Noch viele weiße Flecken
Vor zehn Jahren diskutierte Deutschland darüber, wie die Privatsphäre geschützt werden kann. Auslöser waren Kamera-autos von Google.
Die bunten Google-autos mit den auffälligen Kamera-aufbauten fahren inzwischen in rund 90 Ländern der Erde herum. Millionen von Panoramaaufnahmen ermöglichen es Google, in seinen Karten eine virtuelle Umgebung zu zeigen. Fast 20 Millionen Kilometer haben die Wagen seit 2007 abgefahren. Google Street View umfasst sogar Ansichten der Unterwasserkoralle von West Nusa Tenggara in Indonesien oder der amerikanischen Naturwunder im Grand Canyon.
Seit 2011 nicht aktualisiert
Auf den Straßen hierzulande wurden die Kamera-wagen allerdings schon lange nicht mehr gesehen. Im Panoramadienst von Google besteht Deutschland vor allem aus weißen Flecken. Und dort, wo etwas zu sehen ist, wurden die Bilder seit 2011 nicht mehr aktualisiert. Google Street View ging in Deutschland vor zehn Jahren an den Start. 20 große Städte sollten am 18. November 2010 den Anfang machen, kleinere folgen. Doch der Ausbau kam bald ins Stocken, weil sich an dem Dienst die schärfste Datenschutz-debatte
seit dem Streit um die Volkszählung Anfang der achtziger Jahre entsponnen hatte.
Die damalige Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner (CSU) malte mögliche Konsequenzen in düsteren Farben an die Wand: „Ich kann mir anhand von solchen Diensten anschauen, wo und wie jemand lebt, welche privaten Vorlieben er oder sie hat, wie seine Haustür gesichert ist oder welche Vorhänge an den Fenstern sind – und das ist noch das Wenigste.“Damit werde das Private ohne Schutzmöglichkeiten in die globale Öffentlichkeit gezerrt.
Der Digitalverband Bitkom spricht rückblickend von „Aufregung und auch Hysterie“, die damals geherrscht habe. Jahrzehntelang sei die Veröffentlichung von Bildern des öffentlichen Raums erlaubt und üblich gewesen, dann habe dies mit Blick auf Kartendienste verboten werden sollen. Bitkom kritisiert noch heute, der Druck von Datenschützern habe dafür gesorgt, dass bei Verpixelungen alle Bilder des entsprechenden Gebäudes oder Gebäudeteils von den Diensteanbietern dauerhaft und endgültig gelöscht werden mussten. „Das hat unter anderem zur Folge, dass die Aufnahmen zum Beispiel nach Mieter- oder Eigentümerwechseln nicht wiederhergestellt werden können“, sagt Bitkom-hauptgeschäftsführer Bernhard Rohleder.
Der damalige Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar erinnert daran, dass Google sich damals einen gravierenden Fehltritt leistete: Die Kamerawagen griffen damals auch Daten aus ungeschützten Wlan-netzen auf. Google sprach von einem Fehler eines Entwicklers. Schaar hält das für eine Schutzbehauptung. Trotz der scharfen Kritik an dem Google-dienst glaubt selbst er, dass es viel gravierendere Eingriffe in die Privatsphäre gibt als Street View. „Ich meine damit das Datensammeln, das sozusagen unbemerkt hinter dem Bildschirm geschieht. Wenn ich surfe, wenn ich mich digitaler Dienste oder Apps bediene, ist meine Privatsphäre im Zweifel stärker bedroht, als wenn Häuserfassaden abfotografiert und diese Aufnahmen im Internet verbreitet werden.“
Bitkom-hauptgeschäftsführer Rohleder bedauert bis heute, dass online aktuelles Bildmaterial fehle, etwa für Notfalleinsätze der Feuerwehr. „Wir hoffen, dass Deutschland Schritt für Schritt zu einem neuen Umgang mit Kartendiensten findet und auch im Internet öffentlich gezeigt werden kann, was ohnehin öffentlich ist: der öffentliche und für alle zugängliche öffentliche Raum.“dpa