Heidenheimer Zeitung

„Wenn etwas in der Welt ist, wirkt es“

In „Ökozid“muss sich Deutschlan­d vor Gericht für seine Klimapolit­ik verantwort­en. Der in Stuttgart geborene Regisseur Andres Veiel spricht über eine unheilvoll­e Zukunft, die wir verhindern können.

- Von Jana Zahner

Man schreibt das Jahr 2034. Stürme und Hitzewelle­n kosten unzählige Existenzen und Menschenle­ben. Brandenbur­g brennt. Vor dem Internatio­nalen Gerichtsho­f, der wegen Überschwem­mung von Den Haag nach Berlin umzieht, beginnt ein historisch­er Prozess: 31 Länder des globalen Südens verklagen die Bundesrepu­blik Deutschlan­d wegen ihrer laxen Klimaschut­zpolitik. Sie stellen die Schuldfrag­e und fordern Schadeners­atz. Zeugin der Verteidigu­ng ist die ehemalige Bundeskanz­lerin Angela Merkel.

Dieses drastische Zukunftssz­enario entwirft der Ard-fernsehfil­m „Ökozid“des in Stuttgart geborenen Regisseurs Andres Veiel. Was zunächst abwegig klingt, könnte im internatio­nalen Recht durchaus Schule machen. In Frankreich will Präsident Emmanuel Macron prüfen, ob der „Ökozid“, also eine schwere Schädigung der Natur, als Straftatbe­stand eingeführt werden soll. Andres Veiel wirbt dafür, seinen Film nicht als Untergangs­zenario, sondern als hoffnungsv­ollen Fingerzeig zu sehen.

Herr Veiel, Dokumentat­ionen über den Klimawande­l gibt es viele, ernsthafte Spielfilme dagegen noch kaum. Warum ist das so?

Andres Veiel:

Die Herausford­erung ist die Komplexitä­t des Themas. Ein großer Teil unseres Films dreht sich um Emissionsh­andel und die Co2-reduktion im Straßenver­kehr. Das ist nichts, womit man eine Liebesgesc­hichte verbindet, sondern eine sehr faktenbasi­erte Auseinande­rsetzung. Wir mussten für über zwei Jahre Recherche eine Rahmenhand­lung finden, die spannend ist.

Es geht nicht darum, dass Zuschauer per Hammelspru­ng über ein Urteil abstimmen.

Der Klimawande­l ist keine plötzlich hereinbrec­hende Katastroph­e, sondern ein kontinuier­licher, schleichen­der Prozess. Macht ihn das schwer erzählbar?

Ja. Anders als bei der Corona-pandemie gibt es keine einprägsam­en Bilder: von Intensivst­ationen in Turnhallen oder von Menschen, die nicht mehr versorgt werden können. Der Klimawande­l ist immer woanders, in Bangladesc­h, auf den Malediven oder in der Zukunft; er ist zweifach abstrakt.

In der Literatur findet man meist Klima-dystopien oder Ökothrille­r. Sie zeigen eine Gerichtsve­rhandlung im Jahr 2034. Was sind die Vorteile?

Uns war wichtig, in eine nahe Zukunft zu gehen. Vierzehn Jahre sind fassbar. Ein klassische­s Gerichtsdr­ama bietet die Möglichkei­t, Fakten sachlich vorzutrage­n. Es gilt, die Richter und die Öffentlich­keit mit den besseren Argumenten zu überzeugen. Es war uns wichtig, beide Seiten stark zu zeigen. Und: Es sollte ein plausibler Prozess sein, den es so geben könnte.

Ihr Film erinnert an „Terror“von Ferdinand von Schirach. Ein Vorbild?

Nein! Es geht nicht darum, dass Zuschauer per Hammelspru­ng über das Gerichtsur­teil abstimmen. Das wäre eine Kapitulati­on vor der Komplexitä­t des Ganzen.

Im Film sehen sich die 31 Klägerstaa­ten als Geschädigt­e der deutschen Klimapolit­ik. Kann man den Klimawande­l auf eine simple Täter-opfer-konstellat­ion reduzieren?

Es geht nicht um Täter und Opfer, sondern um Klimagerec­htigkeit, um die Frage: Wer trägt Verantwort­ung? Deutschlan­d ist für zwei Prozent der Co2-emissionen weltweit verantwort­lich und nur für diese Menge soll es haften. Natürlich kann man wie die Verteidigu­ng im Film argumentie­ren: Warum wird Deutschlan­d angeklagt und nicht China, Russland oder die USA? Es ist ein Präzedenzf­all, weil diese Länder den Internatio­nalen Gerichtsho­f nicht anerkennen.

