Liebe Krise,
es macht Dich zwar nicht weniger unangenehm, aber wir müssen zugeben, dass wir uns mittlerweile an Dich gewöhnt haben. Irgendwie bist du allgegenwärtig, auch im schönen Heidenheim. Das von Beratern geführte Krankenhaus hast Du nicht nur wegen Corona voll erwischt, was den Fußball betrifft, bist du jüngst fürs Erste am FCH vorbeigerauscht und beim Arbeitsmarkt wirst Du wohl nicht nur wegen der Lock- oder Shutdowns ein Dauergast bleiben.
Mindestens eine Krise ist immer. Das ist ja auch nicht neu in der Menschheitsgeschichte, die Frage ist nur: Wie geht man damit um? Früher haben die Menschen die Ärmel hochgekrempelt, schwere Zeiten überstanden, Zerstörtes wieder aufgebaut. Jeder Stamm, jedes Land, jeder Kontinent, jede Branche, jede Firma.
Heute machen die Menschen das anders. Sie engagieren Berater. Und zwar alle – Unternehmen, Behörden, Privatpersonen. Selbst die Bundeswehr lässt sich von Businessmenschen erklären, wie man marschiert oder das Sturmgewehr reinigt.
Die Berater entwickeln Visionen und Konzepte, es wird umstrukturiert und reformiert und sehr gerne verschlankt. Dann sind alle wieder zufrieden und vernehmen beglückt, dass in jeder Krise ja eine Chance stecke.
Vor gut 108 Jahren geriet Edward John Smith in eine Krise. Er war der Kapitän des britischen Passagierschiffs Titanic, das am 15. April 1912 im Nordatlantik sank und zum Inbegriff einer Katastrophe wurde.
Wir überlegen, wie Mister Smith heute auf so eine Krise reagieren würde. Vermutlich hätte er sich schlaue Berater aus einem Think Tank einfliegen lassen. Die würden dann ein Brainstorming machen, viele Post-its auf ein Flipchart kleben und zu dem Schluss kommen, dass es in dieser Situation besonders wertvoll ist, die Schornsteine des Schiffes in einem optimistischen Blau zu streichen.
Das hätte zwar das Sinken nicht verhindert und keines der 1514 Opfer gerettet, aber die knapp 700 Überlebenden wären bei diesem Anblick mit einem guten Gefühl in die kalte atlantische Nacht gerudert. Wohl wissend, dass in jeder Krise auch eine Chance steckt. Stimmt’s, liebe Krise? Aber Du liest das ja eh nicht.