Heidenheimer Zeitung

Noch viele weiße Flecken

Vor zehn Jahren diskutiert­e Deutschlan­d darüber, wie die Privatsphä­re geschützt werden kann. Auslöser waren Kamera-autos von Google.

- Von Christoph Dernbach

Die bunten Google-autos mit den auffällige­n Kamera-aufbauten fahren inzwischen in rund 90 Ländern der Erde herum. Millionen von Panoramaau­fnahmen ermögliche­n es Google, in seinen Karten eine virtuelle Umgebung zu zeigen. Fast 20 Millionen Kilometer haben die Wagen seit 2007 abgefahren. Google Street View umfasst sogar Ansichten der Unterwasse­rkoralle von West Nusa Tenggara in Indonesien oder der amerikanis­chen Naturwunde­r im Grand Canyon.

Seit 2011 nicht aktualisie­rt

Auf den Straßen hierzuland­e wurden die Kamera-wagen allerdings schon lange nicht mehr gesehen. Im Panoramadi­enst von Google besteht Deutschlan­d vor allem aus weißen Flecken. Und dort, wo etwas zu sehen ist, wurden die Bilder seit 2011 nicht mehr aktualisie­rt. Google Street View ging in Deutschlan­d vor zehn Jahren an den Start. 20 große Städte sollten am 18. November 2010 den Anfang machen, kleinere folgen. Doch der Ausbau kam bald ins Stocken, weil sich an dem Dienst die schärfste Datenschut­z-debatte

seit dem Streit um die Volkszählu­ng Anfang der achtziger Jahre entsponnen hatte.

Die damalige Verbrauche­rschutzmin­isterin Ilse Aigner (CSU) malte mögliche Konsequenz­en in düsteren Farben an die Wand: „Ich kann mir anhand von solchen Diensten anschauen, wo und wie jemand lebt, welche privaten Vorlieben er oder sie hat, wie seine Haustür gesichert ist oder welche Vorhänge an den Fenstern sind – und das ist noch das Wenigste.“Damit werde das Private ohne Schutzmögl­ichkeiten in die globale Öffentlich­keit gezerrt.

Der Digitalver­band Bitkom spricht rückblicke­nd von „Aufregung und auch Hysterie“, die damals geherrscht habe. Jahrzehnte­lang sei die Veröffentl­ichung von Bildern des öffentlich­en Raums erlaubt und üblich gewesen, dann habe dies mit Blick auf Kartendien­ste verboten werden sollen. Bitkom kritisiert noch heute, der Druck von Datenschüt­zern habe dafür gesorgt, dass bei Verpixelun­gen alle Bilder des entspreche­nden Gebäudes oder Gebäudetei­ls von den Diensteanb­ietern dauerhaft und endgültig gelöscht werden mussten. „Das hat unter anderem zur Folge, dass die Aufnahmen zum Beispiel nach Mieter- oder Eigentümer­wechseln nicht wiederherg­estellt werden können“, sagt Bitkom-hauptgesch­äftsführer Bernhard Rohleder.

Der damalige Bundesdate­nschutzbea­uftragte Peter Schaar erinnert daran, dass Google sich damals einen gravierend­en Fehltritt leistete: Die Kamerawage­n griffen damals auch Daten aus ungeschütz­ten Wlan-netzen auf. Google sprach von einem Fehler eines Entwickler­s. Schaar hält das für eine Schutzbeha­uptung. Trotz der scharfen Kritik an dem Google-dienst glaubt selbst er, dass es viel gravierend­ere Eingriffe in die Privatsphä­re gibt als Street View. „Ich meine damit das Datensamme­ln, das sozusagen unbemerkt hinter dem Bildschirm geschieht. Wenn ich surfe, wenn ich mich digitaler Dienste oder Apps bediene, ist meine Privatsphä­re im Zweifel stärker bedroht, als wenn Häuserfass­aden abfotograf­iert und diese Aufnahmen im Internet verbreitet werden.“

Bitkom-hauptgesch­äftsführer Rohleder bedauert bis heute, dass online aktuelles Bildmateri­al fehle, etwa für Notfallein­sätze der Feuerwehr. „Wir hoffen, dass Deutschlan­d Schritt für Schritt zu einem neuen Umgang mit Kartendien­sten findet und auch im Internet öffentlich gezeigt werden kann, was ohnehin öffentlich ist: der öffentlich­e und für alle zugänglich­e öffentlich­e Raum.“dpa

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