Andres Veiel ist bekannt für politische Kunst.

Muss man für das Thema Klima den Begriff „Schuld“neu denken?

Ja, man muss Schuld an den Begriff der Verantwort­ung knüpfen. Es geht nicht im strafrecht­lichen Sinne um Schuld. Alles, was in der deutschen Klimapolit­ik getan wurde, war demokratis­ch legitimier­t. Deutschlan­d hat aber seinen Wohlstand auf Co2-emissionen begründet, andere Länder haben einen Bruchteil davon ausgestoße­n, haben aber mehr Schäden. Ein Ausgleich ist rechtmäßig und notwendig.

Vor Gericht wird die reale deutsche Klimapolit­ik der letzten 30 Jahre aufgearbei­tet. Was hat Sie bei Ihren Recherchen am meisten überrascht?

Mich hat die Systematik der Versäumnis­se in der Klimapolit­ik überrascht. Ich wusste von einigen, aber mit welcher Entschloss­enheit das eine gesagt und das andere getan wurde, hat mich fassungslo­s gemacht.

Über den Film könnte man auch sagen: Was der Youtuber Rezo in dem Video „Die Zerstörung der CDU“für Jugendlich­e aufbereite­t hat, machen Sie nun für ein erwachsene­s Ard-publikum . . .

Es geht auch um die Regierungs­zeit von Rot-grün, um die SPD und die Gewerkscha­ften. Es ist in diesem Sinne eine kollektive Verdrängun­gsleistung. Denn schon bei der Klimakonfe­renz in Kyoto 1997 war allen Akteuren bekannt, dass gehandelt werden muss, um das Steuer herumzurei­ßen. Im Film zitiert Eu-referent Georgios Tanamos die Deutschen: „Not now, maybe later.“Es gab immer Gründe, alles aufzuschie­ben.

Sie sind Jahrgang 1959. Wann und wie ist Ihnen selbst bewusst geworden, wie ernst die Lage ist?

Als der Club of Rome 1972 das Buch „Die Grenzen des Wachstums“herausgebr­acht hat, war ich 13. Ich bin in die Bibliothek gegangen und habe es eingesaugt. Dass wir so nicht weitermach­en können, unseren Planeten zerstören, war mir schon sehr früh klar. Was mein eigenes Handeln angeht, habe ich das jedoch auch lange verdrängt.

Sie haben Psychologi­e studiert. Wie erklären Sie sich, dass viele Menschen über den Klimawande­l Bescheid wissen, aber trotzdem so wenig getan wird?

Es ist eine abstrakte Bedrohung, ich kann es einfach von mir weghalten. Die Verantwort­ung kann man ebenso leicht weiterschi­eben: Der Autofahrer fordert weniger Flugreisen. Der Flugreisen­de, dass Gebäude saniert werden sollen. Es bräuchte ein Regelwerk. Wenn wir unsere Klimaziele erreichen wollen, müssen alle ran.

Psychologe­n warnen, dass Untergangs­zenearien lähmend auf Menschen wirken. Wie motiviert Kunst Menschen zum Handeln?

Unser Film zeigt, dass Gerichte in der Lage sein könnten, politische­s Handeln zu korrigiere­n. Das ist ein Hoffnungss­ignal. Der Film zeigt nicht nur das brennende Brandenbur­g, sondern auch, wo wir hin müssen. Wir brauchen internatio­nale Instanzen, wir können die Probleme nicht national lösen. Der Film hat auch die positive Botschaft: Es ist ein Zukunftssz­enario, wir können etwas dagegen tun. Allein durch Tempolimit­s könnte man tonnenweis­e CO2 einsparen, ohne die Welt revolution­ieren zu müssen.

Also die Kunst kann die Handlungss­pielräume aufzeigen, die wir noch haben?

Ich habe davor einen Film über den Künstler Joseph Beuys gemacht, der gesagt hat: „Wenn etwas gedanklich in der Welt ist, dann wirkt es.“Ich versuche in meinen Arbeiten, Ideenräume mit Kunst zu verbinden.

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Rbb/zero one film/ Julia Terjung Dystopisch­es Gerichtsdr­ama im Ersten: Die einstige „Klima-kanzlerin“Angela Merkel (Martina Eitner-acheampong) tritt vor dem Internatio­nalen Gerichtsho­f als Zeugin der Verteidigu­ng auf.
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Foto: Karsten Kampf

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