlicher Mobilitätsangebote, bemängelt jedoch die fehlende Transparenz der Bundesregierung. „Es ist unklar, wofür die 18 Millionen Anschubfinanzierung gebraucht werden. Im Haushalt sind sie nicht abgebildet. Das Parlament sollte aber bei grundlegenden Zukunftsprojekten miteinbezogen werden“, sagt der Bundestagsabgeordnete. Außerdem
sei offen, wie bestehende Angebote wie der Db-navigator in das Konzept eingebunden werden. Während einer Eu-richtlinie zufolge öffentliche Verkehrsunternehmen ihre Daten offenlegen müssen, können private Unternehmen freiwillig entscheiden, welche Daten sie herausgeben. Das aber bremst das System aus: „Wenn durch den Datenaustausch bessere Mobilitätsangebote entstehen sollen, müssen alle die gleichen Rechte und Pflichten haben“, fordert Gelbhaar.
Wie die Bürger vom Datenraum profitieren können, zeigt ein Modellprojekt in Hamburg, das vom Verkehrsministerium gefördert wird. Im Reallabor wird Verkehr vernetzt. In einem Projekt spielt der Datenraum eine Rolle. Statt wie bisher fünf Apps für eine Reise zu nutzen, sollen Kunden künftig eine Anwendung haben und damit schneller und bequemer zum Ziel kommen. 2021 werden die Projekte angeschoben, im Oktober sollen Ergebnisse beim Weltkongress für intelligente Verkehrssysteme (ITS) in Hamburg vorgestellt werden.
Wenn es nach der Kanzlerin geht, soll der Datenraum bis zur Messe auch andernorts seine Fähigkeiten im Echtbetrieb unter Beweis stellen. Bis dahin müssen aber noch einige Händler den Marktplatz betreten und ihre Daten anbieten